Von der Warteschlange am Gemüsestand aus lassen sich Charakterstudien durchführen. Foto: picture alliance/dpa/Arne Dedert

Die thailändische Frau des Metzgers ist zurück, dafür landeten die Koffer eines Kunden in Houston/Texas. Auf dem Wochenmarkt erfährt man einiges über das Leben der anderen Menschen, hat unsere Autorin festgestellt.

Sätze, die man im Vorbeigehen aufschnappt, sind wie kleine Gucklöcher ins Leben der anderen. So als ginge man durch eine nächtliche Straße und blickte kurz in ein erleuchtetes Fenster, in dem die Bewohner wie in einem Schaukasten kurze Szenen ihrer Existenz aufführen.

Vieles bleibt rätselhaft, manches kommt kurios daher. Oft vergisst man das Gehörte gleich wieder, manchmal aber überlegt man eine Weile („Was könnte gemeint sein?“), spinnt kleine Geschichten über die Urheber der Sätze weiter. Auch der Wochenmarkt kann ein Ort sein, an dem in wenigen Worten das große Spiel des Lebens kondensiert.

„Einer ist immer der Packesel!“

„Soso, haben sie es auch geschafft!“, sagt zum Beispiel die Frau in der Warteschlange am Gemüsestand zu einem Mann, der im Gefolge seiner Frau vorbei tappst. „Ja, ich bin heut’ der Packesel“, sagt der Angesprochene und zeigt auf die vollen Taschen und Tüten über seinen Schultern. Worauf die Frau mit einer Plattitüde antwortet, deren philosophische Dimension und Welterklärungspotenzial sich erst im Nachhall erschließen: „Einer muss halt immer der Packesel sein!“

Überhaupt lassen sich vom Gemüsestand aus wunderbar Charakterstudien durchführen. Da unterhalten sich zwei Frauen, ob sie zum Einkaufen mit Liste oder ohne losziehen. „Ich kaufe spontan und nach Auge“, erzählt die eine, während die andere das nicht brauchen kann: „Ich hab immer einen Plan“, sagt sie – dabei trägt ihre Gesprächspartnerin eigentlich den Fahrradhelm mit Regenschutzüberzug (obwohl es nicht regnet).

Aufschlussreich ist das Einkaufsverhalten vieler Paare, egal welcher Generation: Oft steht sie in der Schlange an, er schwirrt aus, um an weniger gut besuchten Ständen die Aufträge der Partnerin abzuarbeiten. Allerdings nicht, ohne sich zwischendurch rückzuversichern: „Wie viel Salami noch mal?“, ruft er herüber. „Schnitzel oder Steak?“ Auch am Käsestand will er nichts falsch machen, sich aber durchaus proaktiv einbringen: „Sollen wir mal den mit der roten Rinde probieren – oder findest du den nicht so cool?“ Egalitärer aufgestellte Lebensgemeinschaften überlegen hingegen gemeinsam, was sie für die Quiche brauchen: Zwiebeln, Lauch. „Karotten haben wir noch daheim!“ – „Vielleicht Rosenkohl?“ – „Hm, dann essen uns die Kinder das wieder nicht!“

Am Metzgestand wiederum verschränken sich die großen Zeitfragen (Globalisierung, Migrationspolitik) mit der aktuellen Wurst(aus)lage. Ein Mann erzählt seiner Bekannten, dass sie in Guatemala waren, aber die Koffer leider in Houston/Texas Urlaub machten. „Man wundert sich sowieso, wie das immer klappt kreuz und quer durch die Welt“, sagt seine Mitwartende, und es bleibt unklar, ob sie nur die Koffer meint. Währenddessen ist eine andere Kundin entzückt, dass der Stand endlich wieder diese vorzüglichen Frühlingsrollen anbietet. „Ja, die Frau von meinem Onkel ist wieder da“, erzählt der Metzger. Die sei Thailänderin, habe aber trotz ihres deutschen Ehemannes kürzlich ausreisen müssen. Nun sei sie mit Aufenthaltsgenehmigung zurück. „Happy End“, sagt die Kundin. Für das Metzgerpaar – und die (Markt-)Gesellschaft.

Lauschangriff In loser Folge erzählen wir in unserer Serie von Gesprächen aus dem Alltag, die nicht zu überhören sind.