CDU-Chef Friedrich Merz ließ sich am Wahlabend feiern. Foto: Fabian Sommer/dpa/Fabian Sommer

Europa hat gewählt. Was folgt daraus für die Parteien in Deutschland? Wer jubeln darf, bei wem es kriselt und wer seine Strategie ändern muss: die fünf wichtigsten Erkenntnisse.

Die Europawahl wird traditionell als Gelegenheit genutzt, mit der Regierungspolitik abzurechnen – mit der Arbeit der Ampel sind derzeit nur wenige zufrieden. Für andere ist es ein erster Stimmungstest.

1. Für Olaf Scholz wird es noch ungemütlicher

Ein kräftiger Schlag in die Magengrube tut weh – auch dann, wenn er mit Ankündigung kommt. Die SPD hatte bereits bei der vergangenen Europawahl ein verheerendes Ergebnis; eines übrigens, über das damals Andrea Nahles als Parteichefin stürzte. Dass eine Partei, die den Kanzler stellt, in einer bundesweiten Wahl so schlecht abschneidet, ist historisch einmalig. Zumal die SPD den Kanzler, der ja eigentlich gar nicht zur Wahl stand, offensiv plakatiert hat. Der Friedenswahlkampf des Kanzlers, der zugleich Waffen an die Ukraine liefert, hat nicht funktioniert. Wenn die SPD bis zur Bundestagswahl keinen Weg findet, den Trend nachhaltig zu drehen, könnte sie tief stürzen.

Wäre ein Wechsel hin zu einem Kanzlerkandidaten Boris Pistorius eine Lösung? Der Verteidigungsminister ist deutlich beliebter als der Kanzler. Je schlechter Wahlergebnisse sind, desto größer dürfte die Nervosität in der Fraktion sein.

Bisher war aber die – wohl richtige – Erkenntnis in der SPD stärker, dass man einen Kanzler nicht ohne Schaden mal eben einfach so austauschen kann. Zumal Pistorius erstens in einigen Fragen nicht vollkompatibel mit dem SPD-Programm ist. Zweitens würde Pistorius auch anders von den Wählern beurteilt, wenn er nicht mehr nur ein Minister wäre, der zupackend für sein Ressort kämpft, sondern für das große Ganze in der Ampel einstehen müsste.

Genau das wird in den nächsten Wochen und Monaten noch mal richtig unangenehm. Der Haushalt ist noch längst nicht unter Dach und Fach. Die FDP wird hier bis zum Ende hart verhandeln. Für Scholz bleibt das Regieren in der Ampel zäh. Das ist sicher.

So hat Deutschland für Europa gewählt. Foto: StZN/Zapletal

2. Die Strategie der Grünen ist nicht aufgegangen

Dass diese Europawahl für sie nicht so golden ausfallen würde wie die vorherige, war den Grünen früh klar. Vor fünf Jahren fuhr die Partei ein historisch gutes Ergebnis ein. Mit 20,5 Prozent der Stimmen landete sie knapp hinter der CDU auf dem zweiten Platz. Dieses Mal aber liegen die Grünen weit abgeschlagen hinten. „Damit kann man nicht zufrieden sein“, sagte Parteichefin Ricarda Lang.

Das Thema, für das die Grünen stehen wie keine andere Partei, hat drastisch an Bedeutung verloren – zumindest in den Augen der Wähler: Klimaschutz war in diesem Wahlkampf bestenfalls ein Nebenschauplatz. Und wer wiederum die Grünen mal für ihren Pazifismus liebte, dürfte dieses Jahr kaum mehr auf die Partei gesetzt haben. Aber es sind nicht nur die äußeren Umstände. Im Wahlkampf setzten die Grünen vor allem darauf, sich als Gegenpol zur AfD zu zeigen – als Partei gegen den Rechtsruck. Diese Strategie ist nicht aufgegangen. In der Parteizentrale wird man nun gut beraten müssen, was das für den anstehenden Wahlkampf um die Landtage in Brandenburg, Sachsen und Thüringen bedeutet.

Und noch etwas sollten sich die Grünen nun überlegen. Wie schon bei der vergangenen Bundestagswahl zeichnet sich ein Kampf um die Kanzlerkandidatur der Partei ab: Sowohl Annalena Baerbock als auch Robert Habeck würden es wohl gern erneut versuchen. Nun könnte sich die Partei jedoch die Frage stellen, ob sich dieser Streit überhaupt lohnt. Die Chancen darauf, einen Kanzler oder eine Kanzlerin zu stellen, sind wohl ohnehin verschwindend gering.

3. Die CDU liegt weit vorn, eine Frage bleibt

Dass die Union stärkste Partei wird? Das war vor der Europawahl erwartet worden und ist keine Überraschung. Auch dass sie weit stärker ist als jede der Ampelparteien, war eingepreist. Die CDU ist damit dort, wo sie sich traditionell selbst im deutschen Parteiensystem sieht: vorn.

Die Union ist mehr als doppelt so stark wie die Kanzlerpartei SPD. Dieser Erfolg wird Friedrich Merz ohne jede Frage in seinem Plan bestärken, nach der Kanzlerkandidatur zu greifen. Der CDU-Vorsitzende ist dabei in der Poleposition. Bestenfalls CSU-Chef Markus Söder und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst könnten sie ihm streitig machen. Zuletzt ist in der Union immer mal wieder die Frage gestellt worden, warum man angesichts der Schwäche der Ampel nicht noch besser abschneide. Am Wahlabend war das Signal aber erst mal eindeutig: Attacke gegen die Ampel! Merz ließ sich entsprechend feiern.

Die Union will – das ist jedenfalls der offizielle Plan – über die Kanzlerkandidatur nach den Landtagswahlen im Herbst entscheiden. Hier könnte die Partei es noch mal mit Ergebnissen zu tun bekommen, die in der Praxis für Schwierigkeiten sorgen.

Insbesondere in Thüringen wird sich die Frage stellen, ob die CDU mit der Linken oder mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht zusammenarbeiten muss. Für Friedrich Merz würde es vor allem schwierig, wenn es in einem Landesverband Bestrebungen geben sollte, mit der AfD zu kooperieren. Merz betont immer wieder die „Brandmauer“ zur AfD. Ein Szenario, in dem sich in einem der Ostverbände jemand gegen diesen Kurs stellen würde, würde also zur Machtprobe.

4. Die AfD gewinnt trotz Skandalen

In der AfD atmeten am Sonntagabend viele auf. „Es ist hocherfolgreich gelaufen“, sagte Parteichefin Alice Weidel. Und das, obwohl man in der Partei sogar mal auf noch größere Gewinne gehofft hatte. Immerhin lag die AfD in Umfragen im vergangenen Jahr schon bei rund 20 Prozent. Doch dann folgte ein desaströser Wahlkampf.

Da war die Affäre um den Bundestagsabgeordneten Petr Bystron, der auf dem zweiten Platz der AfD-Wahlliste stand. Er wird verdächtigt, Geld von einem prorussischen Netzwerk erhalten zu haben. Hinzu kam die Skandalserie um Spitzenkandidat Maximilian Krah. Einer seiner ehemaligen Mitarbeiter sitzt inzwischen in Untersuchungshaft, weil er für China spioniert haben soll. Auch einen mutmaßlichen Kremlspion soll Krahs Büro ins Parlament gelassen haben. Dann äußerte er sich so verharmlosend zur SS, dass die europäische Rechtsaußenfraktion die AfD aus ihren Reihen ausschloss. Sowohl Krah als auch Bystron durften im Wahlkampf nicht mehr auftreten.

Nebenbei bestätigte ein Gericht, dass der Verfassungsschutz die Bundespartei zu Recht als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ eingestuft hatte. Außerdem wurde der Thüringer Fraktionsvorsitzende Björn Höcke wegen einer verbotenen NS-Parole zu einer Geldstrafe verurteilt.

Doch das hat der Partei nicht geschadet. Die erträumte Zielmarke hat sie zwar verfehlt. Doch im Vergleich zu vorherigen bundesweiten Wahlen hat sie klar gewonnen. Besonders im Osten ist die Zustimmung ungebrochen. Vor den Landtagswahlen im Herbst gibt das der AfD Rückenwind. Die Partei hat gewonnen – trotz ihrer selbst.

5. Das Parteiensystem wird vielfältiger

Eine der jüngsten Parteien gehört zu den größten Gewinnern der Europawahl. Das offiziell im Januar gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat ein beachtliches Ergebnis erreicht und entsendet aus dem Stand eine Handvoll Abgeordnete nach Brüssel.

Das dürfte für die Zukunft zweierlei bedeuten: Das deutsche Parteiensystem wird noch vielfältiger – und Regierungsbildungen künftig wohl noch schwieriger. Die Europawahl bot schon immer eine Chance für die weniger etablierten Parteien, denn eine Prozenthürde gibt es derzeit nicht. So konnten auch die proeuropäische Partei Volt und die Satire-Formation „Die Partei“ erneut Mandate erringen. Am besten genutzt von den kleinen Parteien hat die Wahl aber das BSW.

Frontfrau Sahra Wagenknecht hatte viele Wahlkampftermine absolviert. Inhaltlich setzte sie dabei auf das Thema Frieden in der Ukraine, höhere Renten, wetterte gegen Migration und das Verbrennerverbot. Die Linke, die Wagenknecht vor acht Monaten verlassen hatte, erreichte lediglich etwa halb so viele Stimmen. Dies dürfte für das BSW eine besondere Genugtuung sein. Gewählt wurde es vor allem von Menschen, die zuvor SPD und Linken ihre Stimme gegeben oder gar nicht gewählt hatten. Besonders stark ist das BSW im Osten.

Im Europaparlament werden die Stimmen der Wagenknecht-Partei aber keinen Einfluss auf die nächste EU-Kommission haben. Anders ist das bei den Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Dort werden aufgrund der Stärke der AfD ohnehin schwierige Regierungsbildungen erwartet. Ein starkes BSW dürfte dies weiter verkomplizieren.