Stammgast auf dem roten Teppich: Hildur Gudnadottir Foto: AP/Richard Shotwell

Die Isländerin Hildur Gudnadóttir ist die erfolgreichste Filmmusikkomponistin dieser Tage. Für ihre Soundtracks zu „Joker“ und „Chernobyl“ hat sie jüngst einen Oscar, einen Grammy, einen Emmy und einen Golden Globe gewonnen.

Berlin - Neulich hatte es Hildur Gudnadóttir zur Abwechslung mal nicht weit. Von ihrem Tonstudio in Kreuzberg bis zum Theater Hebbel am Ufer hätte die Wahlberlinerin fast zu Fuß gehen können. Bis zum letzten Platz ausverkauft war das Haus, als die 37-jährige Isländerin dort bei der hochkarätig besetzten „Talents“-Reihe der Berlinale Einblick in ihr Denken und Schaffen gewährte.

Die Reisen davor waren für sie zwar sehr erfüllend, führten allerdings in deutlich entferntere Gefilde. Zwei Wochen vor dem Berliner Gespräch war sie zum Beispiel bei der Oscar-Nacht im Dolby Theatre in Los Angeles zu Gast. Einen Monat davor führte sie ihr Weg ebenfalls nach Kalifornien, erst nach Hollywood zur Golden-Globe-Verleihung, dann nach Santa Monica zur Gala der US-Kritikerpreise. Und dazwischen ging es für sie nach London, wo die British Academy Film Awards vergeben wurden, die Baftas.

Und bei ausnahmslos all diesen Galas wurde sie für ihre Filmmusik zu Todd Philipps’ Blockbuster „Joker“ auch mit einem Preis ausgezeichnet.

Berliner Abräumerin in Hollywood

Ein Oscar, ein Golden Globe, eine Critic’s-Choice- und eine Bafta-Trophäe stehen jetzt also daheim in ihrer Vitrine. Sie dürfen um die Wette strahlen mit einem der goldenen Grammy-Grammofone und einer der Emmy-Statuetten – denn diese beiden Trophäen hat Hildur Gudnadóttir im September und Januar ebenfalls für ihre Filmmusik gewonnen, diesmal für die Miniserie „Chernobyl“, die für den US-Sender HBO gedreht wurde und in Deutschland zuerst bei Sky Atlantic lief.

„Chernobyl“ thematisiert die ukrainische Nuklearreaktorkatastrophe von 1986, „Joker“ dreht sich um einen Psychopathen: Nicht gerade heitere Sujets sind es, die Gudnadóttir musikalisch grundiert, und entsprechend klingen auch ihre Soundtracks. Düster ist die Musik, von – auch formaler – Strenge, fast bis ins Karge reduziert; sie ist der Gegenentwurf zur schwelgerischen Opulenz und cinemascopehaft orchestrierten Breite der Filmmusiken eines Hans Zimmer oder John Williams. Gudnadóttir, die schon als Kind mit dem Cellospiel begann, spielt sie auf diesem Instrument auch ein, verfremdet sie künstlich (auch in Elektrotechnik ist sie ausgebildet), ergänzt sie mit sphärischen oder auch harschen Klängen etwa einer Harfe und fügt bisweilen ihre Stimme hinzu. Heraus kommt puristische, aber beeindruckende Musik auf ganz erstaunlichem ästhetischem Niveau an der Schnittstelle von U- und E-Musik.

Privat ist sie ganz anders

Passgenau legt ihr Musizierduktus ein Fundament für die Omnipräsenz der sichtbaren und unterschwelligen Gewalt in den Filmen, mit ihr als Künstlerin selbst habe das jedoch nichts zu tun. „Mein Wesen ist ganz anders als meine Musik“, erzählt Hildur Gudnadóttir an jenem Nachmittag neulich in Berlin, wo die Tochter eines Dirigenten aus Reykjavík nach einer ersten Station an der Icelandic Academy of Arts an der Hochschule der Künste Komposition studiert hat und seit vielen Jahren lebt. Ausführlich beantwortet sie jede Frage, sehr selbstbewusst, mit einem sehr strengen Selbstverständnis als Künstlerin jedoch auch. Nicht so sehr nur pure Freude hätten ihr all die Auszeichnungen gebracht, sondern in erster Linie „mehr Freiraum für mich“ und „den Beweis, dass man mir vertraut für das, was ich tue“, erzählt sie. Oder dass es keineswegs die kühl-karge Natur Islands sei, die sie in ihrer Herangehensweise geprägt habe: „In Island gibt es viel Platz, aber Berlin hat mir viel mehr geistigen Freiraum gegeben – und der ist mindestens so wichtig, wenn nicht noch wichtiger.“

So ganz von der Strenge kann sie sich bei ihrem künstlerischen Ansatz allerdings doch nicht frei machen. Der verspielte Ton ist ihre Sache nicht; in „Chernobyl“ wollte sie „die Musik Strahlung sein lassen“, für ihre Arbeit versucht sie, „alles zu eliminieren, was Störgeräusche in mein Leben bringt“, und ihr Instrument begreift sie „als Verlängerung meiner Persönlichkeit“ – alles Sätze, wie sie beileibe nicht jeder Musiker formuliert, der in die Öffentlichkeit drängt.

Bewusst entziehen will sie sich dieser Öffentlichkeit aber nicht. Man kann dies bei Youtube in ihren Dankesreden auf den Bühnen in Los Angeles sehen, bei der häufigen Zusammenarbeit mit anderen Popmusikern oder bei den sorgfältig ausgesuchten Konzertperformances, bei denen sie auch live spielt – demnächst etwa bei dem herausragend gut kuratierten Rewire-Festival Anfang April in Den Haag.

Ein Schutzpanzer ist nötig

Ein Schutzpanzer ist ihr umgekehrt sehr wichtig, das hört man ihr an. „Ich wurde glücklicherweise bisher immer von Leuten angesprochen, die etwas mit mir machen wollten“, sagt sie etwa über die denkbare Angst, nicht über die Verwendung ihrer Musik mitreden zu können. Auf die für sie angenehme Spitze getrieben wurde das beim „Joker“, von dessen Regisseur sie fast schon schwärmt. „Todd ist ein starker Charakter, er hat mich vor dem ganzen Hollywoodlärm geschützt“, sagt sie – und Philipps hat sie tatsächlich, höchst ungewöhnlich, zunächst die Musik schreiben lassen und sich daran dann beim Dreh orientiert. Das für sie beglückende filmische Ergebnis sei schließlich „genau das gewesen, was ich beim Komponieren vor meinem geistigen Auge gesehen habe“.

Und was kommt, wenn sich der Rummel um den „Joker“ gelegt hat? Vielleicht mal wieder Theatermusik, wie sie sie auch schon geschrieben hat? Oder neue Musik mit Bands wie Múm (in der sie selbst einst mitspielte), den britischen Industrialpionieren Throbbing Gristle oder der amerikanischen Indieband Animal Collective, mit der sie bereits tourte? Kollaborationen wie schon einmal mit Ryuichi Sakamoto oder anderen Pop-Könnern?

Hildur Gudnadóttir weiß es noch nicht. Sie sei wie Hänsel und Gretel, folge den Brotkrümeln und lasse sich überraschen, sagt sie. Bis sie das nächste Mal etwas von sich hören lässt, brauche sie erst mal wieder ihre innere Ausgeglichenheit zurück. Muße, frei von Störgeräuschen. Und Zeit, denn gut Ding will bei ihr Weile haben. Allein an der „Joker“-Filmmusik hat sie anderthalb Jahre gearbeitet.