Seit Beginn des Krieges haben sehr viele Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht in Deutschland gesucht, aber auch in ukrainischen Städten wie Poltawa, die bisher nicht beschossen wurden. Foto: dpa/Hannibal Hanschke

Seit elf Monaten schon herrscht Krieg in der Ukraine. Wie sieht die Situation aktuell in Poltawa aus – der gemeinsamen Partnerstadt von Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen und Ostfildern?

Die Menschen, die trotz des russischen Angriffskrieges in der ukrainischen Stadt Poltawa leben, haben bisher Glück gehabt. Die Partnerstadt von Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen und Ostfildern ist anders als in den Nachbarstädten Charkiw oder Sumy bis heute nicht mit Raketen beschossen worden, berichtet Alena Trenina. Sie war bis Januar Mitarbeiterin des Kulturamtes der Stadt Leinfelden-Echterdingen und viele Jahre für die ukrainische Partnerstadt zuständig. Mittlerweile ist sie im Ruhestand, hält aber weiterhin telefonischen Kontakt mit Poltawa.

Sehr viele Binnenflüchtlinge suchten Schutz in der ukrainischen Stadt. Bis zu 200 000 Flüchtlinge lebten mittlerweile in Poltawa. „Die Menschen kommen, erholen sich ein bisschen, ziehen weiter nach Westeuropa oder versuchen zurück in ihre Städte zu gehen“, sagt Alena Trenina. Gleichzeitig kämen beständig neue Zufluchtssuchende in die Stadt, pro Tag würden teilweise bis zu 30 000 Menschen registriert.

Der Strom ist knapp und wird den Menschen zugeteilt

„Nachts müssen alle Fenster in Poltawa mit Decken abgedunkelt werden, die Straßenlaternen werden nicht eingeschaltet“, es herrsche völlige Dunkelheit. Ausgangsbeschränkungen seien angeordnet. Für die Bewohner besonders schwer auszuhalten seien die vielen Luftalarme tagsüber und auch nachts, berichtet Alena Trenina. „In Poltawa herrscht ein Leben zwischen den Sirenen“, sagt sie.

Immer wenn der Alarm losheule, „laufen die Menschen aus ihren Wohnungen die Treppe nach unten in den Hausgang.“ Es seien nur wenige Häuser unterkellert, sodass es nicht viele echte Verstecke gebe. Diese Situation dauere jetzt schon sehr lange an. Die Menschen seien dessen müde geworden. Gerade ältere Menschen liefen immer seltener nach unten – sie könnten es nicht mehr. Weil Russland die kritische Infrastruktur in der Ukraine permanent angreife, werde die Stromversorgung den Menschen in Poltawa nach einem genauen Plan zugeteilt.

Diesen Plan könne die Bevölkerung im Internet nachlesen. „Im Moment wird der Strom für zwei Stunden eingeschaltet und für vier Stunden ausgeschaltet“, sagt Trenina. Die Ausnahme bildeten Krankenhäuser und andere systemrelevante Einrichtungen in Poltawa, dort werde der Strom nur in extremen Ausnahmefällen abgeschaltet.

Wenn es Strom gebe, spielten die Theater. Die Philharmonie, die Museen und Bibliotheken seien geöffnet. Das Leben in der Stadt gehe trotz des Krieges weiter. „Die Menschen bekommen Gehälter und Renten ausbezahlt. Krankenhäuser und Arztpraxen behandeln weiterhin Patienten. Die Cafés und Restaurants haben sich an die Kriegssituation angepasst“, erklärt sie. Es werde tiefgekühltes Essen verkauft – beispielsweise ein Maultaschengericht. Dieses könnten sich die Leute zuhause oder im Büro erwärmen – in den Zeiten, in denen es Strom gebe.

Alle größeren Läden und Supermärkte seien geöffnet, man könne fast alles kaufen. Allerdings seien die Preise um 25 bis 50 Prozent gestiegen. Für sozial Schwache gebe es das sogenannte „Sozialbrot“. Dieses koste zehn ukrainische Hriwna. Alle anderen Bewohner müssten doppelt so viel für das Brot bezahlen. Eier, Milch und Milchprodukte seien sehr teuer geworden: „Für ein Kilo Käse muss man 350 bis 400 Hriwna zahlen“, sagt Trenina. Umgerechnet entspricht das neun bis zehn Euro. Im Vergleich zum Käse sei Fleisch wesentlich günstiger: ein Kilo koste 177 Hriwna. Auch Medikamente seien deutlich teurer als vor dem Krieg.

Auf dem gemeinsamen Spendenkonto von Ostfildern, Leinfelden-Echterdingen und Filderstadt wurden bis Ende vergangenen Jahres 290 952 Euro gesammelt. Das Geld wird in Tranchen nach Poltawa geschickt. Dort werden von den Spenden unter anderem Lebensmittel gekauft, die in den Unterkünften für die Binnenflüchtlinge verteilt würden.

Die Städtepartnerschaften von Leinfelden-Echterdingen

Stillstand
Gegenseitige Besuche mit der ukrainischen Stadt Poltawa sind aufgrund des Angriffskrieges derzeit nicht möglich. Der Austausch von Leinfelden-Echterdingen mit den anderen drei Partnerstädten Manosque (Frankreich), Voghera (Italien) und York (USA) ist derweil aufgrund der Coronapandemie zum Stillstand gekommen. Das soll sich wieder ändern.

Aktivität
Der Kommune ist es wichtig, dass gerade der Schüleraustausch mit Manosque, Voghera und York wieder angekurbelt wird. Um die wegen der Energiekrise und der Inflation gestiegenen Kosten abzufedern, hat der zuständige Gemeinderatsausschuss nun die städtischen Zuschüsse für Reisende in diese Partnerstädte erhöht. Dieses Jahr und kommendes Jahr wird es größere Feierlichkeiten zu 50 Jahre Städtepartnerschaft Manosque/Leinfelden-Echterdingen geben.