Das Hexenhaus hat geheime, gruslige Winkel: Sophia Lillis in „Gretel und Hänsel“ Foto: Verleih

Waren Gretel und die Hexe Feministinnen? Und was ist bloß los mit den USA? Diese und andere Fragen wirft aktuell das Kino auf.

Stuttgart - Filme zu sehr unterschiedlichen Themen starten in dieser Woche in den Kinos – wir geben einen Überblick.

Gretel und Hänsel

Die Märchen der Brüder Grimm sind guter Filmstoff, sie bieten maximales Drama, oft verbunden mit Gewalt. Der Norweger Tommy Wirkola hat „Hänsel und Gretel“ 2013 als Fantasy-Action-Figuren auf Hexenjagd geschickt. Der Amerikaner Oz Perkins nun versucht sich an einem Mystery-Szenario, in dem die ausgesetzten Kinder an die Hexe Holda geraten. Die entdeckt in der fast erwachsenen Gretel eine Gabe und beginnt sie auszubilden.

So helfen Frauen sich selbst und schützen einander in einer übergriffigen Welt, dieser feministische Ansatz ist reizvoll. Leider spielt Perkins ihn nicht voll aus, bedrohliche Männer treten nur zu Beginn auf. Dafür legt er einen großen Gestaltungswillen an den Tag: Er setzt seine Figuren in eine gespenstische Natur und in düstere Innenräume, die deutlich über Mittelalter-Klischees hinausweisen. Im Zentrum steht das Ringen zwischen Alice Krige als verschlagener Hexe und Sophia Lillis als rebellischer Gretel

Perkins geht es mehr um Psycho-Grusel denn um offene Gewalt, und die Magie zeigt sich nur in wenigen, gut gewählten Momenten. Es gibt seltsame Kreaturen zu sehen, Nahrungsmittel im Überfluss ohne erkennbare Quelle, nervöse Handkamera-Szenen wie einst in „Blair Witch Project“, beeindruckende Gestaltwandlungen und mächtig dröhnende Synthesizer, von denen der Horror-Altmeister John Carpenter in den 70ern nur träumen konnte (ab 16, Cinemaxx City & SI, Metropol).

Das beste kommt noch

Zunächst scheint es so, als würden die französischen Filmemacher Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte grandios scheitern. Der großspurige Lebemann César (Patrick Bruel) ist pleite und sucht Unterschlupf bei seinem alten Schulkameraden Arthur (Fabrice Lucchini), einem verstockten Professor. Im Krankenhaus kommt es zu einer logikfreien Verwechslungskomödie, welche dieser beiden Karikaturen nun Krebs hat. Dann aber, ein sehr seltener Fall, berappeln sich Drehbuch und Regie und finden aus der Blödelei zu einem einfühlsamen Drama, in dem zwei ältere weiße Männer tief in ihre Biografien eindringen und erkunden, was Freundschaft eigentlich bedeutet.

Während Bruel und Lucchini sich an den Gegensätzen ihrer Figuren abarbeiten, gewinnen diese an Konturen und entwickeln sich. Eine Ex-Frau, ein schuldiger alter Vater und die Leiterin einer Selbsthilfegruppe flankieren die beiden, zu Schluss hält Lucchini eine bemerkenswerte Rede. Umso rätselhafter erscheint da der verquält lustige Beginn (ab 6, Atelier am Bollwerk).

Semper Fi

„Semper fidelis“ („für immer treu“) ist das Motto der Marines, der schnellen Eingreiftruppe des US-Militärs. In Henry Alex Rubins Filmdrama geraten fünf Marines in schwere Loyalitätskonflikte. Der heißblütige Oyster (Nat Wolff) gerät in eine Kneipenschlägerei mit Todesfolge und sein älterer Bruder Callahan (Jai Courtney), im zivilen Leben Polizist, verhindert dessen Flucht. Trotz Notwehr wandert Oyster als Mörder in den Knast. Bald plagen Callahan Zweifel und er plant mit den Kameraden Jaeger, Milk und Snowball, Oyster zu befreien.

Wie auch immer Rubin seinen Film gemeint hat: Er zeigt auf bestürzende Weise, was in Amerika alles nicht stimmt. Schwer bewaffnete weiße Männer aus kaputten Familien, als aufopferungsvolle Patrioten im Irak traumatisiert oder gar versehrt, hängen in unterbezahlten Jobs fest, machen in steter Selbstbeschwörung Testosteron-Radau und greifen zur Selbstjustiz, weil es Gerechtigkeit nur für Reiche gibt, die sich teure Anwälte leisten können. Die Widersprüche sind so überwältigend wie in praktisch jeder Aussage des aktuellen US-Präsidenten.

Die Gesichter der Kerle dominieren den präzise montierten Bilderbogen, der nicht leicht auszuhalten und den die US-Kritiker nicht mochten – zu hässlich war vielen wohl die Fratze, die da als nationales Spiegelbild von der Leinwand zurückschaut (ab 12, Cinemaxx SI, Metropol).

Eine größere Welt

Um sich von der Trauer um ihren verstorbenen Mann abzulenken, reist die Toningenieurin Corine (Cécile de France) in die Mongolei, um für eine dokumentarische Reihe über Spiritualität traditionelle Gesänge und religiöse Zeremonien aufzuzeichnen. Kaum beginnt die Schamanin zu trommeln, bebt Corine am ganzen Körper, gerät in einen Trance-Zustand und heult wie ein Wolf – sie hat selbst die Gabe.

Die Regisseurin Fabienne Berthaud („Barfuß auf Nacktschnecken“) erzählt die reale Geschichte von Corine Sombrun, die sich zur Schamanin ausbilden und dann in Trance von französischen Wissenschaftlern untersuchen ließ. Berthaud gibt dokumentarische Einblicke in die Kultur und naturnahe Lebensweise der mongolischen Dorfbewohner und ihrer spirituellen Anführerin (Tserendarizav Dashnyam), Cécile de France wirft sich in die schwierige Rolle hinein und verkörpert glaubhaft die Depression, den physischen Ausnahmezustand beim Ritual und die Zweifel und Fragen danach.

Behutsam geht die Regisseurin mit ihren Figuren um, Empathie und Respekt stehen im Vordergrund. Die Lehrerin macht es der Schülerin nicht zu leicht, die Trance wird passabel visualisiert – und die Frau aus dem Westen braucht Zeit, bis sie Erdung und Entschleunigung annehmen kann (ab 12, Atelier am Bollwerk).

Weitere Filmstarts

Passend zur „Black lives matter“-Bewegung erzählt Kasi Lemmons („Eve’s Bayou“) in „Harriet – Der Weg in die Freiheit“ (Ab 12, Cinema, Cinemaxx City, Delphi) die wahre Geschichte der Afroamerikanerin Harriet Tubman (Cynthia Erivo), die im 19. Jahrhundert der Sklaverei entfloh und hunderten anderen Sklaven zur Freiheit verhalf. Dokumentarische Porträts widmen sich dem Fotografen „Helmut Newton – The Bad and the Beautiful“ (Ab 6, Atelier am Bollwerk, OmU) sowie dem Rolling Stones-Gitarristen „Ronnie Wood – Somebody up there likes me“ (ab 6, Delphi, OmU). Zwei Trickfilme widmen sich Hunden: „Scooby!“ (ab 6, Metropol) erzählt von Scooby Dos Anfängen und der Gründung des Detektivclubs Mystery Inc., der eine Verschwörung um den Geisterhund Cerberus entdeckt, in „Paw Patrol – Mighty Pups“ (Ohne Altersbeschränkung, Cinemaxx SI) bekommen die helfenden Vierbeiner in der Abenteuerbucht Superkräfte – aber auch der Bösewicht. Am Beispiel zweier mutmaßliche linksradikaler Terroristen, die seit 25 Jahren in Venezuela untergetaucht sind, erörtert der Dokumentarfilm „Gegen den Strom – Abgetaucht in Venezuela“ (ab 12, Delphi), was Widerstand bedeutet.