Wo geht’s lang mit der Schule der Zukunft? Kultusministerin Theresa Schopper (zweite von rechts) diskutierte in Neuhausen mit Schulleiterin Ulrike Pisching (links), der Landtagsabgeordneten Andrea Lindlohr und Bürgermeister Ingo Hacker. Foto: Ines Rudel

Kultusministerin Theresa Schopper erläutert und diskutiert bei einem Gesprächsabend in Neuhausen, wie eine „Schule mit Zukunft“ aussehen soll. Sprachförderung nicht nur für migrantische Kinder ist ein Schwerpunkt des vielfältigen Themas.

Die Schule der Zukunft tanzt auf vielen Hochzeiten gleichzeitig. Digitalisierung, Ganztag, Sprachförderung, Migrantenanteil, Lehrermangel, Demokratieförderung, Bildungsgerechtigkeit: Auf diesen und anderen Hotspots gibt eine bisweilen dissonante Musik ganz unterschiedliche Takte vor. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hat den mehrfachen Spagat gewagt und in der Neuhausener Schule am Egelsee eine pädagogische Sohle aufs multiple Parkett gelegt.

„Schule mit Zukunft“ lautete das offizielle Thema des Gesprächsabends auf Einladung von Andrea Lindlohr, Grünen-Landtagsabgeordnete im Wahlkreis Esslingen. Konkreter Anlass: die vor rund zwei Monaten im Landtag beschlossene Reform des baden-württembergischen Schulgesetzes. Diese Neufassung hat allerdings einen klaren Fokus, und der liegt auf Sprachförderung und dem Start an der Grundschule: damit die ABC-Schützen ihrem Namen Ehre machen und möglichst das ABC auch treffen.

Dabei geht es eindeutig um – nicht nur migrationsbedingte – Sprachdefizite. Aber sie stehen in einem weniger eindeutigen Kontext mit anderen soziokulturellen Phänomenen. In ihrem einleitenden Statement stellte Lindlohr zwei Daten gegenüber, die nichts miteinander, aber viel mit der Schule zu tun haben: „Vor gut zwei Jahren wurde ChatGPT eingeführt. Und: Die Hälfte der Grundschulkinder im Land hat einen Migrationshintergrund.“ Ihr Fazit: „Wir dürfen nicht stehenbleiben als Land.“ Deshalb habe sie sich als Abgeordnete für die Stärkung der Grundschule eingesetzt.

Schlusslichter als Vorbilder

Und Schopper wurde nicht müde zu versichern, dass das Land nicht stehengeblieben ist. Seit den ersten Alarmsignalen bei Grundschulvergleichstests habe man Maßnahmen ergriffen und hohe Investitionen nicht gescheut, etwa 347 Sprachfördergruppen an Kitas eingerichtet, die im kommenden Kitajahr auf 1014 Gruppen erweitert werden. Man orientiere sich an den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin, die früher bei Grundschulvergleichen stets die „rote Laterne“ getragen und mittlerweile die Schlusslichter erfolgreich abgegeben hätten.

832 Juniorklassen sollen bis 2028 landesweit an den Grundschulen eingerichtet werden und die bisherigen Förderklassen ersetzen: Auch sie zielen auf die systematische Förderung von Kindern mit Schwierigkeiten oder Defiziten beim Schulstart. Schopper betonte ebenso wie Ulrike Pisching, die Leiterin der Egelsee-Schule, dass auch etliche Kinder mit Deutsch als Muttersprache Sprachförderung brauchen. Wobei sich das Thema Migration in Neuhausen anders darstelle als in Stuttgart, wo „bei einem Migrantenanteil unter den Schülern von bis zu 97 Prozent an manchen Grundschulen Deutsch nicht mehr die vorherrschende Sprache ist“. Doch egal welche Muttersprache: Die Sprachkompetenz nimmt generell ab, meinen Kultusministerin und Rektorin. 40 Prozent der Eltern, so Schopper, lesen ihren Kindern nicht mehr vor: Indiz und teilweise auch Ursache für einen Verlust an Tiefe und Nuancenreichtum der Sprache. Pisching wiederum wies auf „Sprache als Zugang zu allem“ hin. Also als Hürde für alles, wenn man sie nicht beherrscht. Auch ein mathematisch noch so kluger Kopf vermasselt die Textaufgabe, wenn er sie nicht versteht.

In Juniorklassen sollen Kinder mit Sprach- oder Lerndefiziten gezielt gefördert werden. Foto: dpa/Armin Weigel

Für Pisching als Leiterin eines Verbunds aus Grund- und Gemeinschaftsschule ist die Forderung nach Bildungsgerechtigkeit quasi institutionalisiert. Und die Förderung von Bildungsgerechtigkeit individualisiert. Damit hält sie sich an die nur scheinbar paradoxe Feststellung der Kultusministerin: „Gleichbehandlung ist nicht gleich Gerechtigkeit.“ Alle Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten mitzunehmen auf dem langen Weg zum Schulabschluss, ist für Pisching die Mission der Gemeinschaftsschule. Schülersprecherin Helin Rashid bestätigte der Rektorin: „Man kann hier auf dem Niveau arbeiten, das zu einem passt, und kommt trotzdem weiter.“

Bekenntnis zur Gemeinschaftsschule, Kritik am Ganztag-Rechtsanspruch

Bei der Gelegenheit legte gleich auch Neuhausens Bürgermeister Ingo Hacker ein Bekenntnis zu der Schulart ab: „Wir halten an der Gemeinschaftsschule fest, auch wenn sie politisch gerade mal nicht en vogue sein sollte.“ Weniger einig ist Hacker mit dem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen, der ab 2026 stufenweise wirksam wird. Der Bund habe sich hier auf Kosten der Kommunen „elegant aus der Finanzierung herausgemogelt“, und Ministerpräsident Kretschmann habe trotzdem via Bundesrat zugestimmt. Da musste Schopper ihren Chef und Parteifreund denn doch in Schutz nehmen: „Er hat im Vermittlungsausschuss noch einiges herausgeholt an Bundesmitteln.“

Schopper sieht den Ganztag als Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit, die ihr zufolge nicht identisch ist mit einer maximalen Übergangsquote aufs Gymnasium: „Auch Realschulen brauchen starke Schüler. Sonst ist das erstrebenswerte Peer Learning – das Voneinander-Lernen – nicht möglich.“ Wenn sie merke, dass bei der Einschulung schon das Abitur eingeplant sei, kriege sie einen „Ausschlag“, ärgerte sich die Kultusministerin und hob die „Durchlässigkeit“ des Systems bis in die Phase der beruflichen Bildung hervor.

Manchmal lieber Stift und Papier statt iPad

Der Ganztag, so Schoppers Anliegen, müsse aber gestaltet werden („die Schüler sollen nicht das Gefühl haben, immer im Unterricht zu sein“). Pisching sieht sich da auf einem guten Weg dank der Kooperation mit Neuhausener Vereinen oder auch externen Experten, zum Beispiel zum Thema Digitalisierung. Apropos: Manchmal, gibt Schülersprecherin Helin Rashid zu verstehen, brauchen die Lehrer ein bisschen Nachhilfe vonseiten der Digital Natives. Die aber keineswegs digital naiv sind, sondern Grenzen kennen, wie ebenfalls Rashids Worten zu entnehmen war: „Wenn wir nur mit iPad arbeiten, bringt uns das auf dumme Gedanken. Manchmal sind Stift und Papier besser.“

Reform des Schulgesetzes

Schwerpunkt
Das reformierte baden-württembergische Schulgesetz, das im Januar dieses Jahres vom Landtag verabschiedet wurde, legt einen Schwerpunkt auf die Grundschule und insbesondere auf die Sprachförderung. Schülerinnen und Schüler mit entsprechendem Förderbedarf sollen bereits vor dem Schulstart an Sprachfördergruppen in der Kita teilnehmen, danach in sogenannte Juniorklassen aufgenommen werden. Bis 2028 sollen rund 4200 solcher Gruppen (derzeit bestehen 347) sowie 832 neue Juniorklassen eingerichtet werden.

Gymnasium
Im Reformgesetz ist auch die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium näher geregelt. In den ersten Gymnasialklassen sollen Basiskompetenzen in Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache gestärkt werden. Später werden Schwerpunkte unter anderem auf Demokratie- und Medienbildung, technische Fächer sowie berufliche Orientierung gelegt.