Die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni ist eine der Gewinnerinnen der Europawahl. Doch in Brüssel wird sie unsanft ausgebremst. Foto: AFP/ALESSANDRO DELLA VALLE

Der Schulterschluss der rechtsnationalen Parteien im Europaparlament gelingt nur bedingt. Die Demokraten können aber nicht aufatmen, denn Gefahr für Europa droht von der Entwicklung in Frankreich.

Giorgia Meloni ist bis aufs Blut beleidigt. Wie die große Siegerin fühlte sich Italiens Premierministerin nach den Europawahlen, hat die extreme Rechte in der Wählergunst doch deutlich zugelegt. Melonis Gefühl des Triumphes zerschellte allerdings schnell an den machtpolitischen Realitäten in Brüssel. Sie musste tatenlos zusehen, als die ebenfalls erstarkten Konservativen in Brüssel beim ersten Nachwahl-Treffen der Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen das Fell des Bären unter sich aufteilten. Fazit: für Italien ist keiner der Topjobs in der EU reserviert.

Für Giorgia Meloni ist das ein Schlag ins Gesicht, war sie doch in den vergangenen Monaten vom konservativen EVP-Fraktionschef Manfred Weber und von der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen regelrecht umgarnt worden. Auf dem Kurznachrichtendienst „X“ verlor die sonst sehr redselige Italienerin deshalb keine Silbe über ihre geplatzten Brüsseler Machtträume. Stattdessen postete sie Fotos von ihrer Teilnahme an einem folkloristischen Treffen mit Südtiroler Infanteristen.

Giorgia Meloni lernt sehr schnell

Doch Giorgia Meloni lernte schnell, wie der Kampf um Einfluss in Brüssel funktioniert. Aus diesem Grund machte sie sich nach der blamablen Abfuhr durch die Konservativen mit größtem Eifer daran, die von ihrer Partei Fratelli d’Italia dominierte extrem-rechte EKR-Fraktion im Europaparlament zu vergrößern. Bis zum 3. Juli müssen die Parteifamilien endgültig gebildet sein.

Einen Etappensieg konnte die Postfaschistin sehr schnell erringen. Einige bisher versprengte Abgeordnete schlossen sich ihr an und inzwischen ist die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer mit knapp über 80 Parlamentariern sogar größer als die der Liberalen (Renew). Die mussten nun sogar einen weiteren schweren Verlust hinnehmen. Die tschechische ANO-Bewegung hat am Freitag ihren Austritt aus Renew bekannt gegeben. Wohin diese Parlamentarier streben, ist noch ungewiss.

Die rechte EKR-Fraktion ist ein Scheinriese

So ist die EKR-Gruppe nun eindeutig drittstärkste Kraft im Parlament, bleibt allerdings eine Art Scheinriese, denn keine der demokratischen Parteien wird mit ihr koalieren. Die Fraktion verfügt zudem über kein gemeinsames Programm und beheimatet Politiker, die einen mehr als zweifelhaften Ruf genießen. Mit von der Partie sind etwa die offen rechtsradikale spanische Partei Vox oder die polnische PiS, die es mit den Regeln des Rechtsstaates erklärtermaßen nicht so genau nimmt. Auch schloss sich zuletzt die aus der rechtsextremen französischen Partei Reconquête ausgeschlossene Politikerin Marion Maréchal an. Sie ist die Nichte von Marine Le Pen, die allerdings auf Distanz zu diesem Teil ihrer Verwandtschaft geht, der sogar der französischen Rechtspopulistin politisch zu extrem ist.

Der Rassemblement National von Marine Le Pen versucht sich seit Jahren, ein bürgerliches Äußeres zu geben. Im Europaparlament gelingt das wegen der anti-europäischen Politik allerdings nicht, weswegen die Partei nicht Teil des rechtsnationalen EKR ist, sondern der rechtsextremen Fraktion Identität und Demokratie (ID) angehört. Lange war über eine mögliche engere Zusammenarbeit der beiden machtbewussten Frauen aus Rom und Paris gemunkelt worden, die scheint aber in sehr weiter Ferne. Zu groß sind offensichtlich nicht nur die politischen, sondern auch die persönlichen Differenzen. Zudem arbeitet Meloni offensiv daran, sich in der europäischen Parteienlandschaft als wählbare Alternative zu den bisherigen konservativen Kräften zu etablieren. In diesem Bild würde die in Europa als rechtsradikal verbrämte Marine Le Pen nur stören.

Marine Le Pen hat ganz andere Pläne

Die Französin hat im Moment sowieso einen völlig anderen politischen Fokus. Ihre Partei ist nach der Auflösung des Parlaments in Paris auf dem besten Weg in die Regierung. Das wäre für sie erklärtermaßen aber nur der erste Schritt vor der Machtübernahme in Frankreich. Inzwischen gilt es als wahrscheinlich, dass Marine Le Pen im Jahr 2027 als nächste Präsidentin in den Élysée-Palast einziehen wird.

Dieses Szenario wäre für Europa eine Art politischer Super-Gau. Zwei anti-europäisch gestimmte Regierungen in den wichtigen EU-Gründungsstaaten Italien und Frankreich könnten das Projekt der europäischen Einigung in sehr schweres Wasser lotsen.