Die Fälle klassischer Kinderkrankheiten werden immer seltener, dennoch ist mit ihnen nicht zu spaßen. Außerdem sind andere Erreger auf dem Vormarsch, die teils schwere Verläufe haben, erklärt der Esslinger Kinderarzt Ralph-Alexander Gaukler.
Kinder sind häufig krank. Einerseits, weil ihre Immunabwehr in den ersten Lebensmonaten und -jahren noch nicht so ausgeprägt ist wie die Erwachsener. Andererseits, weil sie in Kita und Schule vielen Erregern ausgesetzt sind. Schwere Erkrankungen und gravierende gesundheitliche Folgen sind aber glücklicherweise selten. Im Rahmen der EZ-Serie „Gesund leben“ erklärt Ralph-Alexander Gaukler, Kinderarzt in Esslingen und stellvertretender Landesvorsitzender im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, mit was er und seine Kollegen es am häufigsten zu tun haben.
Die wichtigsten Kinderkrankheiten
Zu den wichtigsten Kinderkrankheiten zählen Diphterie, Hand-Fuß-Mund-Krankheit, Keuchhusten, Masern, Mumps, Röteln, Scharlach und Windpocken. Sie heißen so, weil es sich um derart ansteckende Erreger handelt, dass besonders in früheren Zeiten viele Menschen bereits im Kindesalter entsprechende Infekte durchgemacht haben – und im Anschluss immun waren. Trotz des Namens ist mit ihnen aber nicht zu spaßen. „Einige dieser klassischen Kinderkrankheiten sind durch Impfungen selten geworden“, erklärt Kinderarzt Gaukler. Wer sich historische Sterbetafeln von vor hundert Jahren ansehe, entdecke viele Erkrankungen des sogenannten Impfkalenders, der die empfohlenen Impfungen der ständigen Impfkommission in bestimmten Lebensaltern listet.
„Wenn wir aber aufhören würden zu impfen, dann würden diese Kinderkrankheiten nach einer gewissen Zeit wieder genauso einschlagen wie vor 100 Jahren“, sagt Gaukler. Das sehe man in anderen Teilen der Welt, in denen Kinder nicht die gleichen Impfmöglichkeiten hätten. Eine Impfpflicht gibt es allerdings nur gegen Masern.
Manche Kinderkrankheiten, wie beispielsweise Kinderlähmung, gelten heute in Deutschland als ausgerottet. Einige spielen aber auch in diesen Zeiten noch eine Rolle. Vor allem jene, gegen die es keine Impfmöglichkeiten gibt. „Alle Erkrankungen, die durch Tröpfcheninfektion übertragen werden, sind während der strengen Coronamaßnahmen selten gewesen und nehmen jetzt wieder deutlich zu“, berichtet Ralph-Alexander Gaukler aus seinem Praxisalltag. „Dazu gehört auch Scharlach.“ Hierbei handelt es sich um eine durch Bakterien übertragene Erkrankung mit Symptomen wie Halsschmerzen, Fieber und einem scharlachroten Ausschlag sowie dunkelrot verfärbter Zunge. Scharlach sei gut mit Penicillin zu behandeln. Keuchhusten kommt noch selten vor. Da er für Säuglinge lebensbedrohlich werden könne, gebe es eine Impfempfehlung für Schwangere kurz vor der Geburt.
Das RS-Virus beschäftigt die Kinderärzte
Im weitesten Sinne eine neue Art Kinderkrankheit ist das immer weiter verbreitete Übergewicht schon in jungen Jahren. „Während der Lockdownzeit hatten die Kinder wirklich massiv Bewegungsmangel“, sagt Gaukler. Auch übermäßiger Medienkonsum und teilweise Fehlernährung hätten Auswirkungen. „Daraufhin haben fast alle Kindern eine Gewichtszunahme gezeigt“, so der Arzt weiter, es gebe eine deutliche Zunahme von Adipositas. Viele Kinder hätten in der Zeit der strengen Coronamaßnahmen auch nicht gut gelernt, das Lernen teilweise verlernt. „Deshalb nehmen die Anfragen wegen Schulproblemen, insbesondere Konzentrationsproblemen zu“, berichtet Gaukler.
Zuletzt stark beschäftigt hat die Kinderärzte und Krankenhäuser ein Erreger, der der breiten Öffentlichkeit bislang nicht geläufig war: das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Die typischen Infektwellen von November bis März waren durch die Infektionsschutzmaßnahmen infolge der Coronapandemie sozusagen aus dem Tritt gekommen. „So hatten wir im Sommer untypisch viele Fälle. Unklar ist auch, wann und wie heftig die nächste Influenzawelle kommen wird“, sagt Gaukler. Eine RSV-Infektion wirkt sich bei manchen nur in Form einer Erkältung aus. „Bei Säuglingen und kleinen Kindern kann es aber eine Bronchiolitis zur Folge haben, ein Mittelding zwischen Bronchitis und Lungenentzündung“, erklärt der Kinderarzt. Einige der kleinen Patienten müssen sogar im Krankenhaus behandelt werden, wo ihnen Sauerstoff zugeführt wird.
Eltern können Lehren aus Corona ziehen
Was tun, um eine solche Erkrankung zu vermeiden? Eine klassische Impfung gegen RSV gibt es nicht, für Risikopatienten besteht die Möglichkeit, sich in den Wintermonaten mit Antikörpern zu schützen. „Das kann man aber nur in Ausnahmefällen machen“, sagt Gaukler. Er rät Eltern, das in der Coronapandemie Gelernte zu nutzen, wie regelmäßiges Lüften und das Vermeiden großer Menschenansammlungen. „Wenn man mit einem Säugling unterwegs ist, ist der Kontakt mit vielen Menschen nicht ideal“, so Gaukler. Allerdings könne man sich natürlich mit einem Baby auch nicht nur zuhause verstecken. Eltern oder Kind könnten sich auch beim Einkaufen, bei Freunden oder im Wartezimmer einer Arztpraxis anstecken.