Ein Meer aus Schwarz-Rot-Gold: Tausende Fans des DFB-Teams auf dem Schlossplatz, mit einem bitteren Ende für die deutsche Mannschaft. Foto:  

Das „vorgezogene Finale“, von dem seit Tagen voller Vorfreude zu hören ist, fällt auf Stuttgart – auf die Stadt, die, wie ein Sommermärchen die Nation lehrte, viel schöner als Berlin ist. Die Host City wird schon vor dem Anpfiff zum Hexenkessel.

Sie haben gehofft, gebangt, gejubelt – und schlagen am Ende die Hände vors Gesicht. 30 000 Fans auf dem Stuttgarter Schlossplatz durchleben am Freitagabend mehr als zwei Stunden lang ein Wechselbad der Gefühle. Bereits lange vor Anpfiff ist die Fanzone geschlossen worden, Tausende müssen draußen bleiben und das Spiel anderswo anschauen. Und dann das bittere Aus der deutschen Mannschaft, das die Stimmung in der Stadt mit einem Schlag zunichte macht.

Dabei war die zuvor prächtig gewesen. Schon am Mittag hatten sich die Menschen in deutschen und spanischen Trikots in den Straßen gedrängt. Offenbar handelt es sich um ein besonders musikalisches Viertelfinale. Auf beiden Seiten haben sich jede Menge Musikanten eingefunden.

Ein ganz besonderer ist André Schnura, der Typ mit dem schwarzen Saxofon. Er ist lange vor dem Finale in Berlin der Europameister der Herzen. Wo immer der 30-Jährige mit dem Rudi-Völler-Trikot und der coolen Sonnenbrille auftaucht, flippen die Fußballfans aus. Am Freitag spielt er in der Stuttgarter City. Am liebsten ist der Rheinländer mittendrin statt nur dabei. Von Ordnern wird er mittenrein in die Schlossplatz-Fanzone geführt – mit Überraschungsgast David Garrett an der Geige. Die Stimmung kocht, alles singt und hüpft – genauso wie beim Auftritt von DJ Robin.

Die Spanier sammeln sich derweil vor allem auf dem Karlsplatz. Meeting Points nennen sich im Uefa-Sprech die Treffpunkte für die Fans – die Spanier suchen sich einfach ihren eigenen. Die eigentliche Ruhezone Karlsplatz mit ihren Schattenplätzen unter den Bäumen verwandelt sich in eine einzige Fiesta mit Musik und Tanz. Überall hört man Trommeln, Trompeten, Gesänge. „Adios Germany“ steht auf einem Plakat – der Spruch soll sich später bewahrheiten. Als ein Deutscher vorbeiläuft, wird ihm „Good Luck“ gewünscht und aus Hunderten von Kehlen erklingt: „Eviva Espana!“ Beste Partystimmung schon am Nachmittag.

Die deutschen Fans setzen sich zur gleichen Zeit in Bewegung und ziehen Richtung Stadion. Ein in Stuttgart beliebter Klassiker des Stadionliedguts wird leicht abgewandelt gesungen: „Zieht den Spaniern die Badehose aus!“ Von 9000 Teilnehmern an diesem Fanwalk spricht die Polizei. Zwei Stunden dauert der Gang vom Schlossgarten zum Stadion. „Schlaand bitte folgen“, steht auf einer digitalen Anzeigentafel auf dem vordersten Polizeifahrzeug. „Berlin hier entlang.“ Damit es ein farbenfrohes Spektakel wird, lässt der DFB-Fanclub zuvor im Schlossgarten 3000 Fahnen verteilen.

Enttäuschung bei den deutschen Fans, Jubel den spanischen Fans

Auch Sepp Maier ist da. Als Spieler ist er 1972 Europameister und 1974 Weltmeister geworden – der ehemalige deutsche Nationaltorhüter weiß also, wie man große Turniere gewinnt. Nun hat er sich mit seiner Unterschrift auf dem schwarz-rot-goldenen Golf eines VfB-Fans verewigt. Auf dem Auto haben schon alle aktuellen Nationalspieler unterschrieben, ebenso Maiers Ex-Teamkollege, der verstorbene Franz Beckenbauer. Mit Blick auf die Viertelfinalpartie meint die Fußball-Ikone vor Anpfiff: „Auf solche Spiele haben unsere Spieler sehr lange gewartet. Da hat man keine Angst, man hat gut trainiert, da freut man sich drauf. Die Gruppenspiele sind Vorgeplänkel.“

Und was bleibt nun von diesem denkwürdigen Abend in Stuttgart? Große Enttäuschung bei den deutschen Fans, Riesenfreude bei den spanischen, die in mehreren Kneipen feiern. Saxofon-Mann Schnura hat vielleicht die passende Botschaft für alle parat: „Je früher wir aufhören, unseren Gefühlen auszuweichen“, postet er schon vor dem Spiel im Internet, „desto eher finden wir inneres Glück.“ An diesem Abend dürften bei vielen große Gefühle aufkommen, auf die sie gut hätten verzichten können.

Kurz vor Spielende sorgt neben dem Verlauf der Partie noch ein Polizeieinsatz für Aufregung. Zahlreiche Einsatzkräfte gehen in die Fanzone. Der Grund: Mitarbeitende der Sicherheitsfirma hatten einen Mann mit einem Messer in der Hand gesehen. Sie verständigten die Polizei. Die durchsuchte den Mann und stellte das Messer sicher. „Es kam nach bisherigen Erkenntnissen aber zu keiner Bedrohungssituation“, sagt eine Polizeisprecherin.