Marielle Bohm und der Handball – seit vielen Jahren eine gute Verbindung. Foto: /Vanessa Frey

Landestrainerin Marielle Bohm über den Handball-Nachwuchs in Baden-Württemberg sowie der Region Esslingen, ihren Wernauer Heimatverein und den EZ-Pokal.

Sie kommt aus Wernau und ist in Sachen Handball viel in Deutschland herumgekommen. Mittlerweile ist Marielle Bohm baden-württembergische Landestrainerin. Als Expertin freut sie sich natürlich, dass es beim EZ-Pokal zum ersten Mal ein Frauenturnier gibt. Den Zustand und die Zukunftsaussichten des weiblichen Nachwuchses im Land und in der Region Esslingen sieht sie differenziert, wie sie im Interview erklärt.

Als Sie Anfang der 2000er-Jahre Bundesliga spielen wollten, mussten Sie aus Württemberg weggehen. Seither hat sich hier im Frauenhandball viel in die positive Richtung entwickelt. Woran liegt das?

Handball war im Süden schon immer populär, gerade im Nachwuchs war der Handball-Verband Württemberg HVW auch zu unserer Zeit erfolgreich. Bis man dann aber semiprofessionelle oder professionelle Strukturen aufgebaut hat, hat es ein bisschen Zeit gebraucht. Es war schon sehr männerlastig und entsprechend schwer – bis dann irgendwann ein paar Leute kapiert haben, dass man den Frauenhandball mit ein bisschen Unterstützung relativ leicht nach oben bringen kann. So hat sich Spitzenhandball der Frauen in Württemberg schließlich etabliert.

Es hängt aber auch immer an einzelnen Personen und einzelnen Vereinen.

Das ist immer so, aber das gilt deutschlandweit. Frauenhandball ist dann halt doch ein regionales Produkt, wenn man sieht, welche Vereine etwa in der Bundesliga spielen. Bei Bensheim/Auerbach zum Beispiel würde kein Mensch drauf kommen, dass das ein Bundesligist ist. Blomberg ist seit 20 Jahren dabei, das ist ein kleines Dorf. In Metzingen ist es die Familie Rott, die das Ganze wieder zum Leben erweckt hat, in Nellingen steht Veronika Goldammer dafür. Es ist von Personen abhängig und deshalb auch nicht immer nachhaltig, wenn sich da etwas ändert.

Sie sind als Landestrainerin ganz nah dran am Nachwuchs. Können wir auch für die Zukunft optimistisch sein?

Wir haben ein bisschen an Boden verloren. Wir waren über Jahre beim Nachwuchs bestimmend, weil wir eine gute Trainerausbildung und gute Wettkampfstrukturen hatten. Aber in den vergangenen Jahren haben die anderen Bundesländer deutlich aufgeholt. Wenn es um Nachwuchshandball geht, fehlt uns ein Leistungszentrum, wie es eins in Dortmund, Blomberg, Buxtehude oder Leipzig gibt. Unsere Spielerinnen kommen von überall her und wir haben in der Breite nicht die Möglichkeit, eine entsprechende Trainingsqualität anzubieten. Bei den Jungs geht ein Talent zur JANO Filder, zu Frisch Auf oder nach Balingen. Wenn ich 16 Spielerinnen in der Landesauswahl habe, kommen die übertrieben gesprochen aus 14 Vereinen. Andererseits kann das auch ein Vorteil sein.

Inwiefern?

Wenn bei uns ein Mädchen ein bisschen leistungsorientiert Handball spielt, muss es gar keinen so großen Aufwand betreiben, weil wir gefühlt innerhalb von 30 Kilometern fünf Drittligisten haben und noch zwei Zweitligisten. Früher war das ganz anders. Es gab einen Zweitligisten, das war Metzingen – und da musste ich mit 18 Jahren die Entscheidung treffen, von zuhause wegzugehen und bewusst leistungsorientiert Handball zu spielen und damit mein Geld zu verdienen. Das muss man heute so nicht mehr. Andererseits ist das aber wiederum auch ein Nachteil, weil es sich die Mädchen dadurch lange offen lassen.

Was kommt speziell in der Region Esslingen nach – außer in Nellingen?

Nellingen war in den vergangenen Jahren der Leuchtturm. Aber man sieht auch, wie schwer es die Nellingerinnen haben. Sie sind im Erwachsenenbereich in den vergangenen Jahren immer nur abgestiegen. So ist es natürlich schwer, die Nachwuchsspielerinnen zu halten, weil die nicht zwangsläufig in Nellingen 4. Liga spielen wollen, sondern dann eben in die 3. Liga wechseln und dafür auch nur 20 Kilometer weiter fahren müssen. Man muss schon sagen, dass es in der Region Esslingen nicht mehr so viel in der Spitze gibt.

Wie groß ist denn noch Ihre Verbindung zur Region?

Meine Eltern wohnen noch in Wernau, meine Schwester in Esslingen, sie ist Stützpunkttrainerin in Nellingen. Auch als Landestrainerin bin ich oft hier. Es ist von meinem Wohnort Weil im Schönbuch ja auch um die Ecke.

Ihr Heimatverein HC Wernau – früher Wernauer SFH – hat Höhen und Tiefen durchlebt. Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung?

Es ist wie so oft: Es waren ehemalige Aktive, die in die Elternrolle geschlüpft sind und von dem, was sie damals erlebt haben, etwas zurückgeben wollten. Der Verein war ganz am Boden und es ist wieder etwas gewachsen. Ohne sich in Sachen Leistungshandball weit aus dem Fenster zu lehnen, wie es ja in der Vergangenheit der Fall war, machen sie eine solide Nachwuchsarbeit. Kinder, die Handball spielen wollen, gab es in Wernau immer viele. Es wurde über Jahre zu viel falsch gemacht, aber die, die es jetzt machen, sind mit viel Herzblut dabei.

Das Bezirksoberliga-Team des HCW spielt nun beim ersten Frauenturnier des EZ-Pokals mit. Hätten Sie das zur Ihrer Zeit auch gerne gehabt?

Klar, so eine Plattform in der Region wäre toll gewesen. Ich habe als Jugendliche in Wernau schon in der Verbandsliga gespielt, bevor ich dann in die 2. Bundesliga gewechselt bin und außerhalb der Region war. Da hätte ich als Underdog gerne mitgemischt, denn das ist ja das Schöne am EZ-Pokal. Es wäre schon schön gewesen – und 25 Jahre später ist es soweit (lacht).

Spielerin und Trainerin

Spielerin
 Marielle Bohm, seit dem 2. Januar 44 Jahre alt, hat bei den Wernauer SFH mit dem Handballspielen angefangen. Im Jahr 1999 wechselte sie zur TuS Metzingen in die 2. Bundesliga. Zwischen 2002 und 2011 spielte sie für DJK/MJC Trier, den Thüringer HC und den VfL Sindelfingen in der Bundesliga. Sie bestritt 19 Länderspiele.

Trainerin
 Bohm, die als Schulsozialarbeiterin arbeitet und und in Weil im Schönbuch lebt, begann im Jahr 2011 ihre Trainerlaufbahn im Nachwuchsbereich der SG H2Ku Herrenberg. Später war sie Co-Trainerin der Frauen in Metzingen (2013 bis 2015) und von 2015 bis 2019 Trainerin des deutschen Juniorennationalteams. Seit Sommer 2022 ist sie baden-württembergische Landestrainerin.