Hartmut Rekort hat eine Performance von Alison Knowles 1962 dokumentiert. Foto: Staatsgalerie Stuttgart/Hartmut Rekort

Die Künstler der Fluxus-Bewegung hatten ziemlich verrückte Ideen. Alison Knowles hat sogar mit Salat Musik gemacht. Die Staatsgalerie widmet der Künstlerin nun eine Ausstellung.

Danach war die Krawatte hinüber. Es war aber auch eine verrückte Idee, seinen Schlips in Farbe zu tunken – und dann auf allen vieren den Stoff übers Papier zu ziehen. Aber es kam noch besser: Nach der Krawattenmalerei steckte der Künstler seinen Kopf in den Farbeimer und malte mit den Haaren weiter. Das Publikum amüsierte sich köstlich.

Den Flügel im Konzert zertrümmert

Es muss ein wahrlich denkwürdiges Festival gewesen sein, das 1962 in Wiesbaden stattfand. Aus aller Welt reisten Künstler und einige wenige Künstlerinnen an, um alles auf den Kopf zu stellen, was bis dato als Kunst gegolten hatte. Auf Konzerten zertrümmerten sie einen Flügel und nannten das „Neueste Musik“. Auch Alison Knowles schlug emsig auf den Flügel ein. Sie war eine der wenigen Künstlerinnen bei diesen Aktionen. Deshalb erinnert die Staatsgalerie Stuttgart nun an sie und die verrückten Ideen in einer Foto-Ausstellung.

Konzert der Zeitungsleser

Fluxus nannte sich die künstlerische Bewegung, die in den 1960er Jahren mit herrlich anarchistischem Geist gegen den Strich bürstete, was im Kulturbetrieb als selbstverständlich galt. Die Künstler ließen das Publikum barfuß über Bohnen laufen, um zu diskutieren, ob die quietschenden Geräusche nicht auch eine Art von Musik sind. Sie präsentierten „Newspaper Music“, bei der mehrere Personen gleichzeitig aus Zeitungen vorlasen – und ein Dirigent diese wie ein Orchester dirigierte.

Der Markgröninger Zahnarzt Hanns Sohm war für jeden Spaß zu haben

1965 wurde die „Newspaper Music “ auch im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart aufgeführt. Hanns Sohm fotografierte das Konzert. Der Markgröninger Zahnarzt war ein begeisterter Fan dieser neuen Kunstformen und sammelte alles, was mit Fluxus in Verbindung stand: Plakate, Grafik, Briefe. In dem Archiv Sohm, das sich heute in der Staatsgalerie befindet, sind auch zahllose Aufnahmen von ihm und anderen Fotografen, die an die Performances erinnern.

Das Wiesbadener „Festival für Neueste Musik“ war der Höhepunkt der Fluxus-Bewegung. Alison Knowles reiste mit ihrem Mann Dick Higgins aus New York an. Der Austausch zwischen Knowles und Deutschland scheint intensiv gewesen zu sein, zumindest kaufte Hanns Sohm früh von ihr ein Gemälde. 1966 trat sie in Stuttgart im Club Voltaire auf. Und 1968 präsentierte sie bei der Frankfurter Buchmesse ihr „Big Book“, ein riesiges Künstlerbuch, durch das die Messebesucher klettern mussten.

Manche Idee entstand spontan

Manche Idee der Fluxus-Künstler entstand aus dem Moment heraus. Als Alison Knowles einmal beim Mittagessen gefragt wurde, ob sie schon wisse, was sie bei einer geplanten Veranstaltung im Londoner Institut für zeitgenössische Kunst machen wolle, sagte sie spontan „vielleicht einen Salat“. Schon war die Idee geboren: Im Takt der Livemusik schnippelte sie Salat, warf ihn durch die Luft und servierte dem Publikum am Schluss ihre Kreation. Das Stück „Make a Salad“ wurde später immer wieder aufgeführt auch mit quasi großem Orchester, also mehreren Köchinnen und Köchen, die im Takt die Messer sausen ließen.

Am Kleid hängen Radiogeräte

Alison Knowles entwickelte eigene Aktionen, wirkte als Performerin aber auch in den Werken der Kollegen mit. Nam June Paik schrieb eigens für sie die „Abendmusik für Alison“, die sie 1962 aufführte. Dabei hatte sie an ihrem Kleid Radiogeräte hängen, die auf unterschiedliche Sender eingestellt waren. Sie legte eine Art Striptease hin – und zog unter dem Kleid eine Unterhose nach der anderen aus. Die Idee war, dass sie als eine Art lebende Skulptur zu Musik agiert, die dem Zufall überlassen ist.

Performances muss man eigentlich live erleben

Bei manchem dieser wilden Happenings wäre man allzu gern dabei gewesen – wenn Alison Knowles etwa in der Nikolaikirche in Kopenhagen in Schwindel erregender Höhe am Mauerwerk hing. Oder wenn sie und ihre Mitstreiter beim kostenlosen „Fluxus Street Theater“ Autos auf der Straße abpassten und die Fahrer mit Performances unterhielten. Schade nur, dass die meisten Fotografien in der Staatsgalerie nicht kommentiert wurden und man nicht erfährt, was bei den Aktionen konkret passierte – zumal man dieser Kunstform mit Fotos ohnehin nicht gerecht wird, sondern sie eigentlich live erleben muss. Da hilft der Hinweis wenig, dass Alison Knowles in allerhand „ungewöhnlichen Ereignisse“ involviert gewesen sei.

Ungewohnte Nähe

So kann man nur vermuten, dass es ein tolles Spektakel war, als die Künstlerin irgendwo in New York bei einer Aktion auf der Feuerleiter herumturnte. Bei den Fotos zum „Nivea Creme Stück“ von Alison Knowles kann man sich dagegen gut vorstellen, wie die Performance klang: Knowles und einige Kollegen schmierten sich dabei die Hände dick mit Nivea Creme ein und nahmen sich dann gegenseitig an den Händen, sodass die Creme sicher köstlich geflutscht und geschmatzt hat – und ein Gefühl ungewohnter körperlicher Nähe geweckt wurde.

Auch diese Performances von Alison Knowles, die Ende April neunzig Jahre alt wird, wurde später wieder aufgeführt. So hat die Autorin Salomé Voegelin das „Nivea Creme Stück“ während des Lockdowns gemeinsam mit der spanischen Gruppe Zag auf neue Weise interpretiert – und statt Creme Desinfektionsmittel benutzt.

Viel Fluxus in Stuttgart

Künstlerin
Alison Knowles, 1933 in New York geboren, hat zunächst Malerei studiert – unter anderem bei dem deutschen Bauhaus- Künstler Josef Albers, der vor den Nazis in die USA floh. Sie gehörte mit ihrem Ehemann zu einem der Gründungsmitglieder der Fluxus-Bewegung.

Sammlung
Die Staatsgalerie Stuttgart hat 1981 das Archiv Sohm erworben und dadurch einen großen Bestand zu Fluxus, Happening, Beat und Underground. Die Anfänge des Archivs gehen auf den in Münchingen und danach in Markgröningen lebenden Zahnarzt Hanns Sohm zurück. Ausstellung bis 9. Juli, geöffnet Di bis So 10 bis 17 Uhr Do bis 20 Uhr. adr