Bald beginnt das große Stühlerücken im Sitzungssaal des Alten Rathauses. Die Wählerinnen und Wähler haben die bisherige Sitzordnung kräftig verändert. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Nach der Wahl vom Sonntag wird es einschneidende Veränderungen im Esslinger Gemeinderat geben. Mehrheiten zu finden dürfte künftig eine Herausforderung werden.

EsslingenDie Wählerinnen und Wähler haben am vergangenen Wahlsonntag für einschneidende Veränderungen im Esslinger Gemeinderat gesorgt und es ist klar: Mehrheiten zu finden, wird künftig schwieriger werden, nachdem die Linke und die FDP jeweils Fraktionsstatus erreicht haben und das schlechte Abschneiden der CDU das bürgerliche Lager insgesamt schwächt. In diesem Zusammenhang zeichnet sich ab, dass die Karten mit Blick auf die Nachfolge von Bürgermeister Markus Raab (CDU) neu gemischt werden könnten. Nachdem die Grünen stärkste Kraft geworden sind, reklamieren sie das Vorschlagsrecht für diesen Posten nun für sich.

Die Grünen sind mit 24,4 Prozent (2014: 18,65 Prozent) der abgegebenen Stimmen und nunmehr neun anstatt der bisherigen sieben Sitze die unangefochtenen Sieger dieser Wahl. „Die Bürger haben unsere politische Arbeit honoriert“, meint die Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin Carmen Tittel. Die Grünen kämpften für Klimaschutz und Artenvielfalt und das habe vor allem die Jugend überzeugt. Aber auch das Thema nachhaltige Mobilität habe speziell in Esslingen eine Rolle gespielt. „Ein toller öffentlicher Nahverkehr, sichere Rad- und Fußwege: Da bringen wir etwas voran“, meint Tittel. Die künftige Zusammensetzung der Fraktion wird von bekannten Namen dominiert, neu dabei sind Andreas Fritz, Jörg Freitag und Ursula Hofmann. Stadtrat Helmut Müller-Werner war nicht mehr angetreten. Was die Raab-Nachfolge anbelangt, lässt die Fraktionschefin keine Zweifel aufkommen: „Wir melden als stärkste Fraktion unsere Ansprüche an.“

Vom ersten auf den zweiten Rang gefallen ist die SPD mit einem Stimmenanteil von 21,15 Prozent (2014: 25,06 Prozent) und dem Verlust von zwei Mandaten. Damit sitzen künftig nur noch acht anstatt zehn Sozialdemokraten im Gemeinderat. Dass sich die SPD noch vergleichsweise gut gehalten hat, ist für den Fraktionschef Andreas Koch mit zwei Gründen zu erklären: „Zum einen hat Wolfgang Drexler ein phänomenales Wahlergebnis erzielt, zum anderen ist es uns offensichtlich gelungen, die Wählerinnen und Wähler von unserem an der Stadtbücherei exemplarisch praktizierten Politikstil der Bürgernähe zu überzeugen.“ Tatsächlich hat der ehemalige Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler seinen Titel als unangefochtener Stimmenkönig eindrucksvoll verteidigt. Genau 30 733 Treffer entfielen auf ihn, davon kann selbst Carmen Tittel als zweitplatzierte Stimmensammlerin mit 21 955 Treffern nur träumen. Neu in der SPD-Fraktion sind Nicolas Fink, der von Drexler das Landtagsmandat übernommen hat, sowie Florian Dieringer. Nicht mehr in den Gemeinderat geschafft haben es die Stadträte Klaus Hummel, Brigitte Krömer-Schmeisser, Yvonne Tröger und Michael Wechsler. Zur Raab-Nachfolge vertritt Andreas Koch für seine Fraktion eine klare Meinung: „Wir sehen das Vorschlagsrecht durch das Wahlergebnis von der CDU auf die Grünen übergehen.“

Die Freien Wähler haben mit 19,55 Prozent der abgegebenen Stimmen (2014: 20,62 Prozent) ihre acht Sitze gehalten. Das stimmt Fraktionschefin Annette Silberhorn-Hemminger „hochzufrieden“, zumal die Freien Wähler die CDU hinter sich gelassen haben. Neben der politischen Arbeit nennt Silberhorn-Hemminger auch die Kandidatenliste mit bekannten Esslinger Persönlichkeiten als Grund für das insgesamt gute Abschneiden. Dafür spricht, dass der bekannte Blumenhändler Jürgen Merz und der nicht minder bekannte Jörg Zoller vom gleichnamigen Backhaus die meisten Stimmen bei den Freien Wählern eingefahren haben. Neu in der Fraktion sind Alexander Kögel und Hermann Falch, nicht wiedergewählt worden ist Michel Weinmann. Auf die verstorbene Daniela Hemminger-Narr, die nicht mehr von der Kandidatenliste gestrichen werden konnte, entfielen noch mehr als 5400 Stimmen. Den Anspruch der Grünen im Zusammenhang mit der Raab-Nachfolge kann Annette Silberhorn-Hemminger „gut nachvollziehen“. Die CDU müsse ihre Haltung überdenken – es müsse noch einmal über dieses Thema geredet werden.

Mit 17,71 Prozent der Stimmen (2014: 23,8 Prozent) hat die CDU einen deutlichen Absturz erlebt und büßt von ihren bisherigen zehn Sitzen gleich drei ein. „Wir hatten uns mehr erhofft“, sagt der Fraktionsvorsitzende Jörn Lingnau, tröstet sich aber mit der Tatsache, dass es die Union bei der Europa- und bei der Regionalwahl noch härter getroffen hat. „Es hat sicher viele Fehler gegeben“, räumt Lingnau auch mit Blick auf das Esslinger Ergebnis ein. Nun müsse man erst einmal alles sacken lassen und dann genau analysieren. Mit Tim Hauser, dem Vorsitzenden des CDU-Stadtverbandes und Regionalrat, zieht ein neues Gesicht in die Fraktion ein. Wie sich Hauser dort einfügt, wird eine interessante Beobachtung sein. Denn schließlich gehört er immer wieder zu den scharfen Kritikern, wenn es um Entscheidungen der CDU-Fraktion im Gemeinderat geht. Nicht mehr ins Stadtparlament geschafft haben es der Stadtrat und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Edward-Errol Jaffke und Stadträtin Margot Kemmler, die ehemals CDU-Stadtverbandsvorsitzende war. Nicht mehr angetreten waren Gerd Deffner und Dietgard Walter-Fischer. Zur Raab-Nachfolge unter den geänderten Voraussetzungen hat auch Lingnau eine klare Haltung: „Wenn die Grünen ihren Anspruch anmelden, dann ist das selbstverständlich.“

Die Linke ist von 5,34 Prozent vor fünf Jahren auf nun 6,75 Prozent gewachsen und damit auch um ein Mandat. Drei Sitze bedeuten, dass die Linken zur Fraktion geworden sind. „Das ist der Lohn für unsere Arbeit, nun werden wir die anderen Fraktionen vor uns hertreiben“, kündigt Stadtrat Martin Auerbach an. Neu im Team ist Johanna Renz.

„Darauf habe ich 25 Jahre gewartet“, sagt FDP-Stadtrat Ulrich Fehrlen und meint damit die Tatsache, dass auch die FDP mit drei Mandaten Fraktionsstatus erreicht hat. „Anscheinend haben wir nicht so schlecht gearbeitet“, meint Fehrlen, der sich über die erreichten 6,57 Prozent (4,06 Prozent) freut. Das bisherige Zweiter-Team wird nun durch Sven Kobbelt verstärkt. Und das Thema Raab? „Man muss einen Weg finden, die Stelle noch einmal auszuschreiben“, so Fehrlen.

FÜR Esslingen hat von 2,46 auf 3,88 Prozent und damit um einen Sitz zugelegt. Die bisherige Einzelkämpfern Dilek Toy hat nun Sigrid Cremer neu an ihrer Seite.

Oberbürgermeister Jürgen Zieger ist davon überzeugt, „dass die Kultur der Zusammenarbeit durch die Notwendigkeit der Abstimmung zwischen mindestens drei politischen Kräften gestärkt wird“. Der Zusammenarbeit mit den neu gewählten Gemeinderatsmitgliedern sieht der OB „freudig entspannt“ entgegen. „Das Vorschlagsrecht für die Nachfolge von Bürgermeister Raab fällt bei dem Wahlergebnis selbstverständlich an die Fraktion der Grünen“, betont Zieger.

Kommentar

Christian Dörmann kommentiert dieses Thema mit "Dauerstreit"