Vor ein paar Tagen wurde eine Phosphor-Bombe bei Aichtal (Kreis Esslingen) gefunden – ein ungewöhnlich Fundort, sagt Ralf Vendel. Der Dienststellenleiter der Kampfmittelbeseitigung Baden-Württemberg erklärt, was zu tun ist, wenn man einen solchen Sprengkörper findet.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs liegt nun beinahe 80 Jahre zurück. Aber noch immer liegen unzählige scharfe Bomben unter der Erde. Vergangenen Samstag fand ein Mann bei Aichtal im Fluss Aich eine 30-Pfund-Phosphorbombe. Eine Brandbombe, die laut Polizeibericht zu qualmen begonnen hatte, nachdem sie aus dem Wasser gezogen worden war. „Wahrscheinlich war ein Loch drin, diese Bomben sind ziemlich dünnwandig“, erklärt Ralf Vendel, der Dienststellenleiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Baden-Württemberg, der dem Regierungspräsidium Stuttgart angegliedert ist. Das Phosphor reagiere mit dem Sauerstoff in der Luft und fange zu brennen an – und das selbst 80 Jahre nach Kriegsende. Wie lange bleiben diese Waffen denn noch gefährlich? „Bis wir sie rausgeholt haben“, sagt der 59-Jährige, der bereits seit dem Jahr 1986 in der Bombenentschärfung tätig ist. Unter der Erde würden sie durch den Sauerstoffmangel gut konserviert. Teilweise könne man sogar die Originalaufschrift noch lesen.
Seit 1947 wird entschärft
Wie viele Sprengkörper sich noch im Boden des Kreises Esslingen und der Region Stuttgart befinden, kann der Experte nicht genau beantworten – aber es gebe noch viele. „Allein in Baden-Württemberg wurden 100 000 Tonnen Bomben abgeworfen. 15 bis 20 Prozent davon waren Blindgänger“, sagt Vendel. Zum Vergleich: Die Blindgänger allein wiegen ungefähr fünf Mal so viel wie der Stuttgarter Fernsehturm.
25 000 Bomben bereits entschärft
Aber an dem Problem wird seit Jahren gearbeitet: Seit Beginn ihrer Arbeit im Jahr 1947 hat der Kampfmittelbeseitigungsdienst Baden-Württemberg knapp 25 000 Bomben und mehr als 7000 Tonnen Munition vernichtet. Zwar werde es langsam weniger, aber allein im vergangenen Jahr habe die Kampfmittelbeseitigung des Landes 13 Bomben geborgen und entschärft – vier davon in Stuttgart. Ein Hotspot sei neben Stuttgart auch das Gebiet um das Mercedeswerk in Sindelfingen, wo immer wieder Bomben zutage gefördert werden würden – zuletzt im März dieses Jahres.
Wie die Phosphorbombe nach Aichtal gelangt sein könnte, „wo es eigentlich nichts gibt, das man bombardieren kann“, wie Vendel sagt, darüber könne man nur spekulieren. Er mutmaßt, dass eine Person sie vor mehreren Jahrzehnten irgendwo gefunden und dort fernab von Wohngebieten entsorgt haben könnte.
Was tun, wenn man eine Bombe findet?
Gefährlich bei der „INC 30 lb“ – so die Bezeichnung des englischen Sprengkörpers – sei, dass sie nicht wie eine „typische Bombe“ aussehe. Es handle sich um eine Fliegerbombe, die in großer Anzahl aus sogenannten Schüttcontainern aus Flugzeugen geworfen worden sei. An Fallschirmen seien die Brandsätze langsam zu Boden gesunken, damit sie überirdisch detonieren. Allgemein sei es schwierig, die oft stark verdreckten oder mit Algen überwucherten Waffen als solche zu identifizieren: „Jede Bombe sieht anders aus“, sagt Vendel. „Es gibt Sprengbomben, Mehrzweckbomben, Splitterbomben, Brandbomben, verschiedene Minen und noch viele Arten mehr. Dazu gibt es sie in quasi allen Größen und Formen.“ Ein Indiz seien oft die Ösen an der Seite, mit denen sie an den Flugzeugen befestigt gewesen waren. Viele würden auch spitz zulaufen.
Auf den Fund bei Aichtal trifft beides nicht zu. Der Spaziergänger bei Aichtal hielt laut Polizei sein Fundstück, bevor es zu qualmen angefangen hatte, zuerst für Metallschrott. Deshalb empfiehlt der Experte: „Im Zweifelsfall immer die örtliche Polizei informieren. Die ist dafür zuständig.“ Die Polizisten würden dann per Fotos den Kampfmittelbeseitigungsdienst benachrichtigen, der sich dann um die Identifizierung und gegebenenfalls die Entschärfung kümmern würde. Genauso wichtig: „Finger weg, nicht in der Lage verändern, sondern unbedingt dort belassen, wo man sie auffindet“, mahnt Vendel. Das Warum erklärt sich bei explosiven Kriegswaffen wohl von selbst.
Im Kreis Böblingen wird die Bombe aus Aichtal vorerst gelagert
Wenn sich herausstellt, dass es sich um eine Bombe handelt, würde der Kampfmittelbeseitigungsdienst üblicherweise vor Ort entschärfen oder, wie im Fall Aichtal, werde die Brandbombe in einem luftdichten Behälter mit in die Dienststelle genommen, die im Sindelfinger Wald zwischen Böblingen und Vaihingen liegt. Dort würden die Bomben gesammelt, und wenn ein paar zusammengekommen sind, „werden sie thermisch vernichtet“, wie Vendel sagt – also verbrannt. „Aber wegen einer Bombe machen wir den Ofen nicht an.“
Kriegswaffen sind Landessache
Kampfmittelräumdienst
Das Regierungspräsidium Stuttgart ist in Baden-Württemberg zuständig für die Sicherung und Entschärfung von Kriegswaffen, die nicht sachgemäß gelagert sind – das umreißt beispielsweise: Kriegsgerät, das illegal im Besitz einer Person ist, Dachboden- oder Kellerfunde oder eben Blindgänger im Boden. Erster Ansprechpartner für den Finder einer Bombe oder anderen Waffen ist immer die örtliche Polizei. Die entscheidet, ob der Kampfmittelräumdienst informiert werden muss.
Gefährlicher Beruf
Trotz der Expertise der Bombenentschärfer kommt es selten dennoch zu fatalen Zwischenfällen. Der schlimmste in jüngster, deutscher Vergangenheit dürfte die Explosion einer Fliegerbombe im Jahr 2010 in Göttingen (Südniedersachsen) gewesen sein. Bei der Entschärfungsvorbereitung ging die Bombe hoch – drei Menschen starben, zwei wurden schwer verletzt.