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Wie Gonzalez das VfB-Spiel beschleunigt

StuttgartNicolas Gonzalez ist kaum zu fassen. Auf dem Platz nicht, und außerhalb auch nur schwer. Marnon Busch hat es zuletzt auf dem Rasen der Mercedes-Benz-Arena versucht, aber der Rechtsverteidiger des 1. FC Heidenheim musste feststellen, dass ihm dieser Gonzalez mit seinem Antritt und seinen Haken einfach immer wieder entwischt. Der Argentinier ist der Tempomacher des VfB Stuttgart. Beschleunigt er, nimmt das Offensivspiel Fahrt auf. Da kann einem schon der Gedanke kommen, dass dieser 21-jährige Stürmer aus Belen de Escobar zu schnell für diese zweite Fußballliga ist.

Oft genug bremst sich Gonzalez aber noch selbst aus. Mit einem Stolperer, einem unpräzisen Pass oder einer dieser wilden Aktionen, die er immer wieder einbaut – und die auf seinem Übereifer beruhen. Der Südamerikaner will immer alles perfekt machen. Er kann nicht still sitzen und auch nicht still halten. Ein Energiebündel. Im Mannschaftskreis gibt er gern den Spaßvogel. Auf dem Feld wird es jedoch ernst: Spielt er, passt es. Erzielt er dazu wie beim 3:0 gegen die Heidenheimer noch ein Tor, ist alles bestens. Wenn nicht, leidet er unter dem vermeintlichen Liebesentzug eines Trainers. „Es macht Spaß“, sagt Gonzalez nun, „die Spielidee des neuen Trainers kommt mir sehr entgegen.“

Mehr lange Pässe erhält Gonzalez jetzt unter den Anweisungen von Pellegrino Matarazzo, und er muss nicht mehr wie in der Endphase unter Tim Walter warten, bis diese ewig dauernden Ballstafetten ein wenig Raumgewinn erzeugen – und den ungeduldigen Angreifer ins Spiel bringen. Ruck, zuck statt Tikitaka heißt es jetzt, womit Gonzalez zum Pflichtspielauftakt 2020 am meisten den nun geforderten Umschaltfußball verkörperte.

Klaffende Wunde am Schienbein

Über den linken Flügel kam Gonzalez die meiste Zeit. „Er hat das super gemacht“, sagt der Sportdirektor Sven Mislintat, „er hat nicht nur einen Treffer erzielt und viele Löcher gerissen, sondern sich auch durchgebissen.“ Bereits Mitte der ersten Hälfte erwischten den Stürmer gegnerische Stollen am Schienbein. Die schmerzhafte Folge: eine klaffende Wunde, die man nicht unbedingt gesehen haben will, wie Mislintat anmerkt. Mit zwei Stichen wurde Gonzalez genäht und humpelte am Mittwochabend aus dem Stadion.

Am Samstag in der Begegnung am Millerntor soll der Angreifer gegen den FC St. Pauli aber wieder Schwung auslösen. Und wer Gonzalez’ Ehrgeiz kennt, der kann erahnen, dass der Stürmer spielen wird, wenn es irgendwie geht. Gut gepolstert am Schienbein, aber ohne Rücksicht auf den eigenen Körper. Das gehört zu seinem Selbstverständnis als Fußballer. Zwar legt sich Gonzalez bei Gegnerkontakt im Zweifel eher früher als später hin, doch der Stürmer muss auch gewaltig einstecken. Das Gute daran: Er steckt die Attacken der Verteidiger ziemlich rasch wieder weg.

Gonzalez gilt als absoluter Mentalitätsspieler. Ebenso als ein Mann, der mit seiner Schnelligkeit gerne auf dem Transfermarkt gehandelt wird. „Er wird am 1. Februar aber mit ziemlicher Sicherheit noch beim VfB sein“, sagt Mislintat. Nur die Erfahrung, dass am letzten Tag der Transferperiode immer etwas Verrücktes passieren kann, bewahrt den Sportdirektor davor, die letzten paar Prozent an Wahrscheinlichkeit schon zu garantieren.

Es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass ein Club aus England oder Italien noch weit über 20 Millionen Euro für den Angreifer bietet. Denn ebenso wie das Potenzial erkennbar ist, gehört zur ganzen Wahrheit, dass ein größerer Mangel vorherrscht. Gonzalez fehlt die Ruhe vor dem Tor – und die Experten rund um den VfB können trefflich darüber diskutieren, ob das Talent sich noch verbessern wird oder ob aus ihm nie ein Torjäger wird.

Die Stuttgarter kennen jedenfalls den sportlichen Wert ihrer Nummer 22 (Vertrag bis 2023) und lassen ihn deshalb nicht ziehen. Nicht zu einem anderen Arbeitgeber – und nicht zur U 23 seines Heimatlands. Die Olympiaauswahl spielt aktuell und Gonzalez wollte das Trikot der kleinen Albiceleste tragen. Der argentinische Verband hatte auch angefragt und Druck ausgeübt. Gonzalez sah seine Chancen im A-Aufgebot schwinden.

Die Stuttgarter blieben – im Gegensatz zum vergangenen Sommer – jedoch bei ihrem „No“. Ansonsten hätte Gonzalez zu Jahresbeginn einige wichtige VfB-Partien verpasst.

Jetzt will sich der Stuttgarter Spielbeschleuniger über die zweite Liga für weitere Doppelpässe mit Lionel Messi und Co. während der Copa America im kommenden Sommer empfehlen.

Philips verletzt

Der VfB bangt vor dem Auswärtsspiel beim FC St.Pauli (Samstag, 13 Uhr) um Innenverteidiger Nat Phillips. Der Engländer hat sich gegen Heidenheim eine schmerzhafte Prellung im Oberschenkel zugezogen. „Es wird knapp bis Samstag“, sagte Sportdirektor Sven Mislintat. Phillips Ausfall hätte möglicherweise größere Umstellungen in der Abwehr zur Folge, da auch Holger Badstuber weiter fehlt und in Gonzalo Castro (nach Gelbsperre) eine mögliche Alternative als Linksverteidiger zurückkehrt.