Julya Rabinowich ist als Kind mit ihren Eltern aus der Sowjetunion emigriert. Foto: Roberto Bulgrin

Bei Lesart stellt die Autorin Julya Rabinowich ihren Jugendroman „Dazwischen: Wir“ vor, den sie auch als Anti-Kriegsbuch verstanden haben will.

Julya Rabinowich war sieben Jahre alt, als sie 1977 mit ihren Eltern als Immigrantin aus der Sowjetunion nach Wien kam. Das Erlernen der deutschen Sprache war für sie enorm wichtig: „Mein Ankommen war die deutsche Sprache. Ich habe gewusst, dass ich sie brauche, um zuhause zu sein. Ich fühle mich nach wie vor in Sprachen zuhause, weniger an Orten“, erzählt die Autorin vor ihren Lesungen, bei denen sie im Rahmen der Esslinger Literaturtage Lesart ihren neuen Jugendroman „Dazwischen: Wir“ vorstellte.

Julya Rabinowich stammt aus einer Familie von Malern: „Ich habe als Kind schon geschrieben, Kurzgeschichten und Gedichte, aber fürs Malen habe ich mehr Bestärkung erhalten“, berichtet sie. Sie studierte Übersetzungswissenschaften, Philosophie und Malerei und begann wieder mit dem Schreiben. Heute, wo sie für Erwachsene und Jugendliche schreibt, Theaterstücke verfasst, Zeitungskolumnen veröffentlicht und als Malerin erfolgreich ist, nimmt sie diese Gattungsvielfalt sehr pragmatisch: „Wenn ich male, schaut es fürchterlich aus und ich muss nachher stundenlang aufräumen, beim Schreiben klappe ich einfach das Laptop zu.“

Was der Krieg mit den Menschen macht

Als Dolmetscherin hat die Schriftstellerin bei Therapiesitzungen für traumatisierte Jugendliche, die aus Kriegsgebieten geflohen sind, übersetzt. Diese Erfahrungen sind in die Arbeit an ihren Jugendbüchern „Dazwischen: Wir“ und dem Vorgängerband „Dazwischen: Ich“ eingeflossen: „Die Dinge, die ich dabei kennenlernen musste, durfte und konnte, haben die Bücher geformt. Mir war klar, dass ich diese Geschichten weitertragen will.“ Die Übersetzertätigkeit habe ihr die Augen geöffnet: „Man weiß, dass in Kriegszeiten bestialische Dinge getan werden. Wir sehen aktuelle Nachrichten und Videos, und wir kennen Berichte von früher. Aber das ist abstrakt für jemanden, der im Frieden aufgewachsen ist.“ Es sei etwas völlig anderes, diese Gefühle mit den Patienten zu durchleben: „Als Dolmetscherin muss ich alles in Ich-Form wiedergeben: Ich wurde gefoltert, meine Mutter wurde vor meinen Augen umgebracht.“ Bei dieser Arbeit sei ihr klar geworden, wie dünn das Eis der Zivilisation in Wirklichkeit ist: „Die Bücher sind für mich ganz klar auch Anti-Kriegsbücher, die deutlich machen sollen, was Krieg mit Menschen macht. Die Traumata bleiben, sie brechen durch die Vergangenheit in die Gegenwart durch.“

Ihre Protagonistin Madina, die im zweiten Band ihren 16. Geburtstag feiert, soll Menschen, die nie Krieg erlebt haben, vermitteln, was Krieg mit Menschen macht: „Dieses Verständnis braucht man für ein gelingendes Miteinander in der Gesellschaft.“

Madina muss zwischen ihrer Familie und dem Leben im fremden Land vermitteln. „Krieg und Emigration machen Kinder vorzeitig erwachsen, sie müssen agieren und reagieren, anders als Kinder, die im Frieden aufwachsen, die so eine Art Spiel-Raum haben. Und gleichzeitig ist da Madinas große Sehnsucht, so zu sein, wie alle anderen Mädchen in ihrem Alter. Im Buch gibt es ihre Freundin Laura, die ihr hilft, diese Welt auch zu erleben.“

Rassistische Wandschmierereien

Madina ist stark und mutig, aber gleichzeitig auch ängstlich und verletzlich, denn sie weiß, was Krieg und Brutalität bedeuten. Sie erkennt deshalb schnell, welche Bedrohung von rassistischen Wandschmierereien und von einem brüllenden Mob ausgehen kann: „Menschen, die selbst Diktatur oder Krieg erlebt haben, haben ein feinfühligeres Sensorium für die Gefahr“, ist die Autorin überzeugt. Madina engagiert sich gegen Hass, Hetze und Rassismus, und sie findet Verbündete. Julya Rabinowich weiß, dass gerade junge Menschen gegen die Spaltung der Gesellschaft etwas tun können. Aber sie gibt zu bedenken: „Ich möchte den Jugendlichen nicht die ganze Verantwortung dafür aufladen. Aber im Kleinen kann jeder etwas tun. Als Allererstes reicht es, einfach nicht mitzumachen. Madina und ihre Freunde übermalen die Sprüche an den Wänden. Man kann widersprechen. Und man kann jemandem beistehen, der gemobbt oder bedroht wird.“ Das „Wir“ im Titel signalisiere in aller Deutlichkeit: „Das Thema geht alle an.“ Immer wieder erhält die Schriftstellerin auch Rückmeldung von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung, die sich in Madina wiederfinden. „Madina zeigt, dass es auf diese Art und Weise gehen kann. Aber vielleicht muss jemand anders einen anderen Weg für sich finden.“ Vor einiger Zeit habe sich bei einer Schullesung ein Mädchen zu Wort gemeldet, schildert Julya Rabinowich: „‘Warum will Madina sein wie alle anderen? Warum will sie ihr altes Ich dafür aufgeben? Ich will so sein, wie ich bin.‘ Das ist natürlich eine Position, die ebenfalls ihre Berechtigung hat. Ich habe dieses Mädchen ermutigt, ihre eigene Geschichte zu erzählen und aufzuschreiben.“

Die Schriftstellerin und ihr Buch

Die Autorin
Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, ist 1977 mit ihrer Familie nach Wien emigriert, wo sie Translationswissenschaft, Philosophie und Malerei studierte. Sie ist als Schriftstellerin, Kolumnistin, Malerin und Dolmetscherin tätig. Ihre Bücher für Erwachsene wie „Herznovelle“, „Spaltkopf“ oder „Krötenliebe“ und ihre Werke für Jugendliche wurden vielfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet, ihre Theaterstücke werden regelmäßig aufgeführt, und ihre Kolumnen werden in renommierten Zeitungen veröffentlicht.

Das Buch
Mit „Dazwischen: Ich“ veröffentlichte Julya Rabinowich 2016 ihr erstes Jugendbuch über die 15-jährige Madina, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflohen ist und nun mit der fremden Sprache, dem Alltag in der Flüchtlingsunterkunft und der Ausgrenzung in der neuen Schule kämpft. Der aktuelle Folgeband „Dazwischen: Wir“ (Hanser-Verlag, 17 Euro, für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene) erzählt, wie Madina ihren Weg in ihrer neuen Heimat findet. Sie hat endlich das Gefühl, angekommen zu sein, als rassistische Schmierereien „Ausländer raus!“ fordern. Aber Madina will nicht wegschauen.