Die belgischen Fans pfeifen die Mannschaft in Stuttgart nach dem schwachen Auftritt gegen die Ukraine aus – und Trainer Domenico Tedesco zettelt eine Anreisedebatte an, die die Polizei kontert.
Klar, Domenico Tedesco mag als Fußballlehrer einstudierte Abläufe. Vorgegebene Wege, Struktur, verlässliche Aktionen. Auf dem Platz. Und daneben. So ist die Geschichte überliefert, dass der Trainer des belgischen Teams im Rahmen der Trainingsplatz-Suche die Wege abgefahren hat rund ums Teamquartier, dem Schlosshotel in Ludwigsburg – und sich mit seinem Stab für das Areal des SGV Freiberg entschied anstatt für das eigentlich angedachte Bietigheim. Weil auf dem Weg dorthin unter anderem weniger Ampeln stehen und man so mit dem Bus schneller durchkommt zum Training.
Die Strecke zur EM-Arena in Stuttgart ist Tedesco mit dem Blick aufs dritte Gruppenspiel der Belgier am Mittwochabend gegen die Ukraine nicht abgefahren. Denn da war ja klar, dass am Spieltag eine Polizeieskorte den Weg ebnet. Da braucht es keine Ortskenntnisse des in Aichwald aufgewachsenen Tedesco.
Doch dann kam alles anders als gedacht und erhofft. Denn Belgien kam nicht ins Rollen. Auf dem Platz, beim schwachen Auftritt beim 0:0 gegen die Ukraine. Und auch vorher, bei der Anfahrt zum Stadion – was Tedesco massiv verärgerte. Der Coach widmete sich auf dem Podium den in seinen Augen widrigen Umständen bei der Bus-Anreise mit einer Polizei-Eskorte vom Hotel in Ludwigsburg aus: „Wir sind erst eine Stunde vor dem Spiel am Stadion angekommen, die Straßen waren frei, wir fahren mit 20 bis 25 Stundenkilometern und bleiben bei jeder Ampel stehen, unglaublich.“ In der Hektik nach der Ankunft hätte die Mannschaft das Aufwärmprogramm reduzieren müssen, zudem hatte Tedesco eigenen Angaben zufolge nur noch zwei Minuten Zeit für eine Ansprache ans Team.
Auf Anfrage unserer Redaktion nahm Frank Belz, EM-Sprecher des Stuttgarter Polizeipräsidiums, am Donnerstag Stellung zu den Vorwürfen Tedescos. „Aus polizeilicher Sicht ist während der Begleitung des belgischen Busses nichts ungewöhnlich verlaufen“, sagte Belz. Und: „Bereits im Vorfeld wurde dem belgischen Team und der Uefa seitens der Polizei korrespondiert, dass eine Anreisezeit von 40 Minuten als nicht ausreichend anzusehen ist. Die Polizei schlug eine Anreisezeit von 60 Minuten vor. Das wurde vom belgischen Verband abgelehnt.“
Weiter teilt Belz mit: „Seitens der Euro GmbH wurde im Vorfeld kommuniziert/vorgegeben, dass ein zeitlicher Abstand zwischen den Ankünften der beiden Teams herrschen soll – um diese Vorgabe zu erfüllen, wurde die Geschwindigkeit des belgischen Busses zeitweise gedrosselt.“ Belz betont weiter, dass die Gründe für die verspätete Ankunft durch das Beharren auf die 40 Minuten Fahrtzeit durch das belgische Team selbst gesetzt worden seien.
Noch deutlicher wurde später Polizeivizepräsident Carsten Höfler: „Die Kritik von Herrn Tedesco entbehrt jeder Grundlage, hier ist Eigenverantwortung statt Schuldzuweisung gefragt, insbesondere, wenn man hier ortskundig zu sein scheint“, sagte der am Mittwoch zuständige Einsatzleiter: „Umso mehr hätte unsere Empfehlung Anklang finden müssen.“
Belgiens Star Kevin De Bruyne wiederum setzte einen Schlusspunkt hinter die Anreise-Debatte. Die verspätete Ankunft sei „keine Entschuldigung“, sagte der Kapitän – und gab damit die Richtung vor. Keine Anreisefragen sind angesagt, auf die inhaltliche Arbeit kommt es an. Denn im Team der Belgier muss fußballerisch offenkundig einiges passieren, um im Achtelfinale in Düsseldorf gegen Frankreich bestehen zu können.
Der Auftritt in Stuttgart gegen die Ukraine war so schlecht, dass die eigenen Fans hinterher pfiffen – wodurch es zu erschreckenden Bildern aus belgischer Sicht kam. So beorderte Trainer Tedesco seine Jungs trotz der Pfiffe in die Kurve. Doch auch da geriet, wie bei der Anreise, etwas ins Stocken. Denn zunächst gingen, angeführt von De Bruyne, einige Spieler in Richtung der Fans. Doch auf halbem Weg gab der Kapitän angesichts der Unmutsbekundungen das Zeichen für die Umkehr. Belgien also kommt nicht in die Gänge. Auf allen Ebenen.
Immerhin, auf die Pfiffe und die Szenen danach reagierte Tedesco gelassen. So gelassen, dass es nicht viel Fantasie für die These brauchte, dass der Trainer mit der Manöverkritik zur Anreise womöglich bewusst eine Nebelkerze zünden wollte, um vom schwachen Spiel sowie den Pfiffen abzulenken – und den Fokus auf eine andere Sache zu richten. „Die Fans können unzufrieden sein“, sagte Tedesco also: „Aber wir brauchen sie, eine andere Botschaft habe ich nicht an sie.“