Die 82-jährige Esslingerin Helga Dräger hat nie aufgehört, Sport zu treiben. Andere erkennen nach vielen Jahren Pause, dass sie etwas für ihre Kondition tun müssen. Foto: /Herbert Rudel

Nach vielen Jahren Pause wieder mit dem Sport zu beginnen, ist gar nicht so einfach. Unter Anleitung fällt es leichter.

Esslingen - Ich habe auch Stöcke“, sagt Helga Dräger und lacht fröhlich. „Damit mache ich mit meinen Bekannten Nordic Walking.“ Dräger ist die vielleicht fitteste Über-80-Jährige in Esslingen. Gerade ist sie deutsche Meisterin ihrer Altersklasse im 5000-Meter-Bahngehen geworden, für die Strecke benötigte sie nicht einmal eine Dreiviertelstunde. Ihr Haus ist voller Medaillen und Urkunden. Die sammelt sie gerne. In erster Linie geht es der 82-Jährigen um eines: „Ich brauche Bewegung, ich brauche den Wald. Wenn es regnet und ich nicht raus kann, werde ich muffelig.“ Das mit den Wettkämpfen habe sie eben nie aufgehört. „Ich kann es nicht lassen, früher bin ich Marathons gerannt“, erzählt das Mitglied der LG Esslingen und lacht wieder. „Aber das ist eigentlich nicht so wichtig. Es geht vor allem darum, in Bewegung zu bleiben.“ Ihren Konditions- und Fitnessstand hat sie so über die Jahre gehalten. Das, ist sie überzeugt, hält sie gesund für den Alltag. Auch im Kopf. Ins Fitnessstudio geht Dräger auch regelmäßig. Um etwas für ihren Körper zu tun und um Menschen zu treffen. Aber am liebsten ist sie draußen, und da darf es dann auch ruhig mal etwas langsamer zugehen als auf der Bahn.

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Marion Radonic ist von Helga Dräger beeindruckt. Und sie bestätigt die Aussagen der Seniorensportlerin. „Wer sich bewegt, tut etwas für den gesamten Körper – für die Muskeln, die Gelenke, die Sehnen, den Kopf.“ Und natürlich für das Herz: „Kondition ist viel mehr als Ausdauer.“ Radonic ist ehemalige Bundesliga-Handballerin, in der Region ist sie vor allem als Kreisläuferin des langjährigen Zweitligisten TV Nellingen bekannt. Heute trainiert sie das Männerteam des SKV Unterensingen in der Württembergliga. Im Hauptberuf ist die 44-jährige Deizisauerin Personal Trainerin. Ihre Kunden sind zum größten Teil älteren Semesters. „Von 60 Jahren aufwärts, der Älteste ist 76“, erzählt sie. Und sie sind in der Regel nicht drangeblieben am Sporttreiben. Kondition und der allgemeine Gesundheitszustand haben darunter gelitten.

„Die meisten schickt ihr Arzt“

Durch Mundpropaganda kommen die Menschen zu ihr. „Die meisten aber schickt ihr Arzt“, erklärt die Diplom-Sportwissenschaftlerin. Der Blutdruck steigt oder das Gewicht – oder beides parallel. Der Rücken zwickt. „Es sind viele Menschen, die den ganzen Tag im Büro sitzen oder im OP stehen und merken, dass sie etwas tun müssen“, erklärt die Trainerin. Alleine ist es schwierig, den berühmten inneren Schweinehund zu überwinden. Unter Anleitung ist es leichter. Wen jemand keine geeignete Gruppe in einem Verein findet oder finden will, kommt Radonic oder einer ihrer Kollegen ins Spiel.

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Gleich losrennen ist aber nicht. „Fast alle fangen zu schnell an – und dann geht es ihnen schnell schlecht“, berichtet Radonic. Sie erinnern sich an ihre Standard-Joggingstrecke, die sie vor 20 Jahren locker gelaufen sind oder sehen sich vor dem inneren Auge immer noch als der fitte Leistungssportler, der sie vor 30 Jahren mal waren. Aber die Zeitspanne dazwischen lässt sich nicht leugnen. Zunächst schickt Radonic die Menschen zum Arzt. „Viele haben noch nie ein Belastungs-EKG gemacht“, sagt sie. Erst wenn sie das sowie weitere Werte und eine Liste möglicher Medikamente vorliegen hat, beginnt sie mit dem Training. Da die meisten, die zu ihr kommen, lange gar keinen Sport gemacht haben, reicht am Anfang eine halbe Stunde Walking. Oder weniger. Immer mit dem Blick auf die Pulsuhr. Irgendwann kommt eine Minute Joggen dazu, später sind es zwei, dann mehr. „Ich rede mit den Leuten, so merke ich, wenn sie außer Puste sind und eine Pause brauchen.“ An Ausrüstung legt die Trainerin auf gute Schuhe wert, am besten aus dem Fachgeschäft. „Die Kleidung muss bequem sein“, sagt sie und erzählt, dass ein Geschäftsmann schon mal im Hemd zum Termin gekommen sei.

Draußen bei Wind und Wetter

Die meisten ihrer Kunden sind Männer. „Die tun sich mit einer Frau als Trainerin leichter“, sagt Radonic, „da haben sie nicht so das Gefühl, sich beweisen zu müssen.“ Trotzdem wissen sie, dass Radonic ihnen jederzeit davonlaufen könnte.

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Was ihr auch wichtig ist: „Ich bringe die Leute nach draußen, bei Wind und Wetter.“ Bei vielen hat sie es geschafft. Ein Beispiel nennt sie, an das sie sich besonders gerne erinnert: Vor einigen Jahren wurde sie von einem Mann als Trainerin für seine Frau engagiert. Was er nicht wusste: Die Gattin hatte fest eingeplant, dass er mitmacht. „Zunächst hat er sich gewehrt und ist hinter uns hergetrottet“, erzählt Radonic, „dann hat er Spaß daran gefunden. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit ihm einmal morgens um sechs Uhr im Schneetreiben Tempoläufe machen würde.“ Das Paar, beide waren damals um die 50 Jahre alt, ist dabeigeblieben und hat später sogar einen Halbmarathon absolviert.

Irgendwann alleine trainieren

Heute ist Radonic mit den beiden befreundet – ihre Kunden sind sie nicht mehr. Denn auch das betont die Trainerin: „Ich will niemanden an mich binden. Der Plan ist, dass ich sie irgendwann entlassen kann.“ Dann sollen sie sich allein bewegen. Teilweise schicken ihr ihre Ex-Kunden noch eine Zeit lang Trainingspläne zu. „Und auch ihr Gewicht“, ergänzt Radonic und fügt lachend hinzu: „Es hilft, wenn sie wissen, dass ich da draufschaue.“ Manche, erzählt sie, stehen aber auch schon nach ein paar Wochen wieder da, weil sie sich allein doch nicht aufraffen können zum Sport treiben. Viele aber haben es geschafft, ihr Level zu halten.

Dräger braucht die Hilfe von Marion Radonic nicht. Und dieser ist auch bewusst, dass sich nicht jeder einen Personal Trainer leisten kann oder will. Eine geeignete Gruppe zu finden, weiß Vereinsmensch Radonic, um dort unter professioneller Anleitung Sport zu treiben, kann den gleichen Anreiz schaffen. Etwa mit Helga Dräger und ihren Nordic-Walking-Freundinnen von der LG Esslingen.