Von Nervbacken, gläsernen Decken und dem Thomas-Effekt - auch nach 100 Jahren Frauenwahlrecht müssten Frauen kämpfen, sagt Ministerin Giffey. Nett sein allein reicht nicht.
Rheinstetten (dpa/lsw) - Zu wenig Frauen in den Parlamenten, zu wenige in den Chefetagen und noch immer ein Lohngefälle zwischen Mann und Frau - 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts sei die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichberechtigung längst nicht überall durchgesetzt, betont Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Speziell junge Frauen rief sie deshalb dazu auf, für ihre Rechte zu kämpfen. Ihnen müsse man sagen: «Es ist gut, wenn Du Dich engagierst», sagte sie am Montag bei der 25. Bundeskonferenz der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in Rheinstetten bei Karlsruhe.
Nerven ist wichtig
Frauenbeauftragte würden in ihren Kommunen schon mal als «Nervbacke» verstanden, wenn sie immer wieder gleiche Rechte einfordern. «Aber es ist wichtig, zu nerven. Sonst erreicht man nichts», unterstrich Giffey vor rund 400 Teilnehmerinnen aus ganz Deutschland. «Mit Nettsein kommt man nicht immer sehr weit.»
Bei der zweitägigen Veranstaltung unter dem Motto «Verfassungsauftrag Gleichstellung» standen Diskussionen mit Gästen über politische und rechtliche Entwicklungen auf dem Plan - von Geschlechterrollen im Islam bis hin zur vor allem von Frauen geleisteten sogenannten Sorgearbeit wie der Pflege und Betreuung von Kindern und Älteren. Am Ende soll eine Karlsruher Erklärung verabschiedet werden.
21 Prozent weniger Bruttolohn
«Der Fortschritt ist eine Schnecke», sagte Giffey. Während das Bundesverfassungsgericht mit sieben Richterinnen fast paritätisch besetzt sei, stießen Frauen in den Chefetagen der Wirtschaft weiter an eine «gläserne Decke». Es gebe in deutschen Vorständen einen «Thomas-Kreislauf», was so viel bedeute wie: «Thomas fördert Thomas und Michael fördert Michael.» Hinzu komme: «Frauen bekommen statistisch im Durchschnitt 21 Prozent weniger Bruttostundenlohn als Männer.» Und im Bundestag sei der Anteil nach den letzten Wahlen von 37 auf 31 Prozent gesunken.
Giffey will unter anderem bis 2025 die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in den Leitungsfunktionen des öffentlichen Dienstes erreichen, wie es im Bundesfrauenministerium schon der Fall sei. In anderen Ministerien gebe es aber noch Verbesserungsbedarf, etwa im Innenministerium, in dem gerade neun Männer frisch zu Abteilungsleitern ernannt worden seien. Dabei zeige das Beispiel des kanadischen Premierministers Justin Trudeau, der genauso viele Frauen wie Männer in sein Kabinett berufen habe: «Reine Männerclubs sind einfach nicht mehr zeitgemäß.»