Kinder aus armen Familien haben es oft schwer, Foto: dpa

Kinder aus armen Familien haben es oft schwer, in der Schule mitzuhalten, weil sie zuhause nicht die nötigen Voraussetzungen zum Lernen vorfinden. In Zeiten von Corona, in denen die Schulen verstärkt auf digitale Angebote setzen müssen, wird alles noch schwieriger. Die EZ-Spendenaktion „Gemeinsam helfen in Zeiten von Corona“ will für etwas mehr Bildungsgerechtigkeit sorgen.

Kreis Esslingen - Mehr als vier Jahrzehnte lang war Klaus Hummel Lehrer, und wie es sich für einen passionierten Pädagogen gehört, liegen dem einstigen Rektor der Esslinger Katharinenschule auch im Ruhestand Kinder und Jugendliche am Herzen. Besonders denkt er an diejenigen, die nicht das Glück haben, wohl behütet in einer gut situierten Familie aufzuwachsen. Selbst in einem so reichen Land wie unserem lebt Kinderarmut unter uns, auch wenn man sie oft gar nicht erkennt. Corona hat für Schülerinnen und Schüler vieles schwieriger gemacht – vor allem für diejenigen, die sich zuhause nicht ins eigene Kinderzimmer zurückziehen und in aller Ruhe am Laptop lernen können. „Gerade diese Kinder und Jugendlichen dürfen wir nicht vergessen“, sagt Hummel. Weil viele Schulen in Corona-Zeiten stark auf digitale Unterrichtsformen setzen, kämpft der langjährige Stadtrat dafür, dass möglichst alle diese Möglichkeit nutzen können. Er engagiert sich als Botschafter der Caritas-Kinderstiftung, die mit ihrem Chancenschenker-Projekt die Digitalisierung auch in Familien tragen möchte, die sich die nötige technische Ausrüstung nicht leisten können. Und er begrüßt Initiativen wie das „Schu(h)l-Projekt“ des Kreisdiakonieverbands, das arme Familien und deren Kinder bei der Anschaffung von Schuhen und Bekleidung, Lebensmitteln und anderem Lebensnotwendigem unterstützt. Beide Projekte werden von der EZ-Spendenaktion „Gemeinsam helfen in Zeiten von Corona“ unterstützt.

„Die meisten sind eher still“

In seiner Zeit als Rektor und Schulleiter hat es Klaus Hummel gelernt, bei Kindern genau hinzuschauen. Denn er weiß: „Kinderarmut ist oft unsichtbar, und trotzdem ist sie da.“ Gerade in kleineren Kommunen bleibt gern verborgen, dass es nebenan Familien gibt, die sich Tag für Tag nach der Decke strecken müssen und die ihren Kindern nicht dieselben Möglichkeiten bieten können, die für ihre Altersgenossen selbstverständlich sind. „Man sieht hier keine bettelnden Kinder, die uns daran erinnern, dass der Wohlstand sehr ungleich verteilt ist“, weiß Hummel. „Die meisten sind eher still und teilen ihre Sorgen nicht mit anderen.“ Und dennoch kann niemand so tun, als ob es Kinderarmut hier nicht gäbe. „Manche Kinder sind unglaublich musikalisch, andere sind sehr sportlich. Wenn man sie fragt, weshalb sie ihr Talent nicht in der Musikschule oder in einem Sportverein pflegen, bleiben sie meist erst einmal stumm. Sie fehlen bei gemeinsamen Unternehmungen, sie sind nicht dabei, wenn ihre Klasse ins Theater geht, und sie laden andere Kinder nicht zum Kindergeburtstag ein und werden deshalb auch nicht eingeladen. Und wenn die Schule zum Elternabend bittet, sind die Eltern dieser Kinder oft nicht da. Das muss kein Desinteresse sein, sondern ist häufig der Tatsache geschuldet, dass sich solche Eltern nicht trauen, sich in größerer Runde zu artikulieren. Dann bleiben sie lieber zuhause. All das trägt dazu bei, dass Jungs und Mädchen aus armen Familien mehr und mehr ins Abseits geraten.“

Klaus Hummel hat es sich angewöhnt, nicht wegzuschauen. „Als Lehrer hat man für jedes Kind Verantwortung. Dazu gehört auch, dass man so genannte schwierige Kinder nicht einfach abhakt, sondern nachfragt, was mit ihnen los ist. Wenn Kinder spüren, dass man sie ernst nimmt, können sie sich anvertrauen. Und plötzlich erfährt man, dass ein Kind, das auf den ersten Blick desinteressiert wirkt, in Wahrheit nur deshalb nicht die Musikschule oder einen Sportverein besucht, weil die Eltern nicht das Geld für die nötige Ausrüstung, die Gebühren oder die Mitgliedsbeiträge aufbringen können. Oder dass ein Kind liebend gern die anderen zum Geburtstagsfest einladen würde, die Eltern jedoch abwinken, weil sie keine vorzeigbare Wohnung und schon gar nicht das Geld haben, um mit den Kindergeburtstagen der Anderen mitzuhalten, die immer aufwendiger werden.“

Gute Schule stellt Kinder in den Mittelpunkt

Wenn Kinder unter der prekären Lebenssituation ihrer Eltern leiden, ist die Schule besonders gefragt. „Eine gute Schule stellt nicht den Lernstoff, sondern die Kinder in den Mittelpunkt. Lehrer müssen aufmerksam beobachten, gut hinhören, zugewandt sein, ermuntern und solche Kinder ermutigen und ihnen Gelegenheit geben, sich mit ihren Fähigkeiten einzubringen“, findet Hummel. „Eine gute Schule will Kinder unterrichten und nicht Fächer. Sie erkennt und fördert Fähigkeiten, sie ermuntert, wenn der nötige Mut fehlt, sich zu artikulieren und zu zeigen, und sie hilft, Defizite auszugleichen. Sie ist den Schülerinnen und Schülern zugewandt und winkt nicht ab, wenn Eltern nicht zum Elternabend kommen. Dann muss man als Lehrer eben auf die Eltern zugehen.“

Corona hat manches gerade für Kinder aus armen Familien noch schwieriger gemacht. Oft ist das ohnehin knappe Budget durch Kurzarbeit oder Jobverlust der Eltern noch knapper. Die Kinder müssen zuhause lernen, was kein Vergnügen ist, wenn sich eine fünfköpfige Familie in zweieinhalb oder drei Zimmern drängt. Das kostenlose Mittagessen in der Schule fällt weg. Und noch etwas trifft Kinder aus prekären Verhältnissen hart: „Schule steht ja bei manchen im Ruf, ein unbeweglicher Tanker zu sein“, weiß Klaus Hummel. „Doch viele Schulen haben in der Corona-Krise große Kreativität gezeigt und neue Unterrichtsformen entwickelt.“ Solange der Unterricht im Klassenzimmer gar nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, ist Digitalisierung alternativlos. Hummel ist überzeugt: „Auch wenn wieder Normalität einkehren wird, wird die Schule nicht mehr so sein wie vor Corona. Vieles, was sich bewährt hat, wird beibehalten.“ Das wird Kinder aus armen Familien noch mehr in die Bredouille bringen: Wo sich drei Kinder einen PC zum digitalen Lernen teilen müssen und wo manchmal nur ein Smartphone mit kleinem Display und limitiertem Datenvolumen zur Verfügung steht, kann von Bildungsgerechtigkeit keine Rede sein. „Hier müssen wir ansetzen und dafür sorgen, dass jedes Kind die Chancen bekommt, die es verdient. Kein Kind darf benachteiligt werden, weil ihm die Eltern nicht dieselben Möglichkeiten bieten können. Das sind wir diesen Jungs und Mädchen schuldig.“ Deshalb ist für Hummel klar: „Wenn die EZ-Spendenaktion in solchen Fällen helfen kann, ist jeder Cent gut angelegt. Gerade in schwierigen Zeiten müssen wir zusammenhalten. Solidarität ist der Kitt, der unsere Gesellschaft gerade jetzt zusammenhält.“