Bijan Djir-Sarai spaziert durch seinen Arbeitsplatz, das Berliner Regierungsviertel: „Jemand wie ich ist in so einer Position keine Ausnahme mehr.“ Foto: STZN/Christopher Ziedler

Der im Iran geborene Bijan Djir-Sarai wird nächstes Wochenende zum FDP-Generalsekretär gewählt. Bei einem Spaziergang durch Berlins Regierungsviertel blickt er auf einen langen Weg zurück und nach vorne.

Das Aprilwetter, das binnen Minuten aus Sonnenschein Regen werden lässt, hält ihn nicht auf. Bijan Djir-Sarai will trotzdem eine Runde an der frischen Luft drehen, er mit der rheinländisch-frohnatürlichen Überzeugung, dass es schon wieder aufklaren wird. Also geht es nicht zurück in sein Büro schräg gegenüber dem Reichstagsgebäude, sondern an die Spree.

Der 45-Jährige redet über den irrwitzigen Takt, den der politische Betrieb gerade vorgibt – Russland, Ukraine, Krieg, Energiepreise, Corona. Und er mittendrin als Generalsekretär einer frisch an die Macht gekommenen Regierungspartei in einem Deutschland, dem gerade täglich neue Gewissheiten abhandenkommen. Gewählt wird er erst beim FDP-Parteitag am nächsten Wochenende, praktisch amtiert er schon eine ganze Weile, da Vorgänger Volker Wissing längst ins Verkehrsministerium eingezogen ist.

Bijan Djir-Sarai zeigt auf den bronzefarbenen Streifen, der auf der Uferpromenade in den Boden eingelassen ist: „Wir stehen genau da, wo die Mauer verlaufen ist.“ Der Abgeordnete war 13 und erst zwei Jahre in Deutschland, als sie fiel. Noch war vieles neu, aber dass da etwas Großes passiert, war dem Teenager aus dem Iran klar. „Ich kannte damals in so jungen Jahren die Hintergründe natürlich nicht in allen Details, aber ich begriff, dass mit der DDR eine Diktatur zu Fall gebracht wurde“, erzählt Djir-Sarai, „für jemanden, der selbst in einer Diktatur gelebt hat, gibt es nichts Schöneres.“

Die Diktaturerfahrung ist „ein Schmerz, der niemals ganz weggeht“

Als er auf seine Kindheit in Teheran zu sprechen kommt, ist da „ein Schmerz, der niemals ganz weggeht“. Auf einer eher politischen Ebene trauert er dem nach, was durch die islamische Revolution 1979 an Aufklärung und Freiheit verloren ging, eine Entwicklung, die er ähnlich in Afghanistan beobachtet: „Mir kommen die Tränen, wenn ich Bilder aus Teheran oder Kabul in den Sechzigern sehe, wie sich unverschleierte Frauen damals ganz selbstverständlich über den Universitätscampus bewegten – ich hoffe sehr, dass das nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft ist“.

Etwas ganz Persönliches ist es auch. Im Kopf tauchen Bilder vom ersten Schultag auf, an einer Schule, in der Lehrer in erster Linie Revolutionswächter waren und der Direktor sie mit Maschinengewehr in der Hand grüßte. Der Iran stand im ersten Golfkrieg dem Irak gegenüber, und schon die Kinder wurden dafür rekrutiert. „Häufig kamen Soldaten in unsere Klasse und warben dafür, mit ihnen an die Front zu gehen und zum Märtyrer zu werden“, erinnert sich Bijan Djir-Sarai, „einmal hatten sie sogar angebliche Schlüssel fürs Paradies dabei, die sie uns schenkten“. Er durchschaute das: „Leider war das nicht bei allen meiner Mitschüler der Fall.“

Vor allem die Bombennächte in Teheran haben ihn lang nicht losgelassen. An seinem ersten Silvester in Grevenbroich bei Neuss, wohin ihn die Eltern 1987 in die sichere Obhut des in Deutschland lebenden Onkels gegeben hatten, erschrickt Bijan fast zu Tode. Es dauert, bis ihn Böller nicht mehr ängstigen. Er beißt sich am Gymnasium durch, studiert nach dem Abitur Betriebswirtschaftslehre in Köln, heiratet und wird Vater – die Kriegserinnerung verblasst. Der Iran, wo die Eltern immer noch leben, ist weit weg. „Irgendwann hatte ich nur noch die Sorge, dass meine Kinder Frieden und Freiheit als zu selbstverständlich erachten und sich nicht dafür engagieren.“

Der Blick fällt auf das weiße Zelt vor dem Berliner Hauptbahnhof, in dem Flüchtlinge aus der Ukraine willkommengeheißen werden. „Jetzt ist der Krieg wieder nah und real“, sagt Djir-Sarai, „in all seiner Brutalität und Sinnlosigkeit.“

Außenpolitisch ein eher harter Hund

In der Ampelkoalition macht auch er Druck auf Kanzler Olaf Scholz, der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zuzustimmen. Djir-Sarai nimmt für sich in Anspruch, stets für kritischen Dialog mit Russland eingetreten zu sein, aber früh dessen Aggressivität nach außen und brutalen Umgang mit Kritikern im Innern benannt zu haben. Der Verlust seiner Menschenrechte als Kind hat ihn da zum harten Hund werden lassen, der als außenpolitischer Sprecher der Fraktion etwa 2018 laut Widerworte gab, als die FDP einseitige Sanktionslockerungen diskutierte. Und wenn sogenannte Querdenker heute von Corona-Diktatur faseln, geht er hart dagegen.

Als junger Mann war er begeistert, wie ein neuer Bundestagsabgeordneter namens Cem Özdemir ihm als Migrationskind das Gefühl vermittelte, auch er könne diese Gesellschaft mitgestalten. Warum er damit nicht bei den Grünen, sondern den Liberalen anfing, erzählt Djir-Sarai auf der Fußgängerbrücke hin zum Kanzleramt. „Der Name des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher war mir schon im Iran ein Begriff – ich wusste zwar damals nicht, in welcher Partei er war, aber die musste es dann sein.“ Am Tag nach der Einbürgerung füllt er den Mitgliedsantrag aus, ohne an eine Politkarriere zu denken: „Ich habe diesem Land alles zu verdanken und wollte etwas zurückgeben.“

Die Ernüchterung, die folgte, will er als Generalsekretär künftig anderen ersparen. „Statt der Demokratie weltweit zum Sieg zu verhelfen, ging es im Ortsverein Grevenbroich erst einmal um Parkplatzmanagement und die Innenstadtverschönerung“, sagt Bijan Djir-Sarai und lacht. „Ich habe das sehr gern gemacht, aber es schreckt auch Menschen vom politischen Engagement ab, wenn sie immer kommunal anfangen und sich quasi parteiintern erst einmal zu ihren Herzensthemen hocharbeiten müssen – das will ich verändern.“

Doch jetzt ist erst einmal Krisenmodus angesagt, in der Ampel rumort es wegen der Waffenlieferungen. Dazu stehen die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und in seinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen an, in beiden Fällen will die FDP eine Beteiligung an den jeweiligen Landesregierungen verteidigen. Ein Selbstläufer wird das nicht, schließlich weiß niemand, wie die liberale Coronapolitik, der Ukrainekurs der Ampel oder teure Nachtragshaushalte beim eigenen Wahlvolk ankommen.

Am Kanzleramt angekommen ist er nun im doppelten Sinne. Der erste Koalitionsausschuss, an dem er teilnahm, fand am Vorabend des Krieges statt, der zweite ging bis in die frühen Morgenstunden. Es dauerte, bis das Energiepreisentlastungspaket geschnürt war. Djir-Sarai, eher ein Schwarz-Gelber, gibt zu, bisher „sehr positiv überrascht“ von der eigenen Koalition zu sein. Ein Zuckerschlecken ist es aber nicht: „Die Ampel ist eine Herausforderung, die vor einem Jahr noch unvorstellbar war – und als wäre es mit so verschiedenen Parteien nicht schon schwierig genug, hatten wir vom ersten Tag an mit zahlreichen Krisen zu kämpfen.“

Bewältigen will er das gemeinsam mit seinem Vorsitzenden – sie wollen den Erfolg der Partei wie der Regierung. „Christian Lindner ist mit Leib und Seele Parteichef, daher ist es nicht so, dass er nur noch über die Arbeit der Ampelkoalition spricht und ich die Fahne der FDP hochhalte“, so Djir-Sarai, „wir machen das gemeinsam.“

Zurück am Reichstagsgebäude blickt der künftige General hinauf zum Schriftzug über dem Haupteingang. „Dem deutschen Volke“ steht bekanntlich dort. Djir-Sarai findet das nicht problematisch, bräuchte die „Der Bevölkerung“ gewidmete Kunstinstallation drinnen nicht. „Ich identifiziere mich so sehr mit Deutschland, dass ich manchmal selbst überrascht bin von solchen Fragen“, erzählt er: „Das war nicht immer so, aber da hat sich die vergangenen zehn Jahre glücklicherweise wahnsinnig viel getan – jemand wie ich ist in so einer Position keine Ausnahme mehr.“