Boris Johnson bei seinem Statement in Downing Street Foto: AFP/Pippa Fowles

Der britische Premierminister Boris Johnson ist wieder von Covid 19 genesen. Ohne Mätzchen tritt er vor die Presse – und enttäuscht sowohl die Anhänger einer schnellen Öffnung wie auch seine Kritiker.

London - Am Montag stand er wieder auf der Bühne. Nach dreiwöchiger Abwesenheit trat Boris Johnson kurz nach neun Uhr morgens vor die schwarze Tür der Regierungszentrale, um sich für die ganze Nation sichtbar zurückzumelden zum Dienst in No 10 Downing Street. Vierzehn Tage lang hatte sich der Briten-Premier auf seinem Landsitz Chequers erholt, nachdem er die Woche zuvor mit äußerst ernsten Coronavirus-Symptomen im Londoner St.-Thomas-Hospital verbracht hatte – davon drei Tage und Nächte auf der Intensivstation der Klinik.

Johnson selbst hatte ja hernach davon gesprochen, dass es „so oder so hätte ausgehen können“ für ihn. Ein etwas schlankerer, sorgsam gekleideter und zu keinen Späßen aufgelegter Regierungschef zeigte sich so am Pult vorm Regierungsgebäude. Nur das blonde Wuschelhaar erinnerte an den „alten Boris“, der noch im März unbekümmert Corona-Patienten die Hand geschüttelt hatte, als seine Experten längst vor einer Katastrophe warnten. In fröhlicher Selbstüberschätzung hatte er sich damals auf einem großen Rugbyturnier in London unter die Leute gemischt und gegenüber potenziellen Herstellern von Ventilatoren gewitzelt, sie wollten offenbar zur „Operation Last Gasp“ stoßen – zum „Unternehmen Letzter Atemzug“.

Johnson: Jetzt ist der Zeitpunkt des maximalen Risikos

Nun, da er selbst mehrere Tage lang mit Sauerstoff versorgt werden musste, war Johnson zumindest bewusst, worüber er sprach. Natürlich verstehe er die Ungeduld aller, die auf eine Lockerung des Lockdowns drängten, sagte er. Auch er wolle die Wirtschaft „gern so schnell wieder in Schwung bringen, wie es nur eben geht“. Aber der gegenwärtige Zeitpunkt, an dem sich in der Krise endlich das Blatt zu wenden beginne, sei auch „der Zeitpunkt des maximalen Risikos“, warnte er. Jetzt zu schnell vorzugehen würde „eine neue Welle von Tod und Erkrankungen“ auslösen, und die Regierung müsste „voll auf die Bremse treten“.

Mit seinem Appell stemmte sich der Premier tatsächlich gegen die Erwartung im eigenen Lager, er werde nun, wieder aktiv im Amt, seinen libertären Instinkten folgen und rasch zu einer gewissen Normalität zurückkehren. Spürbar hat sich der Druck in dieser Richtung in den vergangenen Tagen auch in Großbritannien erhöht. Hunderte von Firmenchefs, die wichtigsten Tory-Sponsoren unter den Topmillionären des Landes und immer mehr konservative Politiker drangen auf eine Aufhebung der Restriktionen.

Unternehmer und Millionäre fordern eine Öffnung

„Boris ist wieder auf den Beinen, um das Vereinigte Königreich neu in Gang zu bringen“, kündigte in ihrer Montagsausgabe die „Daily Mail“ optimistisch an. Immerhin versicherte der Langerwartete den Ungeduldigen, dass er natürlich dabei sei, Pläne fürs ein weiteres, graduelles Vorgehen zu entwickeln. Der Druck wächst: Bereits am Wochenende war in Großbritannien eine deutliche Zunahme des Verkehrs und der Zahl der ins Freie drängenden Menschen zu registrieren. Die bemerkenswerte Selbstdisziplin, die noch vor der Erkrankung des Premiers im Königreich herrschte, lässt jetzt deutlich nach. Auch das Vertrauen in die Regierung hat letzten Umfragen zufolge gelitten – nicht zuletzt wohl auch wegen des schwachen Bilds, das Johnsons Vertreter Dominic Raab und andere Kabinettsmitglieder nach Ansicht vieler Briten abgegeben haben, während „Boris“ abwesend war.

Selbstkritik ist Boris Johnson fremd

Von der Rückkehr des Premiers erhofft man sich in seinem Umkreis eine erneute Stärkung der Autorität der Regierung. Noch immer gilt Johnson als der „große Kommunikator“, dem es stets gelungen ist, seine Landsleute mit sich zu ziehen. Reichlich verblüfft hörten sich allerdings skeptische Geister an, dass Johnson den von ihm ursprünglich verfolgten Kurs vor der Presse als Erfolg feierte.

Immerhin gehört Großbritannien, dessen Zahl an Corona-Toten von Fachleuten aktuell „irgendwo zwischen 20 000 und 40 000“ angesetzt wird, zu den Staaten mit den weltweit schlimmsten Zuwachsraten. Und im nationalen Gesundheitssystem NHS fehlt es noch auf fatale Weise an Schutzkleidung. Nicht mal ein Drittel der versprochenen 100 000 Tests am Tag wird tatsächlich vorgenommen im Land.