Die Arbeiter auf dem Cannstatter Wasen können mit dem Abbau der Zelte anfangen. In den Festzelten wird zumindest im Frühling nicht gefeiert. Foto: Andreas Rosar

Die Stadt kommt einem Erlass des Landes nach und verbietet Großveranstaltungen. Das Frühlingsfest ist abgesagt. Auch Events mit weniger als 1000 Personen kommen auf den Prüfstand – allerdings wird hier im Einzelfall entschieden. Schausteller fürchten nun um ihre Existenz.

Stuttgart - Um einen sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen mit dem Coronavirus in Stuttgart zu verhindern, greift die Stadt zu weitreichenden Maßnahmen. Am Mittwoch hat Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) bei einer Pressekonferenz im Rathaus verkündet, dass Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern „mit sofortiger Wirkung“ untersagt oder verschoben werden.

Die Stadt folgt einer Weisung des Landessozialministeriums, die im Vorgriff auf eine Rechtsverordnung am Mittwoch ergangen ist. Betroffen ist neben den Veranstaltungen in der Porsche-Arena und der Schleyerhalle und großen Veranstaltungen in der Liederhalle auch das Frühlingsfest auf dem Cannstatter Wasen. Das hätte vom 18. April bis 10. Mai stattfinden sollen. Auch Fußballspiele müssten als Geisterspiele ausgetragen werden oder ausfallen, so Kuhn. Die Lange Einkaufsnacht findet ebenfalls nicht statt.

Kuhn ruft zur Solidarität mit besonders gefährdeten Menschen auf

„Uns stehen schwierige Wochen bevor“, sagte Kuhn. Die ganze Stadt könne man nicht absagen. Aber: Die ganze Stadtgesellschaft werde aufgrund des Coronavirus Einschränkungen haben. Das Ziel der Maßnahme sei, den Infektionsausbruch zu verlangsamen. Auch das „hervorragende Stuttgarter Medizinsystem“ würde ab einer bestimmten Zahl an Infektionsfällen überlastet. Kuhn bezeichnete die Situation als „Bewährungsprobe für den Zusammenhalt unserer Stadtgesellschaft“ und rief zur Solidarität mit besonders gefährdeten Menschen auf. Kuhn: „Wir sind eher am Anfang der Epidemie.“

Stand Mittwochnachmittag sind 34 Stuttgarter mit dem Coronavirus infiziert, die Hälfte habe sich in Südtirol angesteckt. Das Gesundheitsamt Stuttgart ist laut dem Leiter Stefan Ehehalt in Austausch mit 250 engen Kontaktpersonen, die in häuslicher Quarantäne sind. Das sei bereits ein sehr hoher Aufwand. Bisher könne man alle Infektionsketten nachvollziehen. „Die Situation in Stuttgart ist kontrolliert“, sagte Ehehalt.

Ermessensprüfung bei kleineren Veranstaltungen

Auch bei Veranstaltungen mit weniger als 1000 Personen müsse die Stadt eine Ermessensprüfung vornehmen, so Kuhn. Das Gesundheitsamt werde gemeinsam mit dem Ordnungsamt auch Veranstaltungen in Clubs, im Theaterhaus und in den Wagenhallen im Einzelfall prüfen. Das Solo-Tanzfestival in der Volkshochschule an diesem Mittwochabend wurde beispielsweise nur ohne Zuschauer erlaubt. Alle Veranstaltungen im Rathaus, die nicht mit der gemeinderätlichen Arbeit zu tun haben, hat die Stadt ebenfalls abgesagt – dies gelte mindestens bis Ostern, so Kuhn.

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Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) drückte sein Bedauern darüber aus, dass das Frühlingsfest nicht stattfinden kann. Es sei aber angesichts der Situation nicht anders zu rechtfertigen gewesen. Nun werde man sich zusammensetzen, wie man den von den Absage betroffenen Betrieben in der Notsituation behilflich sein könne. Fuhrmann geht davon aus, dass kein Schadenersatzanspruch besteht. Es handele sich um einen Fall von höherer Gewalt. Wie hoch der finanzielle Schaden ist, ist unklar. Auch, wie man mit bereits gezahlten Zuschüssen für Veranstaltungen umgehe. Jetzt stehe aber der Infektionsschutz im Vordergrund, betonte Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU). Allein in den nächsten Tagen fallen vier Großveranstaltungen in Porsche-Arena und Schleyerhalle aus, darunter die Pferdeshow Cavalluna und das Konzert von „Deine Freunde“. Auch das Theaterhaus hat fünf Vorstellungen abgesagt, zu denen mehr als 1000 Besucher erwartet wurden.

Schausteller prüfen Anspruch auf Schadenersatz

„Für uns ist die Absage des Frühlingsfestes eine Katastrophe“, sagt Mark Roschmann, der Vorsitzende des Schaustellerverbandes Südwest. 240 Wirte, Karussell-, Buden- und Imbissbetreiber wären auf dem Frühlingsfest vertreten gewesen. „Davon werden 230 Betriebe durch die Absage existenzielle Probleme bekommen“, schätzt Roschmann. Die Schausteller wollen prüfen, „ob wir Anspruch auf Schadenersatz haben oder Nullzinskredite bekommen“.

Auf jeden Fall tue Hilfe Not. „Wenn unsere Betriebe die laufenden Kosten nicht bedienen können, müssen sie Insolvenz anmelden“. Verschärft werde das Problem durch den Domino-Effekt, den die Absage des Frühlingsfestes auslösen werde. „Es ist zu befürchten, dass auch andere Veranstaltungen nicht stattfinden werden“, so Roschmann. Etwa die Ostermärkte in Süßen und Heiningen, oder das Volksfest in Balingen an Pfingsten oder der Maientag in Vaihingen/Enz. „Dann reden wir von mehreren Monaten ohne Einnahmen“, sagt Roschmann, „das ist massiv und kann viele Betriebe in den Ruin treiben.“ Letztendlich werde man ohne Feste und Einnahmen die Angestellten kündigen müssen, „aber wenn dann wieder Veranstaltungen stattfinden haben wir keine Leute mehr“. Wie es weitergehen soll und kann? Roschmann: „Ich weiß es nicht. Ich bin ratlos!“