Das Länderspiel gegen Polen ist für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft richtungsweisend – auch für den Bundestrainer. Hansi Flick äußert sich zu Kritik.
Vielleicht tut die Luftveränderung ja einfach gut. Nun hat Hansi Flick auch auf dem Trainingsplatz am Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die vergangenen Tage keinen missmutigen Eindruck gemacht. Im Gegenteil: Scheinbar entspannt beobachtete der 58-Jährige die von seinem Assistenten Danny Röhl lautstark geleiteten Übungen, sprach mit einzelnen Spielern, klatschte nach gelungen Ballstafetten selbst Beifall. Nun steht mit dem Test gegen Polen an diesem Freitag (20.45 Uhr/ARD) die erste Herausforderung seit der auf allen Ebenen misslungenen WM in Katar das erste Spiel abseits der Landesgrenzen an. Und wie kaum eine andere europäische Metropole hat Warschau in den letzten 30 Jahren ihr Gesicht verändert.
Wer länger nicht mehr hier war, erkennt die Stadt kaum wieder. Die Skyline der polnischen Hauptstadt wächst in atemberaubenden Tempo, gefühlt jede Woche wird ein neues Hochhaus errichtet. So rasch können neue Bauten in der deutschen Hochhäuser-City Frankfurt gar nicht in den Himmel schießen. Im vergangenen Jahr wurde mit dem Varso Tower im einst vom Kriege völlig zerstörten Zentrums Warschaus das höchste Gebäude der EU fertiggestellt. Der Neubau überragt locker den im stalinistischen Zuckerbäckerstil errichteten Kulturpalast.
Alarmstimmung vor dem 1000. Länderspiel
In dieser geschichtsträchtigen Umgebung steht Deutschlands Nationalmannschaft vor einer wegweisenden Aufgabe: Bei der EM 2024 will man „vereint im Herzen von Europa“ – so der Slogan – eine Aufbruchsstimmung vermitteln. Deshalb löste die nicht erst jetzt zu beobachtende Verzwergung der einst führenden Fußball-Nation nach dem 1000. Länderspiel Alarmstimmung aus. Es ist nicht mehr selbstverständlich – allen Treueschwüren von Sportdirektor Rudi Völler zum Trotz – , dass Flick bei den nächsten Länderspielen im September gegen Japan und Frankreich noch in Amt und Würden ist. Drei sieglose Auftritte mit der DFB-Auswahl im Juni kann sich der Fußballlehrer kaum leisten.
Am Donnerstagabend auf der Pressekonferenz wehrte sich Flick gegen die mediale Schelte der vergangenen Tage. „Die Kritik müssen wir uns gefallen lassen, das ist okay. Es ist auch okay, wenn es sich auf meine Person fokussiert. Ihr könnt gerne mich kritisieren, aber lasst die Spieler nach einer langen Saison draußen.“ Gleichwohl gab er auch zu: „Wir haben die letzten Spiele drei Tore gefangen: Das ist nicht unser Anspruch.“
Flick enttäuscht über öffentliche Resonanz
Dass sogar der bislang nicht als Fußballkenner aufgefallene Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier meinte, er müsse „mehr Herz und Leidenschaft“ einfordern, nur weil er jetzt das ziemlich wilde Jubiläumsspiel gegen die Ukraine (3:3) im Bremer Weserstadion gesehen hat, ist dem Bammentaler nicht entgangen. Enge Wegbegleiter erzählen, dass Flick über die öffentliche Resonanz enttäuscht ist – ein Jahr vor dem Heimturnier müssten doch alle zusammenstehen. Er werde seinen Weg fortsetzen, kündigte er im polnischen Nationalstadion an: „Es geht weiter. Wir müssen wieder aufstehen. Wir werden unseren Weg fortsetzen.“ Es wäre nur gut, wenn die Richtung deutlich wird – und Flick sich wie in seiner Anfangszeit beim FC Bayern rasch auf eine Achse verständigt. Noch steht das schwarz-rot-goldene Gerüst nicht.
Hoffnungsträger Gündogan pausiert gegen Polen
Eine tragende Rolle wünschen viele Ilkay Gündogan, der aber erst am Donnerstag bei der DFB-Auswahl ins Training einstieg, an diesem Freitag noch pausiert und erst im dritten Länderspiel gegen Kolumbien in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen (Dienstag 20.45 Uhr/RTL) eingeplant ist.
Es zeichnet sich ab, dass das Prestigeduell gegen Polen – das 23. Länderspiel (bisher zwölf Siege, sieben Remis und drei Niederlagen) in der Amtszeit von Flick – für den Bundestrainer richtungsweisend ist. Wendepunkt oder fast schon Endpunkt in einer Stadt im ständigen Wandel.