Zu Spitzenzeiten gab es am Donnerstag auch Warteschlangen. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Start in die Urlaubssaison verlief am Airport Stuttgart ohne Chaos. Stattdessen wappnen sich Reisende mit Kofferpack-Tricks und früher Anreise gegen Unbill.

Während die Krise manche Leute lähmt, macht sie andere erfinderisch: Eleonore und Thomas Fritsch beispielsweise haben in Vor-Corona-Zeiten jahrelang einen Koffer für sie und einen Koffer für ihn gepackt, wenn sie gemeinsam in den Urlaub aufbrachen. Aber jetzt, da an deutschen Flughäfen eingecheckte Gepäckstücke mitunter vorübergehend abhandenkommen, hat sich das bei Sinsheim wohnende Ehepaar für eine neue Packvariante entschieden: „Wir haben zwei Mann-und-Frau-Koffer eingecheckt, falls einer verloren geht“, sagt Eleonore Fritsch (52).

Ihr Mann möchte vor dem Gang zum Gate noch ein familiäres Versendefoto mit Seltenheitswert machen: Um 8.20 Uhr wartet an den acht geöffneten Checkin-Schaltern von Eurowings im Terminal 1 des Stuttgarter Flughafens tatsächlich kein einziger Mensch auf Abfertigung. „Ich will ‚alles überfüllt‘ zum Foto schreiben, natürlich mit Anführungszeichen“, sagt Thomas Fritsch (54) und lacht. Er und seine Frau sind früh dran: Ihr erster internationaler Flug seit Coronabeginn wird erst um 11.50 Uhr nach Palma de Mallorca abheben. Dass ihr Aufbruch in den zweiwöchigen Urlaub derart reibungslos vonstatten gehen würde, hätten sie nicht gedacht.

Fast wieder wie vor Corona

Denn vom vielerorts kolportierten Flugchaos war am Stuttgarter Airport auch am Donnerstag, dem ersten Tag der baden-württembergischen Schulferien, nichts zu spüren: Alle sieben Flüge nach Palma de Mallorca konnten Stand Donnerstagnachmittag abheben, keine der insgesamt 213 Starts oder Landungen war von kurzfristigen Annullierungen betroffen. „Der erste Ferientag ist gut gelaufen“, sagte die Airport-Sprecherin Beate Schleicher auf Anfrage unserer Zeitung.

Zwar habe es an starken Sommertagen vor Corona durchaus auch mal 300 Flugbewegungen pro Tag gegeben, dadurch dass viele Airlines jetzt größere Maschinen einsetzen würden, sei zu Ferienbeginn – was das Passagieraufkommen betrifft – das Vor-Corona-Niveau aber beinahe wieder erreicht: Rund 30 000 Passagiere würden derzeit täglich in Stuttgart starten oder landen, vor Corona seien es an vergleichbaren Tagen circa 35 000 gewesen. Insbesondere zwischen 4 und 6 Uhr morgens sei es in den Terminals „sehr lebhaft“ zugegangen. Um 9.35 Uhr jedoch zeigte die Anzeigentafel in allen drei Terminals jeweils nur eine einzige Minute Wartezeit vor der Sicherheitskontrolle an.

Hoffen, dass Koffer verloren gehen

Fatmir Fatush (24) musste vor dem Checkin-Schaltern von Turkish Airlines dennoch ein bisschen länger ausharren: „Eine gute Stunde“, schätzt er – und räumt lachend ein, „weil wir schon vor den Mitarbeitern da waren.“ Er und seine Freunde hatten sich bereits um 7.45 Uhr in die Schlange für den um 11.10 Uhr geplanten Flug nach Istanbul eingereiht. Die Empfehlung des Flughafens lautet weiterhin: „Fluggäste sollten mindestens zwei Stunden vor Abflug am Airport sein, aber keinesfalls mehr als drei Stunden vorher.“

Weder vom Schlangestehen noch vor eventuell drohendem Unbill mit dem Koffer ließ sich Fatush die Vorfreude auf die Hochzeit am Bosborus verderben, zu der er und seine Freunde am kommenden Montag eingeladen sind. Er hoffe geradezu, dass sein Koffer verloren gehe, sagte er, dann gebe es Geld von der Airline und damit eine gute Gelegenheit für neue Klamotten.

Stuttgart statt Frankfurt

Das Gepäck – ob als Hoffnungsträger oder als Sorgenkind – schien am Donnerstag in der Gedankenwelt abflugbereiter Urlauber einen Spitzenplatz einzunehmen. Nein, die Berichte von Flugchaos andernorts hätten ihnen kein Unbehagen bereitet, bekundeten Celine Bastian (17) und Selina Sheets (17) aus der Nähe von Kaiserslautern, die mit zwei weiteren Freundinnen zum ersten Urlaub ohne Eltern aufbrachen. „Aber wir hoffen, die Koffer kommen an“, sagte eine der Jugendlichen kurz vor dem morgendlichen Checkin nach Palma de Mallorca. Man freue sich auf eine Woche „Strand und Feiern“ auf der Insel und habe den Stuttgarter Flughafen aus finanziellen Gründen dem näher gelegenen Frankfurter Airport vorgezogen: Der Flug ab Stuttgart sei einfach billiger gewesen. Dafür nahmen die vier Freundinnen am Donnerstag Aufstehen um 4.30 Uhr in Kauf und einige elternchauffierte Zeit auf der Autobahn.

Womöglich profitiert der Stuttgart Airport nach dem für Reisende weitgehend stressfreien Ferienbeginn aber auch preisunabhängig von seinem Ruf als einem der gemütlichsten Großstadt-Flughäfen Deutschlands: Ein Pärchen, das nach Istanbul fliegen wollte, hatte unverhofft Zeit zum Sonnen vor dem Abflug; ein Mann, der sein Handy-Ladegerät vergessen hatte, fluchte erst auf Englisch mit deutschem Akzent, stieß dann jedoch ein versöhnliches „Ach-egal“ aus, und eine Familie veranstaltete mit einem kunstvoll beladenen Teller eine Art Pommes-Fest. Das in orangefarbene Westen gekleidete sogenannte Care Team des Flughafens wurde um Freiwillige aus dem Unternehmen in gelben Westen ergänzt. Am Sonntag wird Walter Schoefer, der Sprecher der Geschäftsführung der Flughafen Stuttgart GmbH, von 3.30 Uhr an persönlich ratsuchenden Reisenden zur Seite stehen.

Manche trauen der Gemütlichkeit aber offenbar noch nicht ganz: Bereits um 10 Uhr hatte sich eine stattliche 75-Meter-Warteschlange vor den Checkin-Schaltern von Tui gebildet, die natürlich noch geschlossen waren, weil der nächste Flug des Touristikkonzerns erst um 13.25 Uhr geplant war.