Ein „ganz großer Glücksbringer“ ist für die Kabarettistin Sabine Schief und ihren auf den Rollstuhl angewiesenen Lebensgefährten Michael Munzinger ein nagelneues Reha-Tandem. Foto: Schief

Auch im Ausnahmezustand gibt es Glücksmomente. Die Kabarettistin, deren Partner im Rollstuhl sitzt, der Modehauschef, der Masken näht, die Musicalsänger, die im Netz miteinander musizieren, und zwei Autoren berichten darüber.

Stuttgart - „Das Leben ist schön, auch wenn alles dagegen spricht“, freut sich Sabine Schief. Seit über zwei Jahren ist es die schwäbische Kabarettistin gewohnt, mit ihrem behinderten Partner Michael Munzinger „jeden Tag 24 Stunden zu verbringen“. Die Coronakrise verlangt in dieser Hinsicht nichts Neues von beiden. Nach einer Gehirnblutung musste der KfZ-Meister um sein Leben kämpfen. Ohne den Glauben daran, dass es aufwärts geht, ohne diese starke Ausprägung von Optimismus hätten sie es kaum geschafft, sich nun als Glückspilze zu sehen.

Jetzt, da Sabine Schief ohne Auftritte immer daheim ist, wissen die Liebenden, was zu tun ist. „Wir halten uns aus“, erklärt sie ihr Glück, „das Aushalten, bis Michael in Aktion kommt, fällt mir jeden Tag ein bisschen leichter.“ Er wiederum hält die Quirlige aus, wenn sie sich schwertut beim Runterfahren.

„Ein ganz großer Glücksbringer“ für die beiden ist ein nagelneues Reha-Tandem. „Wundervolle Kolleginnen und Kollegen, zahlreiche Spender und zwei Organisatoren haben ermöglicht, dass wir es uns leisten konnten“, sagt Sabine Schief.

Die Zwangsentschleunigung zeigt positive Seiten

Die kleinste gemeinsame Glücksformel lautet jetzt: Alle mögen gesund bleiben! Die Maßstäbe verrücken, wenn nichts mehr ist, wie es mal war. Nun ist man mit weniger zufrieden als zuvor und kann schöne Momente umso intensiver auskosten.

Die Zwangsentschleunigung zeigt ihre positive Seiten. Ohne die Krise hätte man das Innehalten von allein kaum hinbekommen. Dabei ist es wichtig, mal in Ruhe darüber nachzudenken, was schief läuft in der Welt oder im eigenen Leben.

„Glück erlebe ich morgens, wenn die Sonne scheint“, sagt Marco Mangold, Chef einer der letzten kleinen inhabergeführten Modehäuser an der Königstraße. Bei der Gartenarbeit am Wochenende vergisst er die Sorgen um die 1882 gegründete Firma Koelble & Brunotte, die einst Hoflieferant des Königs war. 2018 hat der 46-Jährige das exklusive Traditionsgeschäft für Damen- und Herrenmode von Herta Kächele übernommen, die 63 Jahre lang die Chefin war und keinen Nachfolger finden konnte. Alle Verträge hatte sie bereits gekündigt.

Haute Couture vor Mund und Nase

Marco Mangold war auf einem guten Weg und galt mit seinem „Concept-Store“ als Geheimtipp – doch dann kam Corona. Auf ein Onlineangebot hatte Koelble & Brunotte „ganz bewusst“ verzichtet, weil da keine perfekte Beratung möglich sei. „Wir wollen Traditionen bewahren und ein Einkaufserlebnis bieten, das lange Zeit im Gedächtnis bleibt“, sagt der Chef.

Darauf müssen die Kunden nun warten. Den Lieferservice gibt es aber weiterhin. Und auch das Atelier ruht nicht. Die Schneider nähen Designermasken mit trendigen floralen Motiven. (Bestellungen an: shop@koelble-brunotte.de). Haute Couture vor Mund und Nase. Die Maske wird zum Modetrend. Etliche Promis weltweit setzen sich damit in Szene.

Höchste Sicherheit in der Abwehr von Coronaviren bieten diese schicken Exemplare nicht. Aber sie sind ein Hingucker und machen auf das Problem aufmerksam. Eines Tages werden die Stoffe ein Andenken sein an die harte Zeit. Zum Thema Glück fällt Marco Mangold noch mehr ein: „Glück ist für mich, dass meine Eltern – sie sind 80 und 82 Jahre alt – wohlauf sind, und dass meine Mitarbeiter von daheim aus so stark zusammenhalten. Wir haben extra eine WhatsApp-Gruppe gegründet, in der jeder jeden auf dem Laufenden hält – privat und geschäftlich.“

„In der Quarantäne sind eh alle fest genug“

Masken statt Schokohasen – so lautet das Motto in diesem Jahr bei der Kinderbuchautorin Sue Glanzner. „In der Quarantäne sind eh alle fett genug“, sagt sie, „da schenk’ ich lieber was Sinnvolles.“ Seit Tagen näht sie Masken mit lustigen Motiven, die dann den Freunden und der Familie vor die Tür gelegt werden. Glücksmomente erlebt sie, wenn sie mit Menschen am Telefon ganz nah ist. „Ich telefoniere plötzlich mit Leuten, von denen ich ewig nichts gehört habe“, berichtet die Autorin. Bei allem Ärger diene Corona, aus dem Hamsterrad zu steigen und herunterzukommen. „Ich hoffe, dass ein Teil davon danach so bleibt.“

Ein Spaziergang allein auf der Sünderstaffel macht glücklich

Wenn Patrick Mikolaj, der Blogger vom Unnützen Stuttgartwissen, über sein Glücksmoment der vergangenen Tage erzählt, hört man die Begeisterung in seiner Stimme: „Mein ausführlicher Stäffele-Spaziergang ganz alleine hat mich glücklich gemacht. Auf der Sünderstaffel ging’s hinauf. Dort oben gibt es wunderschöne alte Villen und eine großartige Aussicht auf die Stadt.“ Der Autor, der gerade mit dem Hashtag #stuttgartfrommywindow Ansichten der Stadt aus dem Fenster sammelt und damit für einen Hype gesorgt hat, begrüßt es außerdem, dass sich die Nachbarn in seinem Haus nun besser kennenlernen. „Man hilft sich gegenseitig, kommt im Treppenhaus durch Corona ins Gespräch, natürlich mit Sicherheitsabstand“, berichtet er. Dies sei eine schöne Entwicklung. „Bisher hat man sich lediglich beim aneinander Vorbeigehen gesehen.“

Das einstige Ensemble von „Miss Saigon“ singt im Netz

Bei keinem anderen Musical ist der Zusammenhalt so stark wie beim Ensemble von „Miss Saigon“, das vor über 25 Jahren in Stuttgart Premiere feierte. Der Whatsapp-Gruppe der einstigen Darsteller, der Bühnentechniker und Kostümbildner gehören rund um die Erde 241 Mitglieder an. Und überall legt das Coronavirus den Alltag lahm, überall ist Angst. In der Quarantäne, ohne Chance, öffentlich zu singen, kommen Erinnerungen an schöne Zeiten hoch.

Unvergessen ist das gemeinsame Singen in der Kantine des Stuttgarter Musicaltheaters, das spontan nach Aufführungen allen viel Spaß gemacht hat. „Wie schön wäre es jetzt, wir hätten wieder unser Kantinen-Singen“, war in der Whatsapp-Gruppe zu lesen. Für viele war dies pures Glück. Ende des Monats will man die digitale Möglichkeiten nutzen und sich zum Singen im Netz verabreden, nicht in der Kantine, sondern jeder daheim.

Glück im Unglück einer Pandemie wirkt viel stärker und viel intensiver als das Glück in gute Zeiten. Genießen wir unser tägliches kleines Glück!