Ab diesem Montag startet die Volkszählung. Foto: dpa/Daniel Karmann

Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bedürfen solider Daten. Die soll der Zensus liefern. Von Montag an klappern Interviewer Haushalte ab, um Auskünfte zu ergattern - von Wohnverhältnissen über Familienstand bis hin zum Beruf.

Wie leben die Menschen in Baden-Württemberg? Wo arbeiten sie? Wohnen sie zur Miete oder im Eigenheim - allein oder mit Familie? Welche Bildungsabschlüsse haben sie? Solche Fragen sind wichtig für die Entscheidungen der Politik für die Zukunft Deutschlands. Bei der Volkszählung werden ab kommendem Montag rund zehn Millionen zufällig ausgewählte Bürger in Deutschland etwa zu Familienstand, Staatsangehörigkeit sowie Wohn- und Arbeitssituation befragt.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Muss man den Zensus 2022 ausfüllen?

„Mitmachen bedeutet, für eine gute Zukunft seiner Stadt zu sorgen“, sagt Städtetagsdezernent Norbert Brugger. Denn für die Kommunen sei der sogenannte Zensus die Grundlage aller Planungen - von Kitas über Schulen bis zu Seniorenheimen und öffentlichem Nahverkehr.

Wer wird gezählt?

Nicht alle Bewohner des Landes werden gezählt. Es muss nur eine Stichprobe Auskunft geben, wie sie wohnt und arbeitet. Individuelle Lebensverhältnisse oder persönlichen Einstellungen der Befragten werden nicht erhoben. Im Südwesten sind das 1,7 Millionen Menschen - das entspricht etwa 15 Prozent, fünf Punkte über dem Bundesschnitt. Der Grund: Das Land hat relativ viele kleine Gemeinden. Um in allen Gemeinden die gewünschte Qualität der Einwohnerzahlen zu erhalten, müssen in kleinen Orten prozentual mehr Männer und Frauen befragt werden als in Großstädten, erläutert Alexander Grund vom Statistischen Landesamt. Eine Vollerhebung wird allein in Gemeinschaftsunterkünften wie Studentenwohnheimen vorgenommen.

Wie wird gezählt?

Die für die Stichprobe ausgewählten Haushalte erhalten ab Mitte Mai einen Terminvorschlag. Zum vereinbarten Datum kommen die Interviewer persönlich vorbei und stellen Fragen zu Namen, Geschlecht, Familienstand, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit und Wohnstatus. „Die Erhebungsbeauftragten betreten das Haus oder die Wohnung nur auf ausdrückliche Erlaubnis hin“, wie Grund erläutert. Im Anschluss werden die Zugangsdaten für einen Online-Fragebogen mit weiteren Fragen zu Bildung und Beruf übergeben. Für die Statistiker spielt das Online-Verfahren eine immer größere Rolle, auch wegen des Klimaschutzes. Alle Papier-Fragebögen von 2011 hätten übereinandergestapelt den Mount Everest übertroffen. Bei Terminproblemen gibt es auch die Möglichkeit eines Telefoninterviews.

Was wird erhoben?

Neben der Einwohnerzahl werden Religionszugehörigkeit, Familienstand, Schul- oder Hochschulabschluss, Berufstätigkeit, Branche des Arbeitgebers und mögliche Nebenjobs erfragt. Ein möglicher Migrationshintergrund wird ebenfalls erhoben. Bei der Gebäude- und Wohnungszählung gibt es drei neue Themen: Nettokaltmiete, Energieträger der Heizung sowie Dauer und Gründe eines Leerstands.

Kann man die ganze Befragung oder einzelne Antworten verweigern?

Um eine hohe Genauigkeit der Ergebnisse sicherzustellen, besteht eine gesetzliche Auskunftspflicht. Kommen ihr Befragte auch nach mehrmaliger Erinnerung nicht nach, können Zwangsgelder erhoben werden. In der Regel sind dies 300 Euro. Mit großem Widerstand rechnen die Verantwortlichen aber nicht.

Wer zählt?

Etwa 12 000 Interviewer schwärmen aus. Die geschulten Ehrenamtlichen unterliegen der statistischen Geheimhaltungspflicht. Voraussetzungen für den Job sind Volljährigkeit, Zuverlässigkeit, gute Deutschkenntnisse und Verschwiegenheit. Für ihre Tätigkeit erhalten sie von den Stadt- und Landkreisen eine steuerfreie Entschädigung in Höhe von durchschnittlich 700 Euro.

Wie viel Zeit kostet im Schnitt die Beantwortung aller Fragen?

Der Aufwand für die Bürger ist den Statistikern zufolge gering. Die Befragung vor Ort dauere maximal fünf Minuten, die Beantwortung des Online-Fragebogens etwa zehn Minuten.

Wie stehen die Kommunen zum Zensus?

Städtetagsvertreter Brugger hofft, dass es diesmal keine Verwerfungen gibt wie 2011, als Haushaltsstichproben nur in Gemeinden ab 10 000 Einwohnern vorgenommen wurden. Das sei von größeren Gemeinden als ungerecht empfunden worden. In vielen Städten wurde Einwohnerzahlen nach unten korrigiert - mit weitreichenden finanziellen Folgen. Denn nach Berechnung des Kommunalverbandes bedeutete ein fehlender Einwohner in der Stichprobe für Kommunen ab 10 000 Einwohnern durchschnittlich rund 100 000 Euro weniger Zuweisungen aus dem Finanzausgleich binnen der Geltungsdekade des Zensus 2011.

Warum wird trotz Pandemie und Ukraine-Krise gezählt?

Das Statistische Landesamt verteidigt den Zeitpunkt mit den bereits lange laufenden Planungen, drohenden Mehrkosten und Vorgaben der EU. Eine erneute Verschiebung, wie sie etwa die CDU im Landtag gefordert hatte, sei unverhältnismäßig.

Wie bewertet der oberste Datenschützer den Zensus 2022?

Der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink hat nichts auszusetzen. „Der Zensus ist in puncto Datenschutz unproblematisch“, meint er. Die Daten werden sofort in die Statistik eingespeist. Ein Personenbezug lasse sich dann nicht mehr herstellen. Die Kampagne werde von ihm und seinen Kollegen eng begleitet. „Wir sehen uns nicht mehr als Opposition zum Staat.“ Dieser sei auf eine Fülle von Informationen angewiesen, um Fehlentwicklungen zu vermeiden - das habe nicht zuletzt die Pandemie gezeigt. Auch die Stadt Baden-Baden beruhigt die Bürger: „Keine andere Behörde erhält Ihre Daten, sodass Ihnen aus den gemachten Angaben keinerlei Nachteile erwachsen können.“ Dritte wie etwa Finanz- oder Sozialamt bekämen keine Daten.

Wie werden die ukrainischen Flüchtlinge in die Erhebung einfließen?

Wer über drei Monate lang in Deutschland lebt, ist meldepflichtig und wird zum Zensusstichtag 15. Mai mitgezählt. Das gilt aber nicht nur für Flüchtlinge aus der Ukraine, sondern auch aus anderen Gebieten. Mitte August können die 1101 Gemeinden im Land Menschen nachmelden, die zum Stichtag noch nicht drei Monate ansässig waren, aber in der Zwischenzeit die Grenze von drei Monaten überschritten haben.

Wann ist der nächste Zensus?

Da der Zensus aufgrund der Corona-Pandemie von 2021 auf 2022 verschoben wurde, kommt der nächste Zensus bereits in neun Jahren, also 2031.