Die Welt sieht erst mal sehr düster aus, wenn man nach Jahrzehnten der Partnerschaft verlassen wird. Foto: picture alliance / dpa/Julian Stratenschulte

Margarethe ist 77, als ihr Partner ihr gesteht, dass er eine andere liebt. Wie orientiert man sich neu, wenn man zusammen alt werden wollte und eigentlich keinen Plan B für das Leben ohne den Partner hat? Eine Frau berichtet.

Irgendwann ist Margarethe der Satz entschlüpft: „Ich kann nicht mehr, mir ist das alles zu viel!“ Ihre Ärztin hat ihr daraufhin ein Versprechen abgenommen. „Ich habe ihr versprochen, nicht in den Neckar zu springen“, sagt die 77-Jährige lakonisch. Ihr sind in den letzten Monaten ein bisschen die Höhen und Tiefen abhanden gekommen, wenn sie erzählt. Sie hat sich ein Jahr der Trauer gegeben. Als habe ihr Lebensgefährte Willy sie nicht nach 46 Jahren Beziehung verlassen, sondern als sei er gestorben und sie seine Witwe. Mehr als die Hälfte der Zeit hat sie schon hinter sich. Nach diesem Jahr will sie einen Zustand für sich gefunden haben, der für sie erträglich ist. Wie ein Medikament, auf das man angewiesen war, will sie Willy ausschleichen lassen aus ihrem Leben.

Wie orientiert man sich neu, wenn man keinen Plan B für das eigenen Leben parat hat? Denn Willy hat sich aus ihrem Leben verabschiedet. Bei einem Sonntagsfrühstück im April ist seine Laune mal wieder auffällig mies. Margarethe fragt, was los ist. Immer wieder hat sie ihn in der Vergangenheit gebeten, „sei doch ein bisschen freundlicher zu mir“. Der 68-Jährige druckst rum, schiebt seine Miesepetrigkeit aber nicht mehr wie die Zeit zuvor auf die allgemeine Weltlage. Er sagt einen für Margarethe zutiefst verstörenden Satz: „Ich sehe keine Perspektive mehr.“ Wie meinst du das? „Für uns“, ist seine Antwort. Auf Margarethes Nachfrage, gibt er zu, dass es eine andere Frau gebe. Aber mit der sei noch nichts. Die neue Frau, das erfährt Margarethe noch, ist ein paar Jahre jünger als Willy. Heute weiß sie, dass die neue Gefährtin Willy seit acht Jahren umworben hat. Eine Beziehung zu dritt, wie die Neue es vorschlägt, kommentiert Margarethe mit den Worten „Spinnt die?“ Sie schickt Willy an diesem Sonntagmorgen fort mit den Worten „Dann geh zu ihr!“. Und Willy geht.

Seine Tasse wirft sie irgendwann aus dem Fenster

Und Margarethe? Gut werde das nicht mehr, sagt sie. „Dazu habe ich nicht mehr genügend Zeit“, sagt sie mit Blick auf ihr Lebensalter. Dazu war der Schock zu groß. So lange sei man doch nicht zusammen, so lange gehe man nicht durch Krisen, „wenn man jemanden nicht wirklich liebt“. Im Moment ist sie noch damit beschäftigt, von einem Tag auf den anderen zu leben – und abends mehr oder weniger zufrieden zu denken „Jetzt hab’ ich wieder einen Tag geschafft“. Sich das Leben zurückzuerobern, ist ein kräftezehrender Plan. Das Reden darüber heute gehört zu diesem Plan. Aber bitte nicht mit ihrem wirklichen Namen. Stellvertretend für andere Frauen in ähnlicher Situation tue sie das. Obwohl Margarethe die Dinge ja eigentlich lieber mit sich ausmacht. Oder in den Briefen, die sie an Willy schreibt – und dann nicht abschickt. Sie sind ihr Wutventil. Die Packung mit den Beruhigungsmitteln, die ihr der Arzt verschrieben hat, hat sie nicht angerührt. Willys Tasse hat sie irgendwann wütend aus dem Fenster auf die Straße geworfen. Nachts, damit niemand anders verletzt wird.

An jenem Aprilsonntag weint Margarethe, bis ihr die Tränen ausgehen. Sie bekommt eine Panikattacke, glaubt, keine Luft mehr zu bekommen. Zittert, hat Schmerzen am ganzen Körper und wacht einige Stunden später auf dem Boden liegend völlig erschöpft wieder auf. Sie reagiert körperlich auf den Trennungsschock. Ihre Blutzuckerwerte schießen in die Höhe und auch ihr Blutdruck. Lange kann sie nichts mehr lesen, kann sich nicht konzentrieren.

Willy ist der Mann, mit dem sie 46 Jahre liiert war. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sagen, dass Ehen im Schnitt nach 15,1 Jahren geschieden werden. Die Ehepartner sind dann Mitte 40. Willy ist neun Jahr jünger als Margarethe. Aber dieser Abstand stand nie zwischen ihnen. Sie ist 31, er 22, als sie sich in einem Lyrikkurs kennenlernen. Sie sind zwei, die irgendwie ihre Freiheit lieben. Sie hat einen elfjährigen Sohn. Aber weder hat Willy Ambitionen, die Vaterrolle zu übernehmen, noch sucht der Sohn einen neuen Vater. Hier findet keine neue Familie zusammen, vielmehr findet sich ein Paar. An vier Tagen in der Woche sehen sie sich. Er kommt zu ihr. „Es hat sich so eingespielt“, sagt sie. Es ist der Versuch, echte Qualitytime zu leben. Kein Schnell-noch-die Wäsche-zusammenlegen. Kein gemeinsames Einkaufen. Das erledigt alles Margarethe in Willys Abwesenheit.

Der Partnern fehlt – Sie lebt mit dem Gefühl unendlicher Einsamkeit

Zusammengewohnt haben die beiden nie. Aber mehrmals am Tag miteinander telefoniert. Die Meinung des anderen über Politik, die Veränderungen der Gesellschaft oder anderes hören zu wollen, zuhören und sich selbst mitteilen, dieses Miteinander gab den Rhythmus ihrer Beziehung vor. Jeden Samstag haben die Kulturmanagerin und der Lehrer zusammen die Sportschau geschaut. Ein über Jahrzehnte gepflegtes Ritual der Gemeinsamkeit. Das tun sie nun nicht mehr. Margarethe hat den Fernsehapparat seit April nicht mehr angeschaltet. Ihr fehlt der Co-Kommentator des Geschehens auf dem Bildschirm.

„Ich heirate dich, bevor ich sterbe“, hat Margarethe immer gesagt. Damit Willy, der nicht so viel verdient, ihre Witwenrente bekommt. Es war klar, dass sie irgendwann für einander da sein würden, der eine sich um den anderen kümmern würde. „Wir waren eine Einheit, haben uns wortlos verstanden“, sagt Margarethe. Gesundheitliche Krisen haben sie gemeistert. „Es war immer klar, dass der eine den anderen auffängt.“ Gemeinsam wollten sie alt werden. Jetzt fühlt sich Margarethe, als habe sie jemand mit einer Kettensäge in zwei Hälften gesägt und eine Hälfte mitgenommen. Sie lebt mit dem Gefühl unendlicher Einsamkeit. Von dienstlichen Kulturterminen heimzukommen und niemanden zu haben, mit dem man den Abend noch einmal durchgeht, empfindet Margarethe als Grausamkeit. Dabei will sie eigentlich gar nicht mehr unter Menschen. Sie verkriecht sich, so es eben geht, in ihrer Wohnung.

Einkaufen geht Margarethe jetzt früh am Morgen. „Der Edeka macht um sieben auf“. Sie will niemanden treffen. Anfangs bricht sie in Tränen aus, wenn sie jemand fragt, wie es ihr gehe. Sie will das eigentlich nicht. Der halbe Flecken weiß inzwischen offenbar, was passiert ist. In ihren optimistischen Momenten kommt ihr jedoch jetzt schon mal der Gedanke, dass vielleicht etwas zu Ende sei, was lange gut war und nun aber vorbei sei. Vom romantischen Ideal des Gemeinsam-Altwerdens „habe ich mich verabschiedet“. Das sind sie starken Momente, die häufiger werden. Aber noch ist das alles ein großes Hin und Her zwischen den Gefühlen. Noch ist das Jahr ja auch nicht um. Den Tipp einer befreundeten Therapeutin will sie sich zu Herzen nehmen: Geh’ jeden Tag raus, lauf jeden Tag!

Den täglichen Anruf am Abend bekommt sie weiterhin. Sie weiß, dass das nach dieser Verletzung für Außenstehende schwer zu verstehen ist. Er ist wohl in Sorge um sie und wie sehr sein Weggang sie erschüttert hat. Und auch er vermisst offenbar die täglichen Gespräche. In Margarethe provoziert dieses Verhalten die wohl für immer unbeantwortete Frage: „Warum geht er dann zu ihr?“

Nach der Trennung gibt es kein Zurück für sie

Noch trauert sie um die Vertrautheit und den Verrat dieser Vertrautheit. „Ich bin hilflos, ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Nach dem Trauerjahr will sie den harten Schnitt. Keine Anrufe mehr. „Ich bin auf dem Weg dorthin“, sagt sie. Es gibt Hochs und Tiefs. „Es gibt immer mehr Zeiten, in denen ich die Befreiung von dieser Verbindung sehe“. Loslösung nennt sie das. Ein Zurück gibt es für sie nicht. Sie sehnt sich Willy nicht mehr herbei. Der Abraham Lincoln zugesprochene Rat ist ihr Ziel für die Zeit nach dem Trauerjahr. „Nimm dir jeden Tag eine halbe Stunde Zeit für deine Sorgen. In dieser Zeit mache ein Nickerchen“, soll der amerikanische Präsident einmal gesagt haben. Die Vorstellung eines solchen Nickerchens gefällt Margarethe zunehmend gut.

Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 und unter

https://ts-im-internet.de/ erreichbar. Eine Liste mit Hilfsangeboten findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: https://www.suizidprophylaxe.de/