Goldendoodle Milou und Bezugsperson Martina Huck. Foto: Roberto Bulgrin

Erwachsene Frauen, die Missbrauch erfahren haben, können sich an den Verein Wildwasser wenden. Damit der Verein helfen kann, braucht er Spenden und ist darum in der EZ-Weihnachtsspendenaktion vertreten.

Esslingen - Dass es in der Fachberatungsstelle bei sexualisierter Gewalt des Esslinger Vereins Wildwasser einen Hund gibt, merkt man nicht sofort. Kein Gebell beim Klingeln, kein aufgeregt hechelndes Fellknäuel, das auf den Besucher zuspringt. Nein, der zweieinhalbjährige Milou ist ein waschechter Therapiehund: er bleibt in seinem Raum auf dem flauschigen Teppich liegen, bis er gerufen wird. Einen Therapiehund zu haben, das hatte sich die Geschäftsführerin und Kunsttherapeutin Martina Huck schon länger gewünscht. Spenden haben es schließlich möglich gemacht. Und nachdem der stattliche Goldendoodle-Rüde inzwischen seine Teenager-Phase überwunden hat, kann er als fester Teil des Therapieteams eingesetzt werden.

Milou soll besonders Kindern und Jugendlichen helfen, die sexuelle Grenzverletzungen erfahren haben. Dabei steht der Wunsch der Klienten ganz oben: wer Angst vor Hunden hat, oder die Tiere nicht mag, muss nichts mit Milou zu tun haben. Aber die meisten seien von ihm begeistert und ließen sich gerne von ihm helfen. So habe der Hund erst kürzlich eine junge Frau zur Polizei begleitet, die dort einen Täter anzeigen wollte.

Einzige Anlaufstelle für Erwachsene

Der Verein Wildwasser ist in diesem Jahr eines der Spendenziele der Weihnachtsspendenaktion der Eßlinger Zeitung. Einige Bereiche der Arbeit würden nicht von der öffentlichen Hand finanziert, sagt die Geschäftsführerin, sondern müssten durch Spenden finanziert werden. „Es gibt im Landkreis Esslingen sonst kein anderes Angebot für erwachsene Frauen mit Missbrauchserfahrungen“, so Huck. Inzwischen gebe es von einigen Kommunen – darunter Filderstadt, Ostfildern, Aichwald und Baltmannsweiler – zwar hin und wieder symbolische Beträge zur Unterstützung der Arbeit, aber Prävention und Erwachsenenberatung würden so gut wie gar nicht öffentlich gefördert.

In diesem Jahr habe die Corona-Pandemie die Aufrechterhaltung der Beratungs- und Therapiearbeit aber noch zusätzlich erschwert. Benefizveranstaltungen oder Schulungen, die sonst Geld in die Vereinskasse spülen, mussten ausfallen. Auch für die traumatisierten Frauen, die sich regelmäßig in einer Stabilisierungsgruppe treffen, sei die Corona-Krise hart gewesen. „Im Frühjahr mussten wir die Gruppe für fast drei Monate ausfallen lassen“, sagt die Gruppenleiterin und Einzel-, Paar- und Familientherapeutin Claudia Weist-Brockhaus. Die betroffenen Frauen, die ohnehin schon erfahren hätten, was es heiße, ohnmächtig und handlungsunfähig zu sein, hätten diese Erfahrung durch den Lockdown erneut machen müssen.

Frauen arbeiten zusammen kreativ

Weist-Brockhaus hat die Gruppe vor rund neun Jahren übernommen und sie zu einer „halb offenen Therapiegruppe“ entwickelt. Das heißt, dass anhand von Vorgesprächen überprüft wird, ob eine Frau in die Gruppe passt und ob es die richtige Therapieform für sie ist. Ein Abend in der Stabilisierungsgruppe beginnt in der Regel damit, dass die Teilnehmerinnen kurz beschreiben, wie es ihnen geht. Fühlt sich eine Frau sehr schlecht, gibt es ein einzelnes Gespräch abseits der Gruppe. Das kann zum Beispiel angezeigt sein, wenn eine Frau „angetriggert“ ist – also durch einen zufälligen Reiz aus der Umgebung oder durch einen Gedanken in einen Panikzustand gerät. Nach der Einführungsrunde wird kreativ gearbeitet.

Die Teilnehmerinnen der Stabilisierungsgruppe sind unterschiedlich alt. Meist haben sie viele Jahre des Missbrauchs – auch im familiären Bereich – hinter sich. Bei vielen liegen die Vorfälle schon eine Weile zurück. Huck betont, dass nicht alle Frauen, die in der Therapiegruppe sind, eine psychische Krankheit haben. Das sei ein häufiges Missverständnis. „Jede gesunde Psyche würde auf das, was diese Frauen erlebt haben, mit Traumafolgestörungen oder Belastungssymptomen reagieren“, sagt sie.

Auf der Suche nach Räumen

Lange habe man die Schließung der Therapiegruppe im Frühjahr nicht durchgehalten. Man habe „die Not der Frauen gespürt“ und die Gruppe wieder angeboten – Corona-konform unter freiem Himmel. Gemeinsam malten die Frauen in mehreren Sitzungen ein großes Bild. Auch im Lockdown blieben die Treffen unter strikten Vorkehrungen möglich.

Aber es sei schwierig geworden. Als es kälter wurde, habe man einen Raum gemietet, um die Abstände wahren zu können – ein zusätzlicher Kostenfaktor. Darum will die Beratungsstelle umziehen und ist derzeit auf der Suche nach Räumen in zentraler Lage.