Die Ausstellung „gesichtslos – Frauen in der Prostitution“ wurde seit 2021 schon 26 Mal gezeigt – und hat doch nichts von ihrer Brisanz verloren. Die Kombinationen aus Bild und Text schneiden sich ins Gehirn, bleiben haften. Impressionen aus dem Leinfelder Haus.
Ihre Gesichter sind verhüllt. Weiße Masken schützen die Identität der Frauen, die nicht erkannt werden wollen, weil sie wissen, dass sie dann stigmatisiert würden. Dennoch haben sie sich entschieden, von ihren Träumen und Hoffnungen zu erzählen: „Am wichtigsten ist mir, dass mein Kind ein besseres Leben haben wird. Es soll nie etwas mit Prostitution zu tun haben.“ Sie wollen von ihren Ängsten, ihren Sorgen, ihrer Lebensrealität berichten: „Bei dem Blick in den Spiegel habe ich mich gefragt, was ist das für ein Leben? Mit jedem Mann erlebst du den gleichen Horror.“
Biografische Interviews waren die Grundlage für die Schwarz-Weiß-Fotografien, die seit dem Wochenende im Leinfelder Haus zu sehen sind. Der Fotograf und Künstler Hyp Yerlikaya hat die Aufnahmen erstellt und hat dafür Mannheimer Prostituierte sowie Frauen, die es geschafft haben auszusteigen, mehr als zwei Jahre begleitet. Keine hatte sich freiwillig für diese Arbeit entschieden. Vielmehr wurden sie mit der Loverboy-Methode oder anderen falschen Versprechen hineingelockt, sind Opfer von Menschenhandel geworden.
1800 Bilder hat der Mann aufgenommen, 40 davon ausgewählt und mit Aussagen aus den Interviews gekoppelt. Die Ausstellung wurde erstmals 2021 in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen gezeigt und mittlerweile schon an 26 Orten in Deutschland und Frankreich präsentiert – und hat dennoch nichts von ihrer Brisanz verloren. Die Kombinationen aus Bild und Text schneiden sich ins Gehirn, bleiben haften. „Es war nicht meine Entscheidung, ich hatte einen Freund, er hat mir gesagt, dass er mich liebt, heiraten will und mit mir zusammenleben will“, wird eine Frau zitiert. Unter einem anderen Bild ist zu lesen: „Durch Gewalt und aus Angst bekommen die Zuhälter alles was sie wollen.“ Oder auch: „Es ist jedes Mal eine Überwindung, den Geruch und den Körperkontakt zu ertragen.“„Prostitution klebt an dir, du kannst es nicht abwaschen.“ Denn: „Die Erinnerungen daran bleiben ein Leben lang.“
„Das Hauptproblem sind diverse Abhängigkeiten“, hat Astrid Fehrenbach, Leiterin der Mannheimer Beratungsstelle Amalie bei der Vernissage in Leinfelden gesagt. Die Zimmer an der Mannheimer Bordellstraße seien teuer, berichtet sie, dennoch müssten Frauen regelmäßig Geld an ihre Familien zu Hause schicken. Viele kommen aus armen Ländern in Osteuropa, haben gesundheitliche Probleme. In den Räumen von Amalie finden Prostituierte einen Rückzugsort, medizinische Versorgung und Beratung. Es wird ihnen Hilfe angeboten, auch zu einem möglichen Ausstieg. In der Beratungsstelle ist auch die Idee zu der Ausstellung entstanden.
Zehn Frauen und Männer des Arbeitskreises Prostitution Leinfelden-Echterdingen haben die Schau nach Leinfelden-Echterdingen geholt. „Die Existenz von zwei Bordellen in unserer Stadt hat uns dazu veranlasst“, sagt Regina Golke, eine der Initiatorinnen des Arbeitskreises. Jürgen Rudloff, der Betreiber des Paradise, war im Februar 2019 zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Stuttgarter Landgericht hat ihn wegen Beihilfe zum Menschenhandel und Zwangsprostitution sowie Betrugs schuldig gesprochen. „Wir fragen uns, ob es im Nachfolgebetrieb des Paradise so weitergeht, wie vor seiner Verurteilung.“
„Wir als Stadt fühlen uns verantwortlich“, sagt der Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell. Und betont, je länger er sich mit dem Thema beschäftigte, umso überzeugter sei er davon, „dass es eine freiwillige, mit der Menschenwürde vereinbarte Prostitution nicht gibt.“ Acht Bordelle gibt es im Landkreis Esslingen. Die Beratungsstelle Rahab des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen zählt kreisweit 118 angemeldete Frauen und schätzt, dass zehn Mal so viele diesem Beruf nachgehen. Das Team von Rahab bietet den Frauen Hilfe an. Die Mitarbeiterinnen halten Kontakt zu den Frauen über Handy und Messengerdienste. Sie haben auch Zutritt zu den Häusern. 30 bis 40 Frauen treffen sie bei ihren Besuchen im Luxor, dem Nachfolgebetrieb des Paradise in Leinfelden-Echterdingen an, berichten sie. Im Laufhaus Stetten seien es zwischen 20 und 30 Frauen.
Zur ersten Kontaktaufnahme verteilen die Mitarbeiterinnen Geschenke an die Frauen. Die Präsente enthalten Kondome, damit die Prostituierten geschützt arbeiten können. Ein Feuerzeug, weil die meisten rauchen; Schokolade und wichtige Telefonnummern finden sich ebenfalls in den Tüten.
Der überwiegende Anteil der Prostituierten kommt aus Rumänien, hat Rahab festgestellt. Geldmangel treibe Frauen aus den armen Regionen dieses Landes in diesen Beruf, aber auch die Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit in ihren Heimatdörfern. Manche Mädchen werden mit falschen Versprechen oder durch einen Mann, der vorgibt sie zu lieben, nach Deutschland gelockt. Andere wissen was sie dort erwartet. „Junge Frauen opfern sich für ihre Familien auf“, berichten die Beraterinnen.
Begleitprogramm
Öffnungszeiten
Die Ausstellung „gesichtlos Frauen in der Prostitution“ ist noch bis Samstag, 15. März, im Leinfelder Haus, Lengenfeldstraße 24, zu sehen. Sie hat donnerstags und freitags, zwischen 10 Uhr und 13 Uhr geöffnet, sowie samstags und sonntags zwischen 14 Uhr und 17 Uhr sowie an den Vortragsabenden des Begleitprogramms. Der Eintritt ist frei. Die Schau wird ergänzt durch drei Vorträge.
Vorträge
Am Montag, 24. Februar, 19 Uhr, sprechen Gunda Rosenauer vom Ludwigsburger Bündnis gegen Menschenhandel und Jörg Kuebart, der Bundesvorsitzende Zeromacho Deutschland, darüber, warum Prostitution kein normaler Job ist. Am Freitag, 14. März, 19 Uhr, kommen an der Aufklärung des Paradise-Prozesses beteiligte Polizeiermittler zu Wort. Am Samstag, 8. März, von 19 Uhr an, spricht der Stockholmer Kriminalbeamter Simon Häggström, in der Echterdinger Zehnscheuer, über den schwedischen Umgang mit der Prostitution. Moderiert wird der Abend von Hilke Lorenz, Redakteurin dieser Zeitung.