Podiumsdiskussion in den Karl-Schubert-Werkstätten mit Nils Schmid (SPD), Renata Alt (FDP), Thomas Poreski (Grüne), Michael Hennrich (CDU) und Johanna Tiarks von den Linken (von links). Foto: Eisenhardt Quelle: Unbekannt

Von Katja Eisenhardt

„Was ich schon immer mal Politiker/innen fragen wollte. . . - Politik trifft Menschen mit Behinderung“: So lautete der Titel einer außergewöhnlichen Podiumsdiskussion in den Karl-Schubert-Werkstätten in Filderstadt-Bonlanden. Rede und Antwort standen die Bundestagskandidaten Nils Schmid (SPD), Renata Alt (FDP) und Johanna Tiarks (Die Linke), MdB Michael Hennrich (CDU) sowie MdL Thomas Poreski (Bündnis 90/Die Grünen). Eingeladen hatten der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg und die Karl-Schubert Gemeinschaft. Dass es in punkto Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung noch einiges zu tun gibt, zeigte sich im Verlauf der eineinhalbstündigen Debatte bald.

Drei Minuten Zeit hatte anfangs jeder Politiker für ein Statement zur Frage: „Wenn Sie gewählt werden, wie setzen Sie sich dann für uns ein?“ Im Fokus standen die Themenfelder Arbeit, Wählen, Wohnen und Barrierefreiheit. Einigkeit herrschte zum Thema Einführung eines Wahlrechts für Menschen mit Behinderung. Ein Manko, das Cornelia Meyer-Lentl, Bereichsleiterin Menschen mit Behinderung beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg, gleich zu Beginn ansprach. Noch immer seien etwa 80 000 Bürger mit Behinderung in Deutschland von der Bundestagswahl ausgeschlossen. Mit einer Änderung des Wahlgesetzes tue sich die Bundesregierung schwer. „Dabei sollte das mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenkonvention für Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein.“ Umso wichtiger sei es, die Debatte um eine allumfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen aufrecht zu erhalten.

„Umfassende Barrierefreiheit nötig“

„Wir fordern: Ein einheitliches Bedarfsinstrument in Baden-Württemberg - in jedem Landkreis muss der gleiche individuelle Bedarf anerkannt werden. Außerdem den Ausbau von öffentlichem Wohnraum und eine Anpassung des Wohngelds analog des Mietpreisspiegels sowie eine Erhöhung der Ausgleichsabgaben für Unternehmen. Zu viele zahlen lieber, als einen Menschen mit Behinderung einzustellen. Ebenso wichtig ist eine umfassende Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen. Denn: Teilhabe ist kein Almosen, sondern ein Menschenrecht“, sagte Meyer-Lentl. Kritisch sieht den Status quo auch Wolfgang Woide, Geschäftsführer der Karl-Schubert Gemeinschaft Filderstadt: „Wir haben Sorge, dass durch gesetzliche Vorgaben noch mehr Reglementierung für die tatsächliche Hilfe herauskommt. Wir wünschen uns eine verstärkte Abstimmung zwischen Bundes- und Landesgesetzgebung, damit Menschen mit Behinderung überall in Deutschland gleiche Konditionen erhalten.“

Einigkeit herrschte unter den Parteivertretern beim Thema Ausbau der Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen, auch in Form der Digitalisierung. Diese könne etwa im Verwaltungsbereich Erleichterung schaffen, zig verschiedene Behördengänge zu einem Anliegen ersparen, so die Vision der FDP. Zustimmung gab es für eine bundesweit einheitliche Handhabung von Leistungen, je nach individuellem Bedarf des Antragsstellers. Kontrovers wurde dagegen die Erhöhung der Ausgleichszahlungen für Unternehmen bewertet. Während sich Johanna Tiarks (Die Linke) dafür stark machte - „Das muss richtig weh tun“ -, und Thomas Poreski (Bündnis 90/Die Grünen) ergänzte, man müsse zudem die Quote von fünf auf sechs Prozent Beschäftigten mit Behinderung erhöhen, betonte Michael Hennrich (CDU), sinnvoller sei es, die Unternehmen zu motivieren, Menschen mit Behinderung einzustellen, anstatt sie mit höheren Ausgleichsabgaben abzustrafen. Die Linke steht für den Bau von jährlich 250 000 staatlich geförderten, barrierefreien Sozialwohnungen, die CDU dagegen für die Erhöhung der Wohngelder. Schmid (SPD) plädierte für eine Kombination aus beidem inklusive mehr Wohnungen im Allgemeinen sowie eine Verschärfung der Mietpreisbremse. Weitere Themen der Runde waren unter anderem die bessere Integration auf dem (ersten) Arbeitsmarkt, ein Mindeststundenlohn von zwölf Euro für alle Beschäftigten oder auch die Lösung des Fachkräftemangels in den Sozialberufen sowie eine angemessene tarifliche Bezahlung.

Wohlfahrtsverband

Der Paritätische Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist weder konfessionell, weltanschaulich, noch parteipolitisch gebunden. Der Verband steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. Ihm sind in Baden-Württemberg mehr als 8500 selbstständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 4000 sozialen Diensten und Einrichtungen sowie gut 50 000 freiwillig Engagierten angeschlossen. Ihm gehören ungefähr 200 Mitgliedsorganisationen aus den Bereichen Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie an.