In Weingarten wagte sich ein Unbekannter mit einer Adolf-Hitler-Maske ins Fasnetsgeschehen und übte laut Kritik am NS-Regime. Der Mann wurde nie enttarnt. Sein suberversiver Auftritt aber blieb unvergessen.
Am 19. Februar 1939 feierte man in der Stadt Weingarten die Fasnacht wie immer. Hunderte von Hästrägern zogen durch das schwäbische Narrennest. Die Maske eines Plätzlers, wie die Narren dorrt heißen, freilich stach heraus, sie war neu und doch zu vertraut: Ihre Gesichtszüge erinnerten deutlich an das Profil von Adolf Hitler, der zu diesem Zeitpunkt seit sechs Jahren Reichskanzler war und das Deutsche Reich längst zu einer Diktatur umgebogen hatte. Das verkniffene Gesicht, der kleine quadratische Bart über der Oberlippe, der akkurat gezogene Scheitel ließen keinen Zweifel. Wer immer sich diese Maske ausgedacht und sie aufgesetzt hatte, nahm den „Führer“ auf die Schippe. Opposition im närrischen Gewande, das war ein lebensgefährliches Unterfangen.
Entschwunden in der Menge
Damit nicht genug: Der Führer-Parodist zog vor das Rathaus und rief den Würdenträgern auf dem Balkon diese Worte zu: „Der Krieg ist verloren, bevor ihr ihn überhaupt angefangen habt. Sieg Heil.“ Dann entwischte er durch die Gassen von Weingarten. Der NS-Kreisleiter Carl Rudorf befahl, den Unbekannten festzunehmen. Ohne Erfolg, der Mann wurde nicht gefasst. Er nutzte die Tarnung für einen Akt des Widerstands. So beschreibt es der Journalist Oliver Linsenmaier.
Wenn auch der anonyme Plätzler nicht erwischt wurde, konnte sich der Holzschnitzer nicht lange bedeckt halten. Das Aussehen der Larve führte schnell zum bekannten Bildhauer Alfons Arnold, der schon bisher die Masken für die stadttypischen Plätzler gefertigt hatte. Arnold räumte ein, dass das Stück von ihm stammte, doch hatte er sich eine Ausrede zurechtgelegt: Die Ähnlichkeit mit Hitler sei rein zufällig, sagte er. Ein alter Weingarter aus der Familie Betz habe ihm Modell gestanden.
Nazis kapern Brauchtum
Derart kühne Verkleidungen für die fünfte Jahreszeit waren nach 1933 selten. Die Fasnacht wurde nicht verboten, weil sie zunächst mit den Absichten des Regimes gut vereinbar war. Früh erkannten NS-nahe Volkskundler, dass man die Tradition mit einigen energischen Handgriffen in den Dienst der „Bewegung“ nehmen konnte. Mit Unterstützung der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) wurden die närrischen Tage zur „Volksfasnacht“ ausgebaut und aufgebauscht. Wobei es dann doch seltene Ausnahmen gibt – wie „d’r Adolf“ von Weingarten. Schade, dass man ihn nicht kennt. Der Träger der verhunzten Adolf-Maske tanzte buchstäblich aus der Reihe.