Klimaschutz und Umweltschutz kommen bisweilen in einen Konflikt. Beim Ausbau der Windkraft muss die Natur manchmal zurückstehen. Foto: dpa/Henning Kaiser

In der EU-Kommission werden die Zuständigkeiten neu verteilt. Im Mittelpunkt steht dabei die Wirtschaft – und nicht mehr der Green Deal.

Das Thema Wirtschaft hat in der Europäischen Union im Moment Hochkonjunktur. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat mit seinem Bericht über die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft in diesen Tagen einige Schockwellen ausgelöst. Darin fordert er Milliardeninvestitionen in Europas Wirtschaft, die deutlich innovativer werden müsse, um nicht den Anschluss an die Konkurrenz aus den USA und China zu verlieren. Auch bei der Verteilung der Kompetenzen innerhalb der neuen EU-Kommission, die deren Chefin Ursula von der Leyen am Dienstag in Straßburg vorstellt, wird diese Frage eine zentrale Rolle spielen.

Diese Konzentration gefällt allerdings nicht allen. „Es ist beunruhigend, dass bei der Besetzung der Kommission im Moment vor allem über Industrie und Ökonomie geredet wird“, beklagt Jutta Paulus. Die Europaabgeordnete der Grünen befürchtet, dass das wichtige Thema Umweltschutz in den kommenden Jahren aus dem Blickfeld geraten könnte. „Es ist noch immer nicht klar, wohin das gesamte Portfolio Umwelt gehen wird“, sagt sie. „Noch nicht einmal der Zuschnitt des Bereiches ist formuliert worden.“

Der Green Deal ist das zentrale EU-Projekt

Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat den Umweltschutz und den Kampf gegen den Klimawandel mit dem sogenannten Green Deal in den vergangenen fünf Jahren in den Mittelpunkt ihrer Politik gerückt. Ziel ist es, Europa bis zum Jahr 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu machen. Allerdings ist der Widerstand gegen ihr „Herzensprojekt“ zuletzt immer größer geworden. Zuletzt gingen in ganz Europa die Landwirte auf die Straße, um gegen die Brüsseler Agrarpolitik auch gewaltsam zu demonstrieren. Als Reaktion nahm Ursula von der Leyen einige der geplanten Regelungen wieder zurück.

Nicht nur im Lager der Grünen wird nun gerätselt, wie es in Sachen Umweltschutz in der Europäischen Union in Zukunft weitergeht. Befürchtet wird, dass der Bereich an vielen Stellen immer weiter ausgehöhlt wird. Als warnendes Beispiel nennt Jutta Paulus, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst gegen ein völliges Verbot der überaus umstrittenen „Ewigkeitschemikalie“ Pfas ausgesprochen hat. Sie solle nur verboten werden, wenn ihr Einsatz nachweislich schädlich sei und es bessere Alternativen gebe. „Die Industrie hat sich dafür beim Kanzler bedankt“, spottet die Grünen-Politikerin. Das sei ein fatales Signal, denn diese Stoffe würden sich über Jahre ansammeln und seien gerade deshalb so gefährlich für Mensch und Tier.

Zielkonflikt zwischen Umwelt- und Klimaschutz

Peter Liese, CDU-Europaparlamentarier, sieht im Fall von Pfas allerdings einen Zielkonflikt zwischen Umweltschutz und Klimaschutz und ist gegen ein generelles Verbot. „Bestimmte Anwendungen von Pfas und bestimmte Untergruppen von Pfas sollten definitiv verboten werden“, sagt der umweltpolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion, „aber ein umfassendes Verbot würde die Energiewende ausbremsen, weil man Pfas auch zur Herstellung von Wasserstoff und Windkraftanlagen baucht.“

Ein Lichtblick im Poker um Macht und Einfluss an der Spitze der EU-Kommission ist für die Grünen-Politikerin Jutta Paulus, dass die Spanierin Teresa Ribera als große Favoritin für den Posten der Klima-Kommissarin gilt. Die Sozialistin war lange Ministerin für den ökologischen Wandel in der Regierung in Madrid, bringt also die nötige Fachkompetenz und auch die Energie für ihre Aufgaben mit. Aber Paulus betont: „Der Green Deal darf sich nicht nur auf den Kampf gegen den Klimawandel beschränken. Wir können die Klimakrise nicht lösen, wenn wir uns nicht gleichzeitig dem Artensterben und der Umweltverschmutzung widmen.“

Eine Frage der Macht von Ursula von der Leyen

Offensichtlich ist auch Ursula von der Leyen gewillt, allen Unkenrufen zum Trotz ihre Politik des Green Deal fortzuführen. Auf einer Konferenz zur Biodiversität am Freitag in München betonte die CDU-Politikerin, dass die Beziehung zwischen Wirtschaft und Natur grundsätzlich neu gedacht werden müsse. „Seit Generationen belohnt die Menschheit nur das Ausplündern unserer natürlichen Umwelt“, mahnte die Kommissionspräsidentin in ihrer Rede. „Und heute sehen wir, wie grundlegend falsch das ist. Es ist vom moralischen Standpunkt her falsch. Aber auch vom wirtschaftlichen.“ Sie erinnerte daran, dass die Landwirte die ersten seien, die unter dem Klimawandel und dem Verlust der natürlichen Ressourcen leiden würden. Deshalb sei es grundlegend, dass die Bauern die Natur bewahren und nachhaltig arbeiten.

Natur- und Umweltschützer hören solche Worte aus dem Mund der wichtigsten Vertreterin der EU natürlich gerne. Allerdings stellen sie sich nach dem Zurückrudern der EU-Kommissionschefin gegenüber den Landwirten inzwischen die Frage, wie stark Ursula von der Leyen in ihrer zweiten Amtszeit noch ist. Ob sie tatsächlich noch die Macht besitzt, den von ihr ins Leben gerufenen Green Deal gegen den zum Teil massiven Widerstand der verschiedenen Interessengruppen und auch aus den eigenen politischen Reihen durchzusetzen.