Zerknirschter Minister: Graichen habe „einen Fehler zu viel“ gemacht, sagte Habeck am Mittwoch. Foto: dpa/Christophe Gateau

Wirtschaftsminister Habeck entlässt seinen Staatssekretär Patrick Graichen, weil es neue Vorwürfe gibt. Dabei stolpert Graichen nicht über die „Trauzeugen-Affäre“, sondern über seine familiären Verbindungen.

Patrick Graichen, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, ist seinen Job los. Das wurde am Mittwochmorgen bekannt, kurz darauf bestätigte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dies in einer Pressekonferenz. Er wolle den Bundespräsidenten bitten, Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, sagte Habeck in Berlin.

Der Schritt kommt einerseits nicht überraschend. In den vergangenen Wochen war Graichen in die Kritik geraten, weil er sich in einer Auswahlkommission für seinen Trauzeugen Michael Schäfer als Geschäftsführer der bundeseigenen Deutschen Energieagentur (dena) ausgesprochen hatte – ohne sein persönliches Verhältnis zu seinem Lieblingskandidaten offenzulegen. Ein hochdotierter Top-Job. Über den Vorgang hatte Graichen Habeck am 24. April informiert, drei Tage, nachdem der Vertrag mit Schäfer bereits unterzeichnet worden war.

Habeck sagte, es habe neue Informationen geben

Doch es war eben nicht dieser Fall, der Graichen nun sein Amt kostet. Habeck sagte, es habe neue Informationen geben. Hintergrund sei demnach die geplante Förderung eines Projekts gewesen, die der Landesverband Berlin des des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) beantragt hatte. Das ist deshalb von Bedeutung, weil Graichens Schwester in dessen Vorstand sitzt.

Habeck sagte, er wisse seit Dienstag vergangener Woche von dem Vorgang. Eine erste Einschätzung sei aber entlastend ausgefallen – was sich mit einer gründlicheren Prüfung geändert habe. So habe Graichen im November 2022 eine Liste mit „Projektskizzen“ gebilligt. Bei einer davon sei es um ein Vorhaben des BUND-Landesverbands Berlin gegangen mit einer Summe von 600.000 Euro. Verena Graichen sei bis Mai 2022 Landesvorsitzende beim BUND in Berlin gewesen.

Habeck: „Es ist noch kein Geld geflossen“

Das Projekt sei als förderwürdig eingestuft worden, eine finale Entscheidung damit nur noch Formsache gewesen. „Es ist noch kein Geld geflossen“, betonte Habeck. Der Vorgang hätte Graichen weder vorgelegt werden dürfen, noch hätte er ihn abzeichnen dürfen. Es handle sich um einen Compliance-Verstoß, also einen Verstoß gegen interne Ethik-Regeln. „Es ist der eine Fehler zu viel“, begründete Habeck die Entlassung. Er wolle das Vertrauen in die Arbeit seines Ministeriums schützen. Neben der Förderentscheidung habe es zudem einen zweiten Vorgang gegeben, der nach Einschätzung Habecks „in einem Graubereich“ liege. Dabei sei es um das Öko-Institut gegangen, zu dem Patrick Graichen ebenfalls durch seine Familie eine Verbindung hat.

Neben seiner Schwester Verena war auch sein Bruder Jakob Graichen für das Öko-Institut tätig, das vom Bundeswirtschaftsministerium Fördergeld erhalten hatte. Die Entscheidungen darüber seien aber nicht über Graichens Schreibtisch gelaufen – hatte es zumindest bislang geheißen. Anders als zu den Anschuldigungen im dena-Verfahren sah es bislang aus, als sei dabei im Ministerium alles sauber getrennt worden. Dem war offenbar nicht so.

Graichen galt als Habecks wichtigster Vertrauter

Graichen selbst äußerte sich auf Twitter und schrieb, er habe als Staatssekretär für den Klimaschutz „geworben, gestritten und gearbeitet“ und fügte hinzu: „Dabei sind mir auch Fehler unterlaufen.“ Er schrieb weiter: „Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind zu groß, um weiter von Debatten über meine Person und Familie überschattet zu werden.“ Auf die neuen Vorwürfe ging er nicht ein. Die Causa Graichen wird Habeck wohl noch eine Weile begleiten.

Für Habeck ist es ein Schlag, dass er Graichen entlassen muss. Dieser galt als sein wichtigster Vertrauter und war zudem damit betraut, das wohl zentrale Projekt des Ministers umzusetzen: schneller mehr Strom aus Wind und Sonne in Deutschland zu gewinnen, kurz die Energiewende.

Doch auch politisch nimmt der Minister Schaden. Habeck hatte sich zuletzt vehement vor Graichen gestellt, schien trotz aller Kritik an seinem Staatssekretär festhalten zu wollen. Nach der Anhörung im Bundestag vergangene Woche hatte Habeck gesagt: „Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss.“ Was damals wie ein Treueschwur klang, kann in der Rückschau als Distanzierung gesehen werden. Es kam eben ein weiterer Fehler dazu, „einer zuviel“, wie Habeck sagte. Habeck machte aber auch deutlich, dass er Graichen nur widerstrebend entlässt. In der Pressekonferenz hob er die Verdienste seines Vertrauten beim Krisenmanagement im vergangenen Jahr hervor und sagte, Graichen sei „über das berechtigte Maß Kritik und Aufklärung angefeindet“ worden.

Wer Nachfolger Graichens werden soll, ist aktuell noch unklar. Am Mittwochnachmittag meldete die „Bild“, der bisherige Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller werde als möglicher Kandidat gehandelt. Auf einen möglichen Nachfolger angesprochen, antwortete Habeck auf der Pressekonferenz, mit einem Satz, der angesichts der Lage fast zu flapsig klang: „Ich werde nicht meinen Trauzeugen als Staatssekretär berufen.“