Profilierte und streitbare Frau in der württembergischen Landeskirche: Gabriele Arnold in der Stuttgarter Stiftskirche. Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

Regionalbischöfin Gabriele Arnold stellt dem Kirchenkreis Stuttgart in einer tiefen Analyse ein hervorragendes Zeugnis aus und traut dem Sprengel eine Leuchtturmfunktion in der Landeskirche zu.

Stuttgart - Die Stiftskirche ist in vielerlei Hinsicht ein Leuchtturm innerhalb der württembergischen Landeskirche. Sie strahlt ins Land hinaus. Aber gilt das auch für den Kirchenkreis? Kann der Stuttgarter Sprengel eine Pilotfunktion für die Landeskirche einnehmen? Mit dieser Frage ging im Januar Stadtdekan Søren Schwesig auf die Prälatin Gabriele Arnold zu: „Sag uns doch bitte mal, was die Landeskirche von uns als Kirchenkreis Stuttgart erwartet. Wo sieht die Landeskirche die Chancen des Kirchenkreises? Wo seine Aufgabe in der Großstadt?“ Arnold ließ sich nicht zweimal bitten und lieferte in der digitalen Sitzung der Kirchenkreissynode am vergangenen Freitag ihren Auftrag ab. In ihrem Impulsvortrag stellte die Regionalbischöfin der Stadtkirche ein hervorragendes Zeugnis aus.

Punkt eins ihrer Analyse: „Evangelische Kirche in Stuttgart ist für Menschen in der Landeshauptstadt klar erkennbar … sie wird in der Öffentlichkeit als evangelische Stimme in der Stadt wahrgenommen.“ Ebenso wichtig sei, dass es eine gesunde, protestantische Streitkultur gebe, wo es dazu gehöre, dass man „in ethischen und theologischen Fragen nicht immer einer Meinung“ sei: „Ich bin dankbar dafür, dass uns niemand vorschreibt, was wir zu sagen, zu denken und zu glauben haben.“

Lob von der Prälatin

Weiter stellt sie fest: „Die Kirche in Stuttgart nimmt ihren Auftrag selbstbewusst wahr. Sie steht hin, wo dies notwendig ist.“ Arnold selbst, die sich als streitbare Vorkämpferin für die Homosegnung einen Namen gemacht hat, nimmt auch bei anderen Problemfeldern kein Blatt vor den Mund: „Besonders drängende Fragen sehe ich in Stuttgart in der Bekämpfung der sichtbaren und unsichtbaren Armut, der Wohnungsnot, aber auch der Zwangsprostitution, die hier besonders verbreitet ist. Dass in Stuttgart tausende junger Frauen als Sexsklavinnen gehalten und ausgebeutet werden, ist für mich ein unzumutbarer Zustand.“

Der Blick der Prälatin geht jedoch noch tiefer. In ihrem Zeugnis hält sie fest: „Evangelische Kirche geht auf die Menschen in der Großstadt zu und sucht sie bei Gelegenheiten in ihrem Leben auf.“ Zudem sei sie gastfreundlich für christliche Gemeinden anderer Kultur und Sprachen, verlässlich erreichbar und ein kompetenter Ansprechpartner. Nicht zuletzt gehe man „auch mutig und wertschätzend auf andere Religionen zu“.

Aber wie sieht es mit der Leuchtturmfunktion aus? Schaffen alle Gemeinden das, was die Stiftskirche alleine schon durch Ort und Funktion erreicht? Arnold meint ja: „Die Citykirchen erreichen als offene Orte der Spiritualität und öffentliche Räume der Repräsentanz von Kirche täglich viele Menschen unterschiedlicher Milieus. Die Kirche bringt ihren Schatz der Kirchenräume ins kulturelle und geistliche Leben der Stadt ein.“

Protestantismus ist jedoch mehr. Da ist der selbstverpflichtende Bildungsauftrag. Auch darauf geht die Prälatin ein. „Evangelische Schulen sind ein Markenzeichen“, der Hospitalhof sei eine Stadtakademie im besten Sinne sowie ein Vorbild an Gastfreundschaft. Und: „Kirche ist Diakonie.“ Also selbstloser Dienst am Nächsten. Arnold nennt in diesem Zusammenhang die Vesperkirche „einen Impulsgeber ins Land hinein“. Ebenso würden die Tafelläden und die Diakoniestationen gute Arbeit leisten: „Den Dienst der Liebe an jedermann nimmt die evangelische Kirche auch als Anwalt der Armen und Bedürftigen im Miteinander und Gegenüber den Sozialbehörden wahr.“

Diakonie als Kernkompetenz

Die Reaktionen der Synodalen auf den Vortrag konzentrierten sich hauptsächlich auf das Thema Diakonie. Offensichtlich sehen hier viele eine Möglichkeit, das Profil und die Sichtbarkeit von Kirche zu schärfen. So meinte Pfarrerin Mirja Küenzlen von der Thomasgemeinde, das Thema Diakonie gehöre in die Mitte des Kirchenkreises. Bei der Frage, wie man das Wirken der Vesperkirche über die sieben Wochen hinaus verlängern könne, liege die Möglichkeit einen „Strahlpunkt für den ganzen Kirchenkreis zu setzen“. BHZ-Vorstandsvorsitzende Irene Kolb-Specht teilt diese Ansicht durch die Formel: „Kirche ist Diakonie – Diakonie ist Kirche.“

In eine ähnliche Richtung denkt auch Diakonie-Landes-Chefin Annette Noller. Im Interview mit dieser Zeitung sagte sie zuletzt: „Ich mache keine diakonischen Angebote, um Kirchenmitglieder zu gewinnen. Wir engagieren uns, weil das unser kirchlich-diakonischer Auftrag ist und weil wir für die Menschen da sein wollen. Wenn Menschen dann sagen, da will ich dazugehören, dann freue ich mich.“