Fast wie echt: Der Blick aus dem Cockpit. Foto: BMW/Martin Hangen

Während die realen Motorsportserien wie die Formel 1 und DTM pausieren müssen, entdecken immer mehr Motorsport-Profis die virtuellen Rennen. Und ein bisschen Training ist auch dabei.

Stuttgart - Charles Leclerc hat am Sonntag sein Formel-1-Debüt gefeiert – sein virtuelles. Der Ferrari-Fahrer startete in der Virtual-Grand-Prix-Serie in Melbourne, die Gegner des Monegassen waren keine Nasenbohrer, sondern Leute, die der 22-Jährige aus der Formel 1 kennt: Alexander Albon, George Russell, Nicholas Latifi, Lando Norris, Lance Stroll, Sergio Perez und Antonio Giovinazzi, dazu rasten Formel-1-Oldie Johnny Herbert (55) und andere Profipiloten virtuell durch den Albert Park. Der Neuling siegte. „Ich habe vor acht Tagen zu trainieren begonnen“, sagte Leclerc, „dafür aber jeden Tag mindestens fünf Stunden!“

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Elektronisches Drei-Stunden-Rennen

Weil in der Corona-Krise echtes Racing mit Gummigeruch und Motorenlärm ausfällt, boomen Rennen am Bildschirm, wo nichts riecht und der Ton aus den Lautsprechern kommt. Australien war der zweite Virtual Grand Prix, zuvor gab es den Großen Preis von Bahrain als Ersatz für den abgesagten realen Grand Prix. „Diese Rennen“, sagt Philipp Eng, der virtuell in Bahrain Dritter wurde, „sind meine Ersatzdroge in diesen Tagen. Ich bin froh, einen Rennsimulator zu Hause zu haben.“ Beim elektronischen Drei-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring wurde Eng am Sonntag Zweiter.

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Wie der BMW-Pilot, der 2020 in seine dritte DTM-Saison starten möchte, haben viele Rennprofis einen Simulator in den eigenen vier Wänden. Diese Cockpits sind kein Spielzeug – wer sich einen Sim-Racing-Platz einrichten möchte, sollte 5000 Euro hinlegen, Spitzenmodelle kosten 20 000 Euro. Nicht vergleichbar mit den ersten Konsolen des Österreichers. „Als ich mit 17 die ersten Rennen am Bildschirm gefahren bin, habe ich das Lenkrad am Tisch festgeklemmt“, erzählt Eng, „und die Pedale mit Klebeband am Fußboden befestigt.“ Vorsintflutlich.

Rennsimulatoren sind High-End-Produkte

Im Vergleich zu jenen Simulatoren, die Formel-1- und DTM-Teams nutzen, sind selbst die teuren Stationen nur Spielzeug. Diese High-End-Produkte passen in kein Wohnzimmer, sie sind beweglich, so dass Neigungen oder Erschütterung nachempfunden werden können – alles so realitätsnah wie möglich. Lediglich G-Kräfte beim Beschleunigen, Bremsen und in den Kurven können nicht simuliert werden. Die Steuereinheit benötigt viele Terabyte Daten, um den Trip an eine echte Formel-1-Fahrt anzugleichen; eine fast endlose Zahl von Parametern fließt ein, selbst der Reifenverschleiß wird eingerechnet. Die Programme sind geheim und werden gehütet wie die Daten der Autos – folglich geht der Wert der Anlagen in die Millionen. „Wenn man diese Simulatoren und die Heimlösungen vergleichen würde“, sagt einer aus dem Mercedes-Team, „ist es, als würde man eine Fahrt zum Einkaufen mit einem Formel-1-Rennen vergleichen.“ Sim-Racer Jimmy Broadbent durfte mal in den BMW-Simulator klettern. „Es fühlt sich an, als würde man tatsächlich auf dem Hockenheimring Runden drehen“, sagt der Youtube-Influencer, „dazu kamen das reale Cockpit, das realitätsnahe Bremspedal, die Sitzposition und die riesige Leinwand, auf der ich Strecke und Umgebung wahrnehmen konnte wie in der Realität.“

Sinnvolles Training

Man könnte daraus folgern, dass die virtuellen Cockpits, in denen die Rennfahrer zu Hause sitzen, lediglich dazu dienen, ihnen die Wartezeit bis zum realen Rennen zu verkürzen. Philipp Eng sieht das nicht so, für ihn sind die E-Runden sinnvolles Training. „Die virtuellen Rennen helfen mir, mental im Rennmodus zu bleiben, denn auch wenn es sich im Simulator nicht genauso anfühlt, sind meine Instinkte doch die gleichen wie auf der echten Strecke“, sagt der Tourenwagen-Fahrer, „die kann ich somit schärfen. Das Sim-Racing bringt einen Mehrwert.“