Daten zeigen, welche strukturellen Ähnlichkeiten es zwischen den AfD-Hochburgen im Land gibt. Foto: Imago//Michael Bihlmayer

Eine exklusive Datenanalyse für Baden-Württemberg hilft, das Wahlergebnis der Bundestagswahl zu verstehen. Vor allem die AfD-Hochburgen haben manches gemeinsam.

Universitätsstädte und von der Landwirtschaft geprägte Dörfer, dicht bebaute Industriezentren und zersiedelte Peripherie – so unterschiedlich wie die Gemeinden in Baden-Württemberg sind oft auch die Wahlergebnisse. Wo aber leben Wähler von Grünen, AfD, CDU, und was haben die Hochburgen der Parteien gemeinsam?

Eine Datenanalyse des Politikwissenschaftlers Julius Kölzer (Uni Konstanz), die unserer Redaktion exklusiv vorliegt, gibt Hinweise. Wir ergänzen sie um eigene Auswertungen – und finden auffällige Gemeinsamkeiten.

AfD: Rechtes Wählerreservoir im ländlichen Raum

Die AfD ist besonders dort stark, wo in früheren Jahren bereits die rechtsextremen Republikaner ihre Hochburgen hatten. Julius Kölzer hat diesen Effekt zusammen mit seinen Mannheimer und Darmstädter Kollegen Marc Debus und Christian Stecker kürzlich für die Europawahl 2024 belegt. Die Forscher vermuten dort ein „räumlich verwurzeltes und historisch bestehendes rechtsautoritäres Wählerreservoir“. Auch für die Bundestagswahl ist dieser Effekt messbar: Wo 2009 die Republikaner stark abschnitten, hat die AfD 2025 stärker hinzugewonnen.

In ihren Hochburgen von der letzten Bundestagswahl 2021 konnte die AfD besonders zulegen. Diese Gemeinden haben einiges gemeinsam: Dort leben weniger Menschen mit akademischem Abschluss, die Gemeinden sind stärker industriell geprägt und haben eine geringere Bevölkerungsdichte. Laut Julius Kölzer deutet das darauf hin, „dass die AfD vor allem in ländlichen Gegenden einen Zuwachs an Unterstützung erhält.“ Darunter fallen unter anderem die Gemeinden Althütte, Großerlach und Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis, in denen die AfD die meisten Zweitstimmen bekam. Mit Pforzheim gehört aber auch eine Großstadt zu den AfD-Hochburgen – in der allerdings zum Beispiel der Akademikeranteil relativ gering ist.

Die Grafik zeigt alle Gemeinden in Baden-Württemberg als Punkte: Je größer, desto mehr Einwohner, je weiter oben, desto höher der Akademikeranteil. Die horizontale Links-Rechts-Achse zeigt den AfD-Stimmenanteil. Klicken Sie auf einzelne Punkte, um Details zur Gemeinde zu erfahren.

Auch sonst zeigen sich typische Stadt-Land-Unterschiede: Die AfD ist stärker, wo die Mieten geringer und die Eigentumsquote an Wohneigentum höher ist; wo die Menschen weniger Einkommen zur Verfügung haben, hat sie etwas stärker zugelegt. Wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in einer Gemeinde leben, hat dagegen keinen messbaren Einfluss auf das AfD-Ergebnis.

Die statistischen Gemeinsamkeiten zwischen den Gemeinden belegen nicht für den einzelnen Menschen, wer in einem Ort jeweils welche Partei gewählt hat – dafür wären Befragungen nötig. Doch strukturelle Unterschiede zwischen den Gemeinden sind auch für andere Parteien messbar und geben Hinweise auf häufige Gemeinsamkeiten zwischen den Orten, an denen einzelne Parteien besonders viel Zuspruch finden.

Grüne: in den Universitätsstädten noch am stärksten

Die Grünen haben in fast allen Gemeinden im Land verloren. Die Hochburgen der Partei, die Groß- und Universitätsstädte wie Heidelberg, Freiburg und Tübingen plus deren Umlandgemeinden, stemmen sich zwar noch am ehesten gegen den Trend, aber auch hier hat die Partei Stimmen eingebüßt. Bei der Europawahl im vergangenen Jahr waren die Verluste gemessen am starken Ergebnis von 2019 allerdings noch deutlich größer.

Auch sonst sind die Orte, an denen die Grünen am wenigsten schwach abgeschnitten und am wenigsten verloren haben, so ziemlich das Gegenteil der AfD-Hochburgen: Dort leben mehr Akademiker, auch die Bevölkerungsdichte und die Mieten sind höher. Das strahlt auch auf direkte Nachbarorte der Universitätsstädte wie Dossenheim oder Merzhausen aus, in denen der Akademikeranteil und die Mieten ebenfalls hoch sind.

CDU: Profitieren von der schwachen Ampel?

Mit 31,6 Prozent hat die Union landesweit und in fast allen Gemeinden deutlich zugelegt – fast sieben Prozentpunkte mehr als bei der Wahl 2021. Am schwächsten fielen die Zuwächse in den Großstädten aus. Dort tut sich die Partei traditionell am schwersten.

Ihre höchsten Stimmenanteile fährt die Union weiterhin in ländlichen, weniger dicht besiedelten Gemeinden ein. Zu den typischen Hochburgen gehören Dörfer wie Holzkirch im Alb-Donau-Kreis (55,9 Prozent) oder Neuler im Ostalbkreis (50,9 Prozent). Ein geringerer Akademikeranteil zeichnet im Unterschied zur AfD nicht alle CDU-Hochburgen aus – die Union scheint noch eher als andere Parteien verschiedene Milieus zu vereinen.

Hoffnung kann die CDU auch aus ihren Zugewinnen im Vergleich mit den übrigen Parteien schöpfen: In den Gemeinden, in denen die Ampelparteien SPD, FDP und Grüne stärker als im Durchschnitt verloren haben, hat die CDU überdurchschnittlich hinzugewonnen. Auch die AfD gewann dort weniger stark hinzu. Bundesweite Schätzungen deuten allerdings auf eine Wählerwanderung von der Union zur AfD hin und nicht umgekehrt.

SPD: die Seniorenpartei?

Die Sozialdemokratie fährt bei der Bundestagswahl eine historische Niederlage ein – und verliert bis auf einen Ort (Unterwaldhausen) in jeder einzelnen Gemeinde in Baden-Württemberg Stimmenanteile. Am glimpflichsten kamen die Genossen in Gemeinden mit höherem Akademikeranteil davon, ihre besten Ergebnisse holen sie oft in kleineren Städten wie Eberbach (Rhein-Neckar-Kreis) oder Emmendingen.

Ähnlich wie bei der Europawahl findet sich für das Label der „Seniorenpartei“ allerdings nur ein sehr schwacher Beleg. Die SPD ist zwar in Gemeinden mit höherem Altersschnitt minimal stärker, doch die Schwankungen sind enorm groß.

FDP: schwach, wo sie 2021 am stärksten war

Eine typische FDP-Hochburg findet sich in Baden-Württemberg nicht – weder in großen Universitätsstädten noch in ländlichen Gemeinden ergeben die Ergebnisse der Liberalen ein klares Bild. Klar ist: die FDP hat überall verloren, und zwar besonders da, wo sie 2021 noch am stärksten war. Diese Entwicklung ist so deutlich wie bei keiner anderen Partei, landesweit wurde die FDP um fast zehn Prozentpunkte auf nur noch 5,6 Prozent eingedampft.

Die Linke: erfolgreich, wo die Grünen verlieren

Die Linke hat überall im Land zugelegt – insbesondere in den Gemeinden, in denen sie auch 2021 schon verhältnismäßig viele Zweitstimmen holen konnte. Namentlich eint die Linken-Hochburgen, ähnlich wie bei den Grünen, ihr hoher Akademikeranteil, hohe Mieten und eine hohe Bevölkerungsdichte. In Universitätsstädten wie Konstanz und Karlsruhe hat die Linke ebenso mehr als 10 Prozent geholt wie in typischen Umlandgemeinden, zum Beispiel Eppelheim bei Heidelberg.

Ihre stärksten Zuwächse verzeichnete die Linke dort, wo die Grünen überdurchschnittlich verloren haben – in Baden-Württemberg ebenso wie bundesweit. Im Südwesten gewann die Linke aber noch mehr dort, wo der AfD-Zuwachs eher gering ausfiel.