Gedenkort für die Opfer der NS-„Euthanasie“-Morde in Berlin Foto: Nikolaus Koliusis /Nikolaus Koliusis

„Das Blau hilft uns allen“ ist sich der Stuttgarter Künstler Nikolaus Koliusis sicher. Der von ihm mit konzipierte Gedenkort für die Opfer der NS-„Euthanasie“-Morde in Berlin ist vor zehn Jahren eröffnet worden. Am Montag betonte Bundespräsident Steinmeier die Bedeutung des Gedenkortes.

Der Stuttgarter Objektkünstler Nikolaus Koliusis sieht das Blau als „das Verbindende dieser Welt“. Als solches ist das Blau jedoch auch immer gefährdet. Am deutlichsten markiert Koliusis diese Position mit dem Gedenkort für die Opfer der NS-„Euthanasie“-Morde in Berlin – 2014 an der Adresse Tiergartenstraße 4 an jener Stelle errichtet, an der sich von 1940 an die Planungs- und Verwaltungszentrale der „Aktion T4“ befand, Decknamen für den Massenmord an Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten in Hitler-Deutschland.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montag am Gedenkort Tiergartenstraße 4 Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Eine blaue Glaswand durchzieht das Areal. Wer ist draußen, wer ist drinnen? Koliusis sieht das Blau als eine Möglichkeit, die „den Menschen dabei hilft zu verstehen, dass wir alle zusammen gehören“ und sagt: „Nein das Blau trennt weder das Hintere vor dem Vorderen, weder die Menschen die sich vor noch hinter dem Blau bewegen.“ Und er summiert: „Es trennte mich aber auch nicht von einer Verantwortung gegenüber dem früheren und dem jetzigen Tun.“

Bundespräsident Steinmeier warnt

Eben darüber spricht am Montag auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Gedenkorts für die Opfer der NS-„Euthanasie“-Morde in Berlin. „Die Erfahrung der Vergangenheit muss uns zur Wachsamkeit heute führen. Niemand hat über den Wert eines anderen Menschenlebens zu entscheiden“, sagt Steinmeier – und fügt hinzu: „Ich gebe zu, dass ich hin- und hergerissen bin zwischen der Freude darüber, dass wir heute das zehnjährige Bestehen dieses Gedenkortes, ja: feiern können – aber gleichzeitig auch der Beschämung darüber, dass es erst zehn Jahre sind.“ Der Bundespräsident warnt in der Folge vor aktuellen Versuchen, die Verbrechen des Nationalsozialismus abzustreiten. Es habe in Deutschland einen Willen zur Vernichtung gegeben, der ohne Beispiel ist. „Es gibt Menschen, es gibt politische Kräfte, die das heute wieder bestreiten, relativieren oder kleinreden“, sagte Steinmeier. „Man sieht das, man hört das und ist abgrundtief beschämt.“

300 000 Ermordete

Fast 200 000 Menschen, deren Leben als „lebensunwert“ bezeichnet wurde, starben von 1939 bis 1945 – in den Gaskammern von Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Pirna, Bernburg und Hadamar. Knapp 11 000 allein in Grafeneck im Landkreis Reutlingen. Seit 1990 ist in Grafeneck eine Gedenkstätte eingerichtet, seit 2005 ein Dokumentationszentrum. Das „Euthanasie“-Morden geschah nach 1941 bewusst dezentral – insgesamt geht man von 300 000 Opfern aus.

Aufforderung zum Hinschauen

Lange beschäftigt sich Nikolaus Koliusis mit den „Euthanasie“-Morden in Hitler-Deutschland. Mit der Beteiligung von Ärztinnen und Ärztinnen, Pflegerinnen und Pflegern, mit der auch ökonomischen Logik des Mordens. Und er notiert für das Projekt, das er gemeinsam mit der Architektin Ursula Wilms und dem Landschaftsarchitekten Heinz W. Hallmann realisiert, scheinbar einfache, aber doch tief greifende Gedanken: „Verstehen Sie bitte diesen Ort als einen Moment, der ihnen Zeit lässt, trainieren Sie das Hinschauen, trainieren Sie ihr eigenes Nicht Wegschauen!.“ Und weiter: „Schauen sie im Blauen. Es ist eine einfache Sache und doch eine, das werden Sie erleben, schier unendliche Angelegenheit.“

Für unser Miteinander verantwortlich

„Seit dem 2. September 2014 erinnert die Bundesrepublik Deutschland mit dem Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde an diese Verbrechen mit ihren Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein“, heißt es in den Informationen zum Areal Tiergartenstraße 4. „Das Blau“, beschließt Nikolaus Koliusis seine Notizen zur Gedenkstätte hoch aktuell, „hilft uns allen, seien Sie sich der Welt sicher. Erleben wir, dass wir für unser Miteinander verantwortlich sind“.