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Das Angebot im Gebrauchtwaren-Kaufhaus der städtischen Wirtschaftshilfe lockt Händler und Sammler ebenso an, wie Menschen, die jeden Cent zwei Mal rumdrehen müssen.

EsslingenWohin nur zuerst schauen? Zwischen der Eisenbahnlandschaft im aufgeklappten Reisekoffer, dem Fransensofa, alten Heintje-Platten und Pokalen, die von fremden Erfolgen erzählen, fahren die Augen Karussell. Im Gebrauchtwaren-Kaufhaus der städtischen Wirtschaftshilfe Esslingen fühlt man sich wie Alice im Plunderland, irgendwo zwischen Laden und Flohmarkt, zwischen nützlich und Nippes. Und die skurrilsten Stücke finden auf wundersame Weise den Weg ins Büro von Michael Jakob. Im kleinen Kabuff des Geschäftsführers steht auf dem Tisch neben einer Beethoven-Büste ein kleiner Keramik-Arsch mit Ohren. An der Wand hängt ein Akt neben einem historischen Schild aus dem Ordnungsamt. „Mein Museum“, sagt er lachend.

Früher war Michael Jakob Beamter im Rechnungsprüfungsamt, seit 30 Jahren leitet er den kommunalen Eigenbetrieb. Die städtische Wirtschaftshilfe gibt es in Esslingen seit 1948, seither ist sie mehrfach umgezogen. In den Nachkriegsjahren war sie gegründet worden, um dem Schwarzhandel etwas entgegenzusetzen. Viele Kommunen hatten einst derartige Einrichtungen, in den 70ern sind die aber nach und nach pleite gegangen, erklärt Michael Jakob. Bis zur Wiedervereinigung sei in Esslingen das bundesweit letzte Sozialkaufhaus in städtischer Regie gewesen. Heute steht die Wirtschaftshilfe auf zwei Beinen, um das erklärte Ziel, die schwarze Null, zu erreichen. Zum einen ist das das Kommissionsgeschäft. Bürger lassen hier Ausrangiertes verkaufen und erhalten 60 Prozent des Erlöses. Standbein zwei: Haushaltsauflösungen. Entrümpelt und entsorgt wird im Vollservice und täglich, was noch von Wert ist, findet den Weg ins Kaufhaus.

Dorado für Jäger und Sammler

Und das floriert. Michael Jakob hat eindrucksvoll Zahlen parat. Demnach finden täglich 500 bis 600 neue Teile ihren Weg in die Räume an der Sirnauer Straße, etwa drei Viertel verlassen das Haus wieder. Hunderte Kunden schieben sich täglich durch die vollgestellten Flure. Was innerhalb von sechs Wochen keinen Besitzer gefunden hat, fliegt aus dem Sortiment. Die hohe Fluktuation lockt Händler an. Sie suchen Porzellanteller nach Stempeln ab oder hoffen auf antiquarische Möbel. „Jäger und Sammler“ nennt Michael Jakob sie, „die kommen zweimal am Tag“. Studenten im Retrofieber fahnden nach Raritäten aus den Kleiderschränken der 80er und 90er, der Literaturwissenschaftler Dirk Mende wiederum durchforstet die Bücherregale. „Ich habe hier schon echte Besonderheiten entdeckt“, sagt er. Außerdem sei das Warenhaus „ein wunderbares Soziotop“. Viele wollen, andere müssen hier einkaufen. „Es gibt mehr Bedürftigkeit“, sagt Michael Jakob. Der Ausländeranteil sei hoch. Die Verkaufsschlager bei jenen, die sparen müssen, seien Damenkleider, Bettwäsche und Handtüchern sowie Hausrat. Eine 48-jährige Frau aus der Pliensauvorstadt zeigt das Schildchen, das an einer Jeanshose hängt. Zwei Euro. „Ich habe vier Kinder, ich muss aufpassen“, sagt sie. Michael Jakob spricht vom „vollen gesellschaftlichen Paket“, das hier zusammenkommt.

Vor und hinter der Theke. Neben Ehrenamtlichen arbeiten im Second-Hand-Laden auch Hartz-IV-Empfänger, die übers Arbeitsamt vermittelt werden, oder junge Leute, die von der Bewährungs- oder der Jugendgerichtshilfe zu Arbeitsstunden verdonnert wurden. Michael Jakobs Büro ist von einer Seite offen und samt sämtlicher Devotionalien für jedermann einsehbar. Viele Menschen, die vorbeigehen, winken hinein. Man kennt sich. „Ich bin eher der Hemdsärmelige, aber das brauchsch hier“, sagt der 60-Jährige. Bei Entrümpelungen packe er ebenso an wie alle anderen aus dem Team, und wenn ein Mütterlein jemanden brauche, der den neuen Schrank aufbaut, dann finde man auch eine Lösung. „Wenn jemand meine Hilfe braucht, kriegt er sie“, sagt Michael Jakob. Er blickt sich um. „Das ist mein Leben“, sagt er über das Gebrauchtwarenkaufhaus, „aber es kommt auch wieder was zurück.“