Vielen Handwerksbetrieben fehlen Auszubildende. In Weilimdorf gehen Firmen jetzt in die Offensive, um junge Menschen für ihre Berufe zu begeistern.
Eltern empfehlen ihren Kindern oft, länger zur Schule zu gehen oder nach dem Abschluss zu studieren, sagen Lehrer. Das mag für manche der richtige Weg sein, doch viele Handwerksfirmen erhalten deshalb immer weniger bis gar keine Bewerbungen auf ihre Lehrstellen. Die Folgen spüren die Unternehmen, aber auch die Kunden. An der Gemeinschaftsschule Weilimdorf gehen Handwerker daher in die Offensive, um junge Menschen für ihre Berufe zu begeistern. Unterstützt werden sie dabei von der Talent Company.
Es ist der erste Samstag im Februar und an der Gemeinschaftsschule ist für die achte bis zehnte Stufe Berufsinformationstag. Im Raum des Handwerks lauschen Schülerinnen und Schüler einigen Vertretern örtlicher Handwerksbetriebe, die ihnen ihre Berufe näherbringen. „Ich will Industriekaufmann werden. Handwerk ist nicht so meine Stärke“, sagt der 16 Jahre alte Hilton. Die Neuntklässlerin Jasmina sieht das ähnlich: „Handwerk interessiert mich nicht.“ Erzieherin ist ihr Wunschberuf. Der 15-jährige Alexei dürfte den Ausbildern Hoffnung machen, denn er sagt: „Ich möchte Koch werden, Elektriker fand ich aber auch einen interessanten Beruf.“ Die anwesenden Elektriker, Maler, Flaschner, Zimmerer und Unternehmer für Tief- und Innenausbau haben etwas gemeinsam: Sie suchen dringend gute und motivierte Auszubildende.
Elektriker sind Mangelware
„Ich habe zwei Azubistellen, aber zuletzt null Bewerber“, sagt Sebastian Bisanz von der Bauflaschnerei Zeltwanger. Er sucht Spengler, auch Flaschner genannt, „aber viele kennen den Beruf nicht mehr, denken, das gehöre zum Sanitärbereich“. Dabei arbeite man als Spengler mit Blech, etwa im Bauwesen. Auch Zimmerer Friedrich Büttner kennt Jahre, in denen auf eine Stelle nur ein Bewerber käme. „Das heißt nicht, dass der die Stelle dann auch bekommt“, sagt er. Besser geht es da Frank Dietrich, der in seinem Unternehmen Elektriker ausbildet. Bei ihm seien es mehr Bewerber, allerdings gab es einst auch mehr Elektriker in Weilimdorf. „Früher waren es zirka acht. Heute gibt es noch uns und ein bis zwei Einmannbetriebe“, betont er.
Die Unterschiede kennt man auch bei der Handwerkskammer (HWK) in der Region Stuttgart. „Die Top Ten Ausbildungsberufe sind seit Jahren stabil. Die meisten Azubis gibt es bei den Kraftfahrzeugmechatronikern, gefolgt von den Anlagenmechanikern für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik und den Elektronikern der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik. Auf Platz vier sind die Friseure“, zählt die HWK-Presseprecherin Christina Dierschke auf. Klimaberufe seien nachgefragter. Im Bauwesen und im Nahrungsmittelbereich fehle es dagegen an Azubis. Wie viele Lehrstellen in Stuttgart jedes Jahr unbesetzt bleiben, dazu habe man keine offiziellen Zahlen, da die Betriebe diese nicht melden müssten. „Wir schätzen, dass jeder vierte Ausbildungsplatz unbesetzt bleibt“, sagt Dierschke.
Karrieremöglichkeiten sind vielfältig
Wieder mehr Interesse für ihre Berufe zu wecken, hoffen die Weilimdorfer Betriebe mithilfe des Fachraums der Talent Company, der 2023 an der Gemeinschaftsschule eingerichtet wurde. Der von der Strahlemann-Stiftung realisierte Raum ist multimedial ausgestattet. „Der Mehrwert für uns als Schule ist groß“, sagt der Wirtschaftskundelehrer Markus Trostel. Denn hier können die Jugendlichen sich das ganze Schuljahr über Berufe und Betriebe aus ihrer Region genauer anschauen, ganz ohne Noten- und Leistungsdruck. „Wir als Handwerker überlegen auch, was wir den Schulen anbieten können. Wir lösen uns beispielsweise gerne vom Wochenpraktikum hin zum Zweitagespraktikum“, sagt Malermeister Kay Oberger.
Es geht um die Zukunft des Handwerks. Christina Dierschke: „Die Karrieremöglichkeiten sind vielfältig. Ideal wäre es, wenn die Azubis von morgen die Chefs von übermorgen werden, denn tausende Betriebe in der Region Stuttgart suchen in den nächsten Jahren einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Gibt es keine geeigneten Übernehmerinnen oder Übernehmer, müssen die Betriebe schließen.“