Mit dem Qwiek.up kann Ulrike Wortha-Weiß im Klinkum Esslingen auch dementen Patienten helfen, sich zu „erinnern“. Foto: Roberto Bulgrin/bulgrin

Im Alter lässt das Kurzzeitgedächtnis nach. Wer sich nicht an alles erinnern kann, muss aber noch lange nicht dement sein.

Esslingen - Wo ist der Schlüsselbund? – Wer hat meine Brille weggeräumt? – Hier müsste doch irgendwo der Geldbeutel liegen? – Zu den meist gesuchten Gegenständen, vom Handy vielleicht noch abgesehen, gehören diese drei Utensilien mit ziemlicher Sicherheit. Vergesslichkeit ist zwar keine Frage des Alters und hat mit einer Demenzerkrankung schon gleich gar nichts zu tun. Aber: Bei älteren Menschen kommt es, wie Studien belegen, häufiger vor, dass sie sich an manche Dinge nicht mehr erinnern können. „Während das Langzeitgedächtnis noch sehr gut funktioniert, baut das Kurzzeitgedächtnis nach und nach ab“, sagt Ulrike Wortha-Weiß, die leitende Ärztin der Geriatrie im Klinikum Esslingen.

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Eine gewisse Altersvergesslichkeit sei deshalb nichts Außergewöhnliches, fügt sie hinzu. Erst wenn diese über das normale Maß hinausgehe, wenn also auf einmal Dinge irgendwo auftauchen, wo sie nichts verloren hätten, oder immer wieder dieselben Fragen gestellt würden, könne es ratsam sein, entsprechende Tests oder Untersuchungen durchführen zu lassen, betont die Altersmedizinerin. „Mit einer demenziellen Geschichte müssen diese Anzeichen aber noch nichts zu tun haben, obwohl es so ist, dass auch Demenz im Alter zunimmt.“

Risikofaktoren minimieren

Wie etliche andere körperliche Funktionen – die Sehstärke, das Hörvermögen oder die Bewegungsfähigkeit – nehme die Gedächtnisleistung im Alter ebenfalls ab, erklärt Wortha-Weiß. Das habe auch nichts mit dem Bildungsstand oder der sozialen Situation von Menschen zu tun. „Ebenso wenig wie eine Demenzerkrankung ist die Altersvergesslichkeit von diesen Faktoren abhängig“, ergänzt sie. Allerdings gebe es sehr wohl Punkte, die jeder und jede individuell beeinflussen könne, indem er oder sie potenzielle Risiken minimiere und dadurch die Ausfallerscheinungen verlangsame.

Alkoholkonsum, Bewegungsmangel und eine einseitige Ernährung auf der einen Seite, Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck auf der anderen zählen zu diesen Risiken. Und es gibt noch weitere Dinge, die sich ändern lassen. „Eine persönliche Veranlagung ist natürlich nur schwer zu beeinflussen, alles andere schon“, weiß Wortha-Weiß aus ihrer täglichen Arbeit. „Es kann und sollte also etwas getan werden, um das Gehirn zu trainieren. Lesen, Spielen und Rätseln, sich Beschäftigung suchen, spazieren gehen und dabei mit jemandem reden, Gemeinschaft finden: all das hilft“, zählt sie einiges auf, wohlwissend, dass manches davon in der heutigen Zeit, in der vor allem viele Ältere alleine leben, oft nicht einfach ist.

Flüssigkeitsaufnahme ist wichtig

Und noch einen weiteren Punkt spricht die Expertin an, den Laien vielleicht nicht unbedingt auf der Rechnung haben: ausreichend zu trinken. „Vergesslichkeit hat sehr oft etwas mit Flüssigkeits- oder Natriummangel zu tun“, sagt Wortha-Weiß. Immer wieder begegne sie Patienten, die als demenziell gelten würden, sich aber nach ein paar Tagen wieder erholten. „Eine umfangreiche Diagnostik, ob die Symptome akut sind oder anhaltend auftreten, ist deshalb entscheidend“, betont die Ärztin, weist aber zugleich darauf hin, dass sich Krankheiten durch Hirnaktivitäten nicht verhindern ließen. „Jedoch können viele Prozesse, die zu einer Beschleunigung führen, verlangsamt werden.“

Wichtig sei bei älteren Menschen zudem, dass ihre Gegenüber geduldig blieben und einen einfachen Umgang mit ihnen pflegten. „Ganz gleich von welchem Stadium der Altersvergesslichkeit wir reden, man sollte sich darauf einstellen, dass immer wieder die gleichen Geschichten erzählt und Dinge vergessen werden, die die Betroffenen zuvor nicht vergessen hätten“, sagt die Leiterin der Esslinger Geriatrie. Und man sollte sich nicht wundern, dass für eigentlich selbstverständliche Abläufe auf einmal Anleitungen notwendig seien. Auch mit Aggressionen müsse gerechnet werden. „Die Leute wissen häufig um ihre Probleme und können sich damit nicht abfinden. Ihre Verhaltensweisen sind aber je nach Charakter unterschiedlich“, weist Wortha-Weiß darauf hin, dass die Verläufe sich nicht immer gleichen.

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„Vergesslichkeit entwickelt sich im Laufe der Zeit – ebenso wie eine Demenzerkrankung – in verschiedener Form und kann jeden treffen“, stellt sie erneut klar. Es gebe zwar familiäre Häufungen, aber bis heute keinen Nachweis für eine Vererbung. „Deshalb ist es umso wichtiger, dass Grundsätzliches beachtet wird, auch wenn dies manchmal schwierig ist“, sagt die Ärztin und führt erneut das Thema Flüssigkeitsaufnahme an. „Bei älteren Menschen geht das Durstgefühl verloren. Dennoch sollten sie regelmäßig trinken, was ihnen wiederum unangenehm sein kann, weil sie womöglich inkontinent sind oder nachts häufiger rausmüssen.“ Ähnliches gelte für die Ernährung, wenn das Kauen oder Schlucken schwer falle, betont sie und weist auf eine andere Krux hin.

Bilder an der Zimmerdecke

Breites Angebot
Der Geriatrische Schwerpunkt des Landkreises entstand Mitte der 1990er-Jahre am Esslinger Klinikum. Mittlerweile deckt er ein breites Spektrum altersmedizinischer Disziplinen ab. Von der Diagnose über die Behandlung – stationär oder ambulant – bis zur Nachbetreuung wird den Patienten ein umfangreiches Betreuungsangebot gemacht, nicht zuletzt auch im Bereich demenzieller Erkrankungen.

Gründliche Untersuchung
Bevor es überhaupt zur Behandlung kommt, wird gründlich abgeklärt, ob bestehende Symptome, eine tiefere, krankheitsbedingte Ursache haben. Neben einem körperlichen Check werden – gerade bei einer ungewöhnlich großer Altersvergesslichkeit – einfache Tests durchgeführt. Erst im Anschluss wird entschieden, was im Einzelfall zu tun ist.

Echte Hilfe
Unterstützung erfährt die Esslinger Geriatrie unter anderem vom Förderverein Pro Klinikum. So hat dieser beispielsweise dafür gesorgt, dass die Abteilung ein Gerät namens Qwiek.up anschaffen konnte. Mit diesem Apparat können digitale Bilder an die Wand oder an die Zimmerdecke projiziert werden, die bei unruhigen Demenzpatienten für Entspannung sorgen, etwa Unterwasseraufnahmen oder Naturszenen. Der Digitalbeamer kann aber auch beim Erinnern helfen. So können Angehörige alte Fotos und kurze Filme auf einen USB-Stick laden, um diese am Krankenbett groß und völlig unkompliziert zu zeigen.