Fehlende Marktzugänge, ideologische Kontrolle: Das Geschäft für europäische Firmen läuft in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt längst nicht mehr rund – unter anderem deswegen, weil die Staatsführung den Privatsektor systematisch zurückdrängt.
An Ratschlägen mangelt es Jens Eskelund wahrlich nicht. Im alljährlichen Positionspapier hat der Präsident der europäischen Handelskammer in Peking immerhin über 1000 Empfehlungen präsentiert. „Jetzt ist die Zeit der Taten“, sagt der Däne. Die Gretchen-Frage ist jedoch nicht, was zu tun wäre, um das Geschäftsklima in China für internationale Firmen zu verbessern. Im Kern geht es darum, ob die chinesische Staatsführung dies politisch überhaupt möchte.
Ein Blick auf den Status quo: Im zweiten Quartal wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft um 4,7 Prozent. Was nach viel klingt, bedeutet im chinesischen Vergleich eine deutliche Verlangsamung im Vergleich mit den ökonomischen Boom-Jahren. Überhaupt ist das BIP-Wachstum im Reich der Mitte aufgrund der notorischen Intransparenz des Systems eher als grober Richtwert zu sehen.
Der Konsum der Privathaushalte in China ist extrem niedrig
Fakt ist: Das Land steht vor massiven Problemen – und die reichen von der immensen Verschuldung der Lokalregierungen über die anhaltende Immobilienkrise bis hin zur hohen Jugendarbeitslosigkeit.
Nicht nur europäische Wirtschaftsvertreter, sondern auch chinesische Ökonomen fordern, das Land solle seinen in den 1980ern eingeschlagenen Reformkurs fortführen. Es bräuchte Pragmatismus statt Ideologie, einen Fokus auf Öffnung statt nationaler Sicherheit. Vor allem müssten die chinesischen Haushalte gestärkt werden. Diese besitzen gemessen am Bruttoinlandsprodukt ein viel zu kleines Stück vom Wohlstandskuchen. Ein Fakt, der in einem historischen Rekord resultiert: In keiner anderen großen Volkswirtschaft ist der Konsum der Privathaushalte derart niedrig wie in China.
Doch insbesondere Ökonomen mit politischem Blick argumentieren, dass Staatschef Xi Jinping vor allem an einem starken Staat interessiert ist. Ein breiter Wohlstand für die Bevölkerung hingegen dürfte auch Bedürfnisse wecken, die in den Augen Pekings unerwünscht sind – etwa die Forderung nach politischer Partizipation.
Fest steht: China stärkt derzeit weniger die Privathaushalte, sondern vor allem seine Produktionskapazitäten – und möchte sich trotz massiver Überkapazitäten und winzigen Gewinnmargen aus der Krise heraus exportieren. Besonders ersichtlich wird dies beim Blick auf die aktuellen Handelszahlen mit Deutschland: Während Chinas Exporte im August um 21,3 Prozent stiegen, brachen die chinesischen Importe aus Deutschland um 17 Prozent ein. Aber auch mit den meisten anderen Handelspartnern aus Europa hat China einen massiven Überschuss zu verzeichnen.
Versprechungen, die nicht eingelöst werden
EU-Kammerpräsident Eskelund zeigt sich ermüdet von all den wiederholten Versprechungen der Regierung, die oftmals nicht eingelöst wurden. Marktzugänge, die China mit Eintritt in die Welthandelsorganisation (WTO) 2001 in Aussicht stellte, bleiben bis heute verschlossen. Auch beim Thema geistiges Eigentum gibt es zwar eine solide Gesetzgebung, jedoch keine einheitliche Umsetzung. So sind Chinas Online-Plattformen und teilweise auch Einkaufszentren voll von ausländischen Fake-Produkten.
Gleichzeitig wird es immer schwerer, sich ein akkurates Bild vom Zustand der chinesischen Volkswirtschaft zu machen. Seit Jahren gibt es den Trend, dass Statistiken nicht mehr publiziert werden oder kritische Ökonomen einen Maulkorb verpasst bekommen.
Dass auch ausländische Wirtschaftsvertretungen immens unter Druck stehen, hat Präsident Eskelund nun so offen wie selten dargelegt: „Vor gemeinsamen Treffen mit Regierungsvertretern wird uns manchmal gesagt, dass bestimmte Gesprächsthemen tabu sind. Und wir werden zunehmend darum gebeten, Reden vorher einzureichen und positive Energie zu verbreiten“, sagt Eskelund: „Natürlich mögen wir es, positiv zu sein, aber es gibt auch Themen, bei denen es für uns möglich sein muss, die Dinge so zu sagen, wie wir sie sehen.“
Der Staat giert nach Kontrolle und Besitz
Doch das politische Kernproblem kann im Prinzip nurmehr von außenstehenden Beobachtern offen ausgesprochen werden. Einer von ihnen ist der US-Wirtschaftsexperte David Hoffman, der über 30 Jahre als Geschäftsentwickler in China gearbeitet hat. Sein Blick auf den derzeitigen Kurs der Volksrepublik fällt ernüchternd aus: „Wir befinden uns eindeutig auf dem Weg zu einer hochgradigen, wenn nicht gar vollständigen Planwirtschaft, die irgendwann auch eine gewisse Verstaatlichung beinhalten könnte“, sagt Hoffman in einer aktuellen Folge des Fach-Podcasts „Pekingology“: „Wir werden sehen, dass der Staat die Kontrolle über die großen Immobilienentwickler, Risikokapitalgeber und Aktiengesellschaften hat. Alles wird unter staatlicher Kontrolle, wenn nicht gar in staatlichem Besitz sein.“
Dies mag eine pessimistische Sichtweise sein, doch sie wird von Indizien gestützt. Schon jetzt dürfen Privatbetriebe in China nur noch dann florieren, wenn sie ihre Loyalität zur kommunistischen Partei demonstrieren und sich den nationalen Interessen unterordnen. Und während einige Verbrauchermärkte in China nach wie vor relativ offen sind, bestimmt der Staat in Kernindustrien längst die Spielregeln.
Insofern ist es korrekt, wenn Ökonom Hoffman sagt: „Die Chancen für westliche Unternehmen in China sind eng verbunden mit der Notlage des Privatsektors.“