Dem Regionaldirektor Alexander Lahl (li.) und dem Vorsitzenden des VRS, Thomas Bopp (Mitte), wurde die Urkunde von Manfred Holz von Fairtrade übergeben. Foto: VRS/Franziska Kraufmann

Mehr als 800 Kommunen sind bereits vom Verein Fairtrade Deutschland zertifiziert worden. Nun gilt die gesamte Region Stuttgart als Fairtrade-Region – und ist damit Vorreiter in Baden-Württemberg. Doch ist das mehr als Greenwashing?

Kaffee, Bananen, Tee, Baumwolle, Zucker, Reis, Kakao, Goldschmuck. Und Fußbälle. In Deutschland stammt ein großer Teil der verkauften Produkte aus dem sogenannten globalen Süden; etwa aus Brasilien, Indonesien und dem Senegal. Bei den Nahrungsmittel sind es sogar 70 Prozent, die wir hier zu uns nehmen, die aber im globalen Süden angebaut und geerntet werden. „Oft wissen wir nicht, wie diese Produkte an den Markt gekommen sind und unter welchen Bedingungen sie angebaut wurden“, sagte der Regionaldirektor Alexander Lahl bei der Urkundenverleihung zur Fairtrade-Region Stuttgart am Dienstag. Fairer Handel könne „faire Preise und menschenwürdige Arbeitsbedingungen“ schaffen.

90 Prozent der Deutschen kennen das Siegel

Die Region Stuttgart ist die erste in Baden-Württemberg, die als Fairtrade-Region gilt. Zwar können sich seit der Gründung des Vereins Fairtrade im Jahr 1992 schon zig Kommunen mit dem Zertifikat schmücken – 823 in Deutschland sowie 155 in Baden-Württemberg – doch bisher wurde eben erst fünfmal eine ganze Region ausgezeichnet, außerdem vier Metropolregionen; darunter keine im Südwesten. „Wir sind landesweit Vorreiter“, sagte Lahl. Die Zertifizierung muss nun alle zwei Jahre erneuert werden.

Übergeben wurde die Urkunde von Manfred Holz; er hatte den Verein Fairtrade 1992 mitgegründet und ist ehemaliger Vorstand. Er gab zu, dass es Zeit gebraucht hatte und immer noch brauche, bis die Menschen „das Gütesiegel nicht nur als gelegentliche Beruhigung konsumieren“. Inzwischen würden aber 90 Prozent der Deutschen das Fairtrade-Siegel kennen.

Beim Kaffee sparen die Deutschen lieber

Und: Der Umsatz von Fairtrade-Produkten in Deutschland ist in den vergangenen 15 Jahren um fast das Vierzehnfache angestiegen: Er lag 2007 noch bei 142 Millionen Euro, im Jahr 2021 bei 2,1 Milliarden Euro. Rund 7800 Fairtrade-Produkte sind inzwischen in Supermärkten, Discountern, Drogerien und Biomärkten, Weltläden und in Gastronomiebetrieben verfügbar. So sei jede dritte Rose in Deutschland heutzutage fair gehandelt, sagte Manfred Holz.

Zugleich hätten fair gehandelte Kaffeebohnen immer noch lediglich einen Marktanteil von fünf Prozent, kritisierte er: „Die Leute kaufen teure Kaffeemaschinen, aber billigen Kaffee.“ Immerhin gebe es in den Zügen der Deutschen Bahn nur noch fair gehandelten Tee und Kaffee.

Bisher 33 Fairtrade-Kommunen in der Region Stuttgart

In der Realität bedeutet das Fairtrade-Siegel für die Region Stuttgart aber eher kleine Veränderungen: Bei allen Sitzungen der Ausschüsse des Verbands Region Stuttgart und der Regionalversammlung sowie im Büro der Leitung muss Fairtrade-Kaffee sowie (mindestens) ein weiteres Produkt aus fairem Handel verwendet werden. Außerdem musste eine Steuerungsgruppe mit Mitgliedern aus Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft eingerichtet werden. Diese Menschen koordinierten den Weg bis hin zur Urkunde.

Ein weiteres Kriterium, um Fairtrade-Region zu werden, ist, dass bereits eine bestimmte Anzahl an Geschäften, Schulen, Vereinen und Kirchen zertifiziert sein muss sowie mehrere Kommunen. Derzeit tragen 33 Gemeinden und Städte in der Region Stuttgart den Titel. Als jüngste Kommune in der Region wurde die Stadt Holzgerlingen (Kreis Böblingen) zertifiziert.

Dort hatte es zuvor lange daran gehakt, genügend Gastronomiebetriebe für Fairtrade zu begeistern. Der Holzgerlinger Bürgermeister, Ioannis Delakos, sagte bei der Verleihung in Stuttgart: „Wir müssen uns klarmachen, dass wir im globalen Norden die Sieger der Globalisierung sind. Der globale Süden partizipiert noch nicht so, wie er es verdient hätte.“ Sein Ziel sei es, dass nicht nur „die typische Weltladen-Klientel“ fair gehandelte Produkte kaufe, sondern alle: „Wenn jemand künftig statt drei Tafeln Schokolade für jeweils 50 Cent eine gute Tafel Schokolade für zwei Euro kauft, ist schon viel gewonnen.“

Lieber eine gute Tafel Schokolade statt drei billige

Noch im Bewerbungsverfahren befindet sich unterdessen der Landkreis Böblingen, welcher sich als erster Kreis in der Region Stuttgart auszeichnen lassen will. „Wir sind ein reicher Landkreis, eine reiche Region, die Verantwortung übernehmen muss für ärmere Gegenden“, sagte der Böblinger Landrat Roland Bernhard bei der Verleihung in Stuttgart. Er gab unumwunden zu, dass er beim (Einkaufs-)Verhalten der Menschen noch viel Luft nach oben sehe: „Wir sind meilenweit vom Optimum entfernt.“

Bei der Verleihung sprachen auch der Grünen-Politiker Cem Özdemir sowie die CDU-Politikerin Nicole Hoffmeister-Kraut per Videobotschaft. Der Bundesagrarminister Özdemir sagte, dass es bei Fairtrade darum gehe, „dass auch diejenigen satt werden, die uns täglich den Tisch decken“. Zu seiner Freude seien fair gehandelte Produkte in der breiten Masse angekommen. Er selbst kaufe aber immer noch gerne bei den Pionieren ein, sagte er – etwa beim Weltladen an der Planie in Stuttgart, erzählte er. Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut betonte, dass alle Menschen mit ihren Kaufentscheidungen den fairen Handel unterstützen könnten.

Diese Regionen sind bereits ausgezeichnet

Regionen
Erstmals erhielt die Region Bigge-Land den Titel, danach folgte die Region Saarbrücken sowie das Städtedreieck Burglengenfeld, Maxhütte-Haidhof und Teublitz. Danach wurde der Bezirk Unterfranken ausgezeichnet sowie das Wittlager Land. Die Region Stuttgart ist die sechste Region, die vom Verein die Urkunde erhielt.

Metropolregionen
Außerdem dürfen sich bereits vier Metropolregionen mit der Auszeichnung schmücken, darunter zählen die Metropolregionen Frankfurt-Rhein-Main, München, Nürnberg sowie Ruhr. (jub)