Die Einführung der so genannten „Kapitänsregel“ auch im Amateurfußball wird von den meisten Betroffenen begrüßt, aber vor allem die plötzliche Umsetzung wirft Fragen auf.
Wer die Revolution auf dem Rasen- oder Kunstrasenplatz des Sportzentrums Baltmannsweiler erwartet hatte, wurde enttäuscht. Es gab die eine oder andere Diskussion, es gab auch mal den Ansatz einer Rudelbildung. Aber dass beim EZ-Pokal zum allerersten Mal in der Region die so genannte „Kapitänsregel“ angewendet wurde, war nicht bis kaum zu erkennen. Auch die von manchen schon befürchtete Gelbe-Karte-Flut blieb aus. Die Spiele liefen sehr gesittet ab, mit oder ohne die neue Regel. Die hat kurz nach ihrer ziemlich plötzlichen Einführung viele Fans und ein paar Skeptiker.
Dass die Regel in Baltmannsweiler und generell ab der bald beginnenden Saison auch im Amateurfußball eingeführt wird, kam überraschend. Beim General-Staffeltag des Bezirks Neckar/Fils am 6. Juli wurde noch verkündet, dass sie nach der allgemein als erfolgreich bewerteten Anwendung bei der Europameisterschaft in Deutschland zunächst nur in den Profiligen gelten soll. Doch da war der Verbandstag des Württembergischen Fußball-Verbandes WFV noch nicht abgehalten. Der war am vergangenen Samstag und beschloss: Die „Kapitänsregel“ kommt auch im Amateurfußball sofort. Dass sie umstrittene Situationen in Zukunft also nur noch mit den Spielführern besprechen sollen – oder können –, wurde den Referees des Verbandes via Whatsapp mitgeteilt.
Einer, den das, natürlich neben den Schiedsrichtern, besonders betrifft, ist Georgios Natsis. Der Defensivspieler war viele Jahre lang Kapitän des FC Esslingen. Seit seinem Wechsel in diesem Sommer zu seinem Heimatverein TSV Denkendorf trägt er keine Binde mehr, auch, weil sich das mit seiner neuen Rolle als Co-Spielertrainer schlecht vereinbaren lässt. Natsis hat eine Meinung zu dem Thema, will aber, nachdem er gerade das von Sandro Nasti souverän geleitete Spiel seines TSV gegen den FV Neuhausen hinter sich hat, erst einmal festhalten: „Die Schiris machen das beim EZ-Pokal mit viel Feingefühl.“ Unabhängig davon, wie streng sie die neue Regel umsetzen – oder eben nicht so streng. „Ich finde den Grundgedanken gut. Aber es wird Zeit brauchen, bis es sich durchsetzt“, sagt Routinier Natsis weiter. Und: „Gerade für Spieler, die mal höher gekickt haben, wird es manchmal schwer sein, den Mund zu halten.“ Er findet, es komme immer auf den Umgang und seinen Ton an. Egal, ob ein Kapitän mit dem Schiedsrichter spricht, oder ein andere Spieler. Das Ganze gilt aber natürlich auch umgekehrt. „Wenn Unverständnis auf Unverständnis trifft, wird es schwer“, sagt Natsis. Und: „Ich werde mich definitiv umstellen müssen. Ich hoffe, dass es nicht so kommt, dass ich deshalb gelbe Karten bekomme.“
Michael Lattacher, der Trainer des Kreisliga-A-Teams TSG Esslingen, ist ein großer Befürworter der neuen Regel: „Ich finde es mega. Ich sage schon seit gefühlt 20 Jahren, dass die Schiedsrichter durchgreifen sollen auf dem Platz. Es schützt ja sie“, sagt er. Er findet auch die Vorgabe gut, dass die Sechs-Sekunden-Regelung für Torhüter nun strenger kontrolliert und falsche Einwürfe rigoroser geahndet werden sollen. „Es macht keinen Spaß, wie sich manche Spieler auf dem Platz aufführen“, sagt Lattacher – freilich gilt das auch für Trainer. „Ich bin ruhiger geworden“, erklärt er und lacht. Und fordert: „Die Schiris müssen es jetzt aber auch durchziehen.“ Bei der TSG gibt es einen Sonderfall: Kapitän ist Torhüter Robin Harnisch. Damit der nicht ständig über den halben Platz zum Referee rennen muss, benennt Coach Lattacher vor jeder Partie einen Feldspieler als Ansprechpartner und teilt dessen Namen und Rückennummer dem Schiedsrichter mit. Auch das ist nach der neuen Regel so vorgesehen.
Harald Kuhn, der Vorsitzende des Fußball-Bezirks Neckar/Fils, ist hin- und hergerissen. „Ich hätte mir eine Testphase in den oberen Ligen gewünscht und dass man es erst in der kommenden Saison einführt. Das wäre dann auch allen durch die Medien besser bekannt gewesen“, sagt er und fügt lachend hinzu: „Naja, zumindest ist es mal was, was beim Verband schnell beschlossen wurde, ohne lange rumzureden.“ Insgesamt aber ist Kuhn „sehr entspannt. Jetzt beobachten wir das mal“.
Und die Schiedsrichter selbst, denen ja durch die „Kapitänsregel“ das Leben auf dem Platz leichter gemacht werden soll? Neu-Referee und Ex-Trainer sowie -Spieler Gaetano Intemperante kündigt begeistert an: „Ich setze das konsequent um.“ Auch Lukas Wolf, der bis zur Landesliga pfeift, findet die Sache „sehr gut. Das hilft uns Schiedsrichtern. Es bringt Ruhe ins Spielgeschehen, wenn nicht immer fünf bis sechs Spieler auf dich zu rennen“. Wolf betont jedoch: „Das heißt ja nicht, dass ich nicht weiterhin mit allen Spielern spreche, es betrifft nur einzelne Situationen.“ Andere Unparteiische sind weniger begeistert und halten die Regel schlicht für unnötig oder befürchten, dass sich manche Schiedsrichter nur durch eine Inflation an gelben Karten zu helfen wissen werden – wie teilweise bei der EM gesehen. Wolf kann jedoch Bezirkschef Kuhns Argumentation nachvollziehen. „Vielleicht wäre es besser gewesen, es erst einmal höherklassig zu machen“, sagt der Referee, „aber wir kriegen das schon umgesetzt.“
In einem aber widerspricht niemand Ex-Kapitän Natsis: „Am Ende kommt es immer auf das Fingerspitzengefühl an.“ Bei den Schiedsrichtern, bei den Kapitänen und bei allen anderen an diesem wunderbaren Spiel Beteiligten auch.