Die Fahnen sind schon mal gehisst vor der Ahoj-Arena in Rotterdam, wo der diesjährige ESC stattfindet. Foto: AFP/Kenzo Tribouillard

Am Montag startet die Finalwoche des Eurovision Song Contests 2021 – live und vor Publikum ausgerichtet vom niederländischen Fernsehen. Ein besseres Motto hätten sich die Veranstalter für dieses Jahr nicht wählen können: Open up!

Rotterdam - Der Eurovision Song Contest (ESC) 2021 rückt näher – und könnte die größte TV-Musikshow der Welt in diesem Frühjahr ein besseres Motto haben? „Open up“ lautet die Überschrift, die sich die Europäische Rundfunkunion (EBU), der Zusammenschluss von 72 nationalen TV-Sendern, und das holländische Fernsehen ausgesucht haben. „Aufmachen!“: Millionen Europäer hoffen ja gerade, die Monate der Corona-Lockdowns endlich hinter sich zu lassen. Und was könnte auf diesem Weg mehr Mut machen als eine große Live-Pop-Party in Rotterdam, die am kommenden Samstag wohl wieder knapp 200 Millionen Zuschauer von Kanada bis nach China und Australien verfolgen werden?

Live-Pop-Party in Rotterdam

Die wichtigste Botschaft des diesjährigen ESC ist, dass er tatsächlich stattfindet. Im Schock der ersten Coronawochen hatte die EBU 2020 den Grand Prix komplett abgesagt. Stattdessen veranstaltete die ARD eine Ersatz-Minishow aus der beinahe menschenleeren Elbphilharmonie in Hamburg; das niederländische Fernsehen steuerte am späteren Abend nostalgischen ESC-Rückblick bei. Das war sehr stimmungsvoll, steigerte bei den Fans aber nur die Wehmut. Kritiker fragten, warum die EBU nicht als Zeichen der Hoffnung einen dezentralen Wettbewerb veranstaltet hatte; das muntere Hin- und Herschalten zwischen den Ländern bei der Punktevergabe gehört ja ohnehin zum Herzstück jeder ESC-Nacht.

Deswegen lautete bereits im Herbst 2020 der Beschluss: Der ESC 2021 soll in jedem Fall stattfinden, in welcher Form auch immer. Und mittlerweile ist klar, dass er sogar größer und schöner stattfinden kann, als es den Winter über angesichts immer neuer Coronawellen noch möglich schien: Es wird in der Ahoj-Arena zu Rotterdam eine große Bühnenshow mit Liveauftritten geben – und es dürfen sogar 3000 Fans vor Ort dabei sein, weil die niederländische Regierung die ESC-Abende zum offiziellen, wissenschaftlich begleiteten Experiment für künftige Hallenevents erklärt hat. In normalen Zeiten könnten zwar 15 000 Zuschauer die Shows in der Ahoj-Arena besuchen, aber für Stimmung vor Ort ist trotzdem gesorgt, das kriegen die ESC-Fans auch in kleinerem Rahmen hin.

Quarantäne und strenge Hygieneregeln

Seit drei Wochen bereiten die Delegationen der Teilnehmerländer die Auftritte ihrer Stars vor – natürlich unter strengen Hygieneregeln. Früher waren die Tage vor den ESC-Shows mit Partys in den Clubs der Stadt und öffentlichen Gastauftritten angefüllt. Diesmal müssen die Künstler mit ihrem engsten Mitarbeiterkreis in Quarantäne in ihren Hotels bleiben und fahren nur zu ihren Proben und einigen wenigen anderen Terminen in die Halle.

Sollten Sänger oder Musiker kurzfristig wegen einer Corona-Infektion doch noch ausfallen, wird es ihre Beiträge in der Show ersatzweise als Video geben. Diese Videos wurden auf Reserve vorab in den Heimatländern produziert. Ein von den Fans besonders heiß geliebtes Teilnehmerland, Australien, kann allerdings aufgrund der internationalen Reisebeschränkungen definitiv in Rotterdam nicht vor Ort sein: Die Popsängerin Montaigne wird ihren Uptempo-Song „Technicolour“ von Melbourne aus vortragen.

Insgesamt drei Shows gibt es von Montag an in der ESC-Woche zu erleben. Da sind die beiden Halbfinals am Dienstag und Donnerstag mit insgesamt 33 Auftritten. Jeweils zehn qualifizieren sich für das Finale am Samstag und werden dort um die „Big Five“ ergänzt, also die Teilnehmer der Eurovision-Hauptfinanziers Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien sowie um den Gastgeber Niederlande. Macht zusammen 39 ESC-Kandidaten im Jahr 2021.

Von 40 Kandidaten wurde einer disqualifiziert

Eigentlich hätten es sogar 40 sein können – doch der Beitrag aus Weißrussland wurde von der EBU Ende März disqualifiziert. Der Titel „Ya naucha tebya“ der Gruppe Galasy ZMesta, ausgewählt vom staatsnahen weißrussischen Fernsehen, entpuppte sich beim genaueren Hinhören als Schmährede auf die mutigen und furchtlosen Demonstranten vom vergangenen Herbst gegen den Staatspräsidenten Lukaschenko. Beim ESC ist zum Glück Politik in den Songtexten verboten.

Für Deutschland tritt der Hamburger Sänger Jendrik an, der seinen Song „I don’t feel Hate“ selbst komponiert und getextet hat. Der federführende NDR hat den 26-Jährigen in einem mehrmonatigen Castingprozess ausgewählt – allerdings ohne Zuschauerbeteiligung, so dass es nach Jendriks Präsentation prompt zum üblichen Netzzank um die Qualität des Beitrags kam. Nun gut, der schnelle, temporeiche Feel-Good-Song mag beim bloßen Hören vielleicht etwas dahinplätschern – überzeugen kann Jendrik trotzdem, wenn er live auf der Bühne steht. Und überhaupt kann es für Deutschland ja nur besser werden als beim letzten ESC 2019 in Tel Aviv – da belegte man mal wieder mal nur den vorletzten Platz.

Ist für Deutschland diesmal mehr drin?

Beim ESC hängt fast alles von der Bühnenperformance ab. Viele Titel, die als Video im Youtube-Kanal begeistern, schmieren oft in der Show ab, weil es den Künstlern live dann doch stark am musikalischen Können fehlt oder sie über keine Ausstrahlung verfügen. Ein ESC-Beitrag darf nur drei Minuten lang sein – diese drei Minuten zu nutzen, um ein Millionenpublikum spontan zu überzeugen und so möglichst viele 12-Punkte-Wertungen aus verschiedensten Ländern zu bekommen, das ist das einzige Erfolgsrezept für einen Grand-Prix-Sieg. Das macht den ESC so spannend und faszinierend – und der Spaß über allerlei spektakuläre Geschmacksverirrungen mancher Acts kommt als Sahnehäubchen noch dazu.

Und überhaupt wird es einfach wieder höchste Zeit für Partys, Pop, grenzenloses Vergnügen, eben den ganzen Spaß und das große ESC-Gefühl. Open up!

Der Eurovision Song Contest

Geschichte: Der ESC findet jährlich seit 1956 statt, anfangs hieß er noch Grand Prix de la Chanson d’Eurovision. Er wird von jenem Land ausgetragen, das den letzten ESC gewonnen hat. Beim bisher letzten ESC 2019 in Tel Aviv gewann der Holländer Duncan Laurence mit der Popballade „Arcade“. Deswegen findet die 65. ESC-Ausgabe nun in Rotterdam statt.

Shows: Das erste Halbfinale am Dienstag, 18. Mai, überträgt das Erste ab 21 Uhr auf seinem Spartenkanal One; ebenso das zweite Halbfinale am Donnerstag, 20. Mai. Am Samstag, dem 22. Mai, beginnt die ESC-Nacht wie immer um 20.15 Uhr und bietet zusätzlich zur Show aus Rotterdam das traditionelle Vorprogramm aus Hamburg und eine Nachlese.

Moderator: Auch in diesem Jahr moderiert das NDR-Urgestein Peter Urban die Finalshow für die deutschen Zuschauer. Allerdings wird er pandemiebedingt nicht in Rotterdam im Studio sitzen, sondern in Hamburg.