Soziale Netzwerke wie Instagram stehen in der Kritik, die Realität zu verzerren. Influencer leben ein scheinbar perfektes Leben, das viele Kinder und Jugendliche als Maßstab nehmen. Welche Folgen das haben kann, erklärt die Psychotherapeutin Caroline Locher.
Es ist ein Leben wie im Traum, das viele sogenannte Influencer auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Tiktok führen. Sie reisen um die Welt, sind attraktiv, schlank und schick gekleidet, beinahe makellos. Sie fahren teure Autos, erleben Abenteuer, sind unheimlich diszipliniert und deshalb muskulös und erfolgreich. Ihr Leben ist aufregend. Sie scheinen sich die Welt zu formen, wie sie ihnen gefällt – zumindest während die Kamera läuft.
Ihr Publikum ist häufig ganz anders. Es besteht aus Menschen, die Probleme bei der Arbeit oder der Schule haben, deren Beziehungen manchmal nicht so rund laufen und die nach einem anstrengenden Tag lieber mit einer Tüte Kartoffelchips auf der Couch sitzen, als im Fitnessstudio zu schwitzen. Ihnen wird etwas vorgegaukelt, was nicht der Realität entspricht. Denn auch Influencer haben Probleme. Und diese werden in ihren Posts nicht gezeigt.
Berufswunsch Influencer
Laut dem Digital Report 2022, der von der Plattform Hootsuite und der Agentur „We are social“ veröffentlicht wurde, sind derzeit etwas mehr als 86 Prozent der Deutschen auf Social Media vertreten. Vielen fällt es leicht, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Darunter sind aber auch viele, die dieses verzerrte Weltbild nicht richtig einordnen. Besonders anfällig dafür seien Kinder und Jugendliche, weiß die Esslinger Psychotherapeutin Caroline Locher, „weil sie keinen Vergleich haben.“
Locher hat sich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spezialisiert. Auch wenn sich die Therapiesitzungen in ihrer Privatpraxis nicht häufig um das Thema Social Media drehen, so ist es dennoch allgegenwärtig. Die meisten ihrer Patienten seien in den sozialen Netzwerken unterwegs. „Das wird mittlerweile als Maßstab genommen“, sagt Locher. Die sozialen Netzwerke geben nicht nur bestimmte Schönheitsideale vor, denen viele junge Menschen nacheifern. Caroline Locher berichtet, dass einige von ihnen auch so leben wollen, wie die Hauptdarsteller ihrer Feeds. Ihr Berufswunsch: Influencer.
Verbot bringt nichts
„Das übt einen Druck auf die Kinder und Jugendlichen aus“, sagt die Expertin. Und es verzerre ihr Weltbild. Denn im Gegensatz zu Erwachsenen fehlten den jüngeren Menschen schlicht Lebenserfahrung und Vergleiche. Wenn sich Kinder zu sehr in eine solche Scheinwelt hineinsteigerten, könne das Auswirkungen auf ihre Identitätsentwicklung haben. Bei Personen, die zum Beispiel an einer Essstörung leiden, könnten die Bilder und Videos den Druck erhöhen, einem Ideal zu entsprechen, warnt Caroline Locher.
Einen alleinigen Auslöser für psychische Erkrankungen sieht die Therapeutin in dieser Internet-Scheinwelt aber nicht, wie sie sagt. Dass jemand allein durch die Bilder auf den sozialen Netzwerken Wahrnehmungsprobleme bekommen hat, habe sie noch nie erlebt. „Auslöser sind oft vielfältig und multimodal“, so Locher Es gehörten also mehrere Faktoren dazu.
Doch wie kann man dem entgegenwirken? Die Psychotherapeutin spricht sich klar gegen ein Verbot von Social Media aus. „Das ergibt keinen Sinn“, sagt Locher. Die Apps und Plattformen gehören mittlerweile zum Alltag, wie der Digital Report 2022 zeigt.
Und sie haben auch viele positive Effekte. So helfen Soziale Netzwerke bei der Beziehungspflege, sie unterstützen das soziale Lernen und „sie bieten die Möglichkeit, sich dazustellen, auszudrücken und zu informieren“, heißt es auf der Seite „Schau hin“, hinter der das Bundesfamilienministerium, die Fernsehsender ARD und ZDF sowie die Krankenkasse AOK steckt. In der Zwischenzeit gibt es sogar Social-Media-Anwendungen, die das Problem der inszenierten Scheinwelt offensiv angehen. So ist zum Beispiel „Be Real“ derzeit in aller Munde.
Wichtig ist die Begleitung
Das Ziel der App ist es, die Nutzerinnen und Nutzer so real wie möglich zu zeigen. Dafür bekommt man einmal am Tag, stets zu einer willkürlichen Uhrzeit, eine Benachrichtigung zugeschickt, die einen auffordert, ein Foto hochzuladen. Zwei Minuten hat man dafür Zeit. Wenn man das verschläft, wird das Bild als sogenanntes „Late“ gekennzeichnet, also als „zu spät“. Man ist gezwungen, schnell zu reagieren, und hat keine Zeit, aufwendig ein Foto zu stellen. Und nur wenn man ein Bild hochlädt, wie man gerade in der Bahn sitzt, wie man mit dem Hund eine Runde Gassi geht oder eben auf der Couch mit einer Tüte Chips sitzt, dann sieht man auch die Beiträge seiner Freunde.
Dass Gegenbewegungen wie diese allein die Problematik nicht aus der Welt schaffen, ist klar. Deshalb empfiehlt die Expertin Caroline Locher das Gespräch. „Wenn man beispielsweise als Eltern merkt, dass die Bilder , die sich mein Kind anschaut, realitätsfern sind, dann sollte man darüber sprechen“, sagt die Psychotherapeutin. Es sei wichtig, Kinder und Jugendliche bei der Mediennutzung zu begleiten.