Die Europäische Union sucht nach einer gemeinsamen Linie in der Migrationspolitik. Die katastrophale Lage auf der italienischen Insel Lampedusa erhöht den Druck, macht eine Lösung aber noch schwieriger.
Die Migrationspolitik ist eine der großen politischen Baustellen in Europa. Seit Jahren sucht die EU vergeblich nach einer gemeinsamen Linie. Immer wieder wurde versucht, die augenfälligsten Schwachpunkte auszubessern, allerdings mit wenig Erfolg. Nun steht die Union vor den Trümmern ihrer Politik. Noch am Mittwoch hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union selbstbewusst ihre Erfolge in Sachen Migration hervorgehoben, was sich allerdings sehr schnell als eine hohle Beschreibung der Realität herausstellte.
Katastrophale Zustände auf Lampedusa
Denn zur selben Stunde versuchten die Behörden auf der italienischen Insel Lampedusa verzweifelt den Ansturm von Tausenden von Geflüchteten in den Griff zu bekommen. Nachdem in Deutschland zunächst ein Sprecher des Innenministeriums verkündet hatte, die freiwillige Übernahme von Flüchtlingen aus Italien zu stoppen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag der ARD, das freiwillige Aufnahmeverfahren sei ausgesetzt gewesen, „weil Italien keinerlei Bereitschaft gezeigt hat, im Wege des Dublin-Verfahrens Leute zurückzunehmen“. Sie fügte unmittelbar hinzu: „Jetzt ist natürlich klar, dass wir unserer solidarischen Verpflichtung auch nachkommen.“
Demgegenüber steht das von der EU-Kommissionspräsidentin gelobte Abkommen mit Tunesien vor dem Scheitern. Die Regierung in Tunis hat am Donnerstag einer Delegation des Europaparlaments die Einreise untersagt. Den Machthabern gefiel offensichtlich die Kritik an der Menschenrechtslage in dem Maghrebstaat nicht. Die EU und Tunesien hatten Mitte Juli ein umfassendes Migrationsabkommen geschlossen. Es soll Menschen von irregulärer Migration in die EU abhalten und insbesondere den gemeinsamen Kampf gegen Schleuser verbessern. Im Gegenzug sollte das von einer schweren Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit geplagte Tunesien finanzielle Unterstützung in Höhe von rund einer Milliarde Euro erhalten.
Giorgia Meloni gerät unter Druck
In Brüssel stellt man sich die bange Frage, wie die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni weiter agiert. Sie zeigte sich nach ihrem Wahlsieg in vielen Bereichen erstaunlich kooperativ gegenüber der EU, da sie unter anderem auf das Geld der Union angewiesen ist. Doch nun bekommt die Post-Faschistin Druck von ihren eigenen Koalitionspartnern. Vor allem der ultrarechte Lega-Chef und Vizepremier Matteo Salvini versucht, sich mit martialischen Aussagen auf Kosten Melonis zu profilieren. Er hat die Lage auf Lampedusa als „Akt des Krieges“ bezeichnet.
In dieser verfahrenen Situation versucht sich die EU an einer Reform des Asylsystems. Doch die Zeit drängt, denn im Juni kommenden Jahres sind Europawahlen. Bis zu jenem Zeitpunkt soll ein tragfähiger Kompromiss stehen, denn die demokratischen Parteien befürchten angesichts der Migrationsproblematik einen massiven Rechtsruck im Europaparlament.
Die EU-Staaten haben sich jüngst auf einer Konferenz bereits auf eine deutliche Verschärfung der Asylregelungen verständigt. Vorgesehen ist etwa ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.
Verschärfung der Asylregeln
Allerdings hat auch das Europaparlament noch ein Mitspracherecht und dort sind die Pläne heftig umstritten. Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, beklagt, dass die Mitgliedsstaaten den „moralischen Kompass“ verloren und sich auf eine Politik verständigt hätten, die Menschenrechte massiv abzubauen. Angesichts der katastrophalen Lage auf Lampedusa scheint nun eine Einigung weiter entfernt als je zuvor.