Plant die britische Regierung, das Verhältnis zur EU zu entkrampfen? Schon wittern konservative Hardliner einen „Verrat am Brexit“.
Empörung haben unter Brexit-Hardlinern und Nationalkonservativen in London Berichte ausgelöst, denen zufolge die britische Regierung plant, die Beziehung zur Europäischen Union zu verbessern und vom Brexit geschaffene Handelsschranken abzubauen. Wenn Premierminister Rishi Sunak einen „Verrat am Brexit“ plane, müsse er mit einem Aufstand in der Konservativen Partei und gegebenenfalls mit dem Sturz der Regierung rechnen, haben zu Wochenbeginn rechte Parteigänger des Regierungschefs gedroht.
Begonnen hatte die Aufregung, als die stets wohlinformierte „Sunday Times“ in ihren letzten Ausgabe meldete, die Regierung fasse „ähnliche Beziehungen zu Brüssel“ ins Auge, wie sie „die Schweiz mit der EU“ habe. Zuvor hatte Schatzkanzler (Finanzminister) Jeremy Hunt bereits erklärt, dass Großbritannien in den nächsten Jahren „die überwältigende Mehrheit der zwischen uns und der EU existierenden Handelsschranken abbauen“ wolle, um reibungsloseren Handel zu ermöglichen.
Brexit-Prinzipien sollen nicht aufgegeben werden
Zwar betonte Hunt, dass das Zeit brauche – und dass es keinen Wiedereintritt seines Landes in den EU-Binnenmarkt bedeuten würde. Und ein Regierungssprecher verkündete „kategorisch“, an etwas wie das Schweizer Modell sei gar nicht gedacht. Premier Sunak versicherte sogar, er würde jeglichen Versuch blockieren, seinem Land „EU-Gesetze aufzuzwingen“. Ein „solches Verhältnis mit Europa“ strebe er nicht an.
An die „fundamentalen Prinzipien“ des Brexit werde jedenfalls nicht gerührt, gelobte der für Einwanderung zuständige Staatssekretär Robert Jenrick: „Es wird keine Jurisdiktion europäischer Richter im Vereinigten Königreich geben. Wir werden kein Geld an die Europäische Union überweisen. Und es gibt keine Personen-Freizügigkeit.“ Man wolle schließlich den Zuzug von Ausländern nach Großbritannien weiter reduzieren: „Wir glauben, dass es das ist, was die britische Bevölkerung will.“
Er könne „überhaupt nicht verstehen“, warum man jetzt Brexit-Prinzipien aufgeben solle, meinte Gesundheitsminister Steve Barclay, der früher einmal Brexit-Minister war. Ex-Staatssekretär Simon Clarke betonte, dass die Frage des Austritts aus der EU „ein für allemal geklärt“ sei für sein Land.
Zornige Brexiteers vermuteten Schatzkanzler Hunt – „einen Brexit-Gegner der ersten Stunde“ – hinter der jüngsten Initiative, meldete die Zeitung „The Sun“ am Montag. Das Blatt zitierte „hochrangige Tories“ mit den Worten: „Wir haben uns schon mit einem Haushalt abfinden müssen, den die Labour Party hätte einbringen können. Und nun wollen sie auch noch, dass wir die Schweiz schlucken sollen.“
Nigel Farage bringt sich schon einmal in Stellung
Nigel Farage, der einmal Ukip und danach die Brexit-Partei anführte, erklärte, ihn überzeugten die Dementis der Regierung nicht: „Wenn sie wirklich Verrat am Brexit begehen wollen, müsste ich wohl was dagegen tun.“ Auch die einflussreiche „Daily Mail“ warnte die Regierung vor einem solchen „Verrat am Brexit“.
Tatsächlich hatte Brüssels Brexit-Unterhändler, Vize-Kommissionspräsident Maros Sefcovic, den Briten im letzten Juni in der Frage des heiß umstrittenen Nordirland-Protokolls einen Deal für privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt über spezielle Abkommen angeboten. Das Angebot war aber gescheitert an Londons grundsätzlicher Weigerung, britische Gesetze irgendwelchen EU-Bestimmungen anzugleichen oder auch nur eine Rolle für den Europäischen Gerichtshof in Erwägung zu ziehen.