Unterstützung für Hilfe zur Selbsthilfe: Tushia-Gründerin Fiona Chigwaza mit den Esslinger Freimaurern Andreas Krieg (links) und Alexander Ruffner, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Loge „Zur Katharinenlinde“. Foto: Roberto Bulgrin

Die Esslinger Freimaurerloge „Zur Katharinenlinde“ verleiht dem Verein Tushia, einer Integrationsinitiative von Deutsch-Afrikanern, ihren Gotthilf-Schenkel-Preis. Der Verein fördert vor allem durch Deutschkurse die gesellschaftliche Teilhabe.

Erst mal selber anpacken statt gleich nach dem Staat oder anderer Hilfe schreien: Das ist die Devise, die Ernest Jasper Freunden, Kollegen und nicht zuletzt sich selbst mit auf den Weg gibt. Vor 51 Jahren in Nigeria geboren, seit 27 Jahren in Deutschland, hat Jasper kräftig selbst angepackt, nicht nur in seinem Beruf als Schweißer und Schlosser, sondern auch, wenn es um Hilfe für andere geht. Wobei diese Idee zuerst von seiner Ehefrau Fiona Chigwaza kam. Sie stammt aus Simbabwe, lebt seit zwölf Jahren in Deutschland und zog vor fünf Jahren mit der Gründung des Esslinger Vereins Tushia die Konsequenz aus einer Einsicht, die ihr als Altenpflegerin besonders naheliegen mag: Manchmal genügen Appelle an die Tatkraft nicht, es gibt Menschen, die tatsächlich Hilfe brauchen. Ohne deswegen in Passivität zu versinken. „Uns geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Wir wollen den Menschen helfen, ein möglichst aktives Leben zu führen“, sagt Chigwaza. Mit dieser Überlegung war Tushia geboren. Das Wort stammt aus der hebräischen Bibel und bedeutet Weisheit, aber auch Einfalls- oder Erfindungsreichtum. Einfallsreich und überraschend, allerdings nur auf den ersten Blick, ist auch die Unterstützung, die Tushia jetzt erfährt: Am kommenden Samstag verleiht die Esslinger Freimaurerloge „Zur Katharinenlinde“ dem Verein ihren mit 4000 Euro dotierten Gotthilf-Schenkel-Preis.

Was macht Tushia konkret? Als dreifache Mutter weiß Fiona Chigwaza gut, dass nicht nur alte, sondern auch sehr junge Menschen solch einfallsreiche Hilfe nötig haben. „Tushia – Hilfe für Kinder“ lautet deshalb der vollständige Vereinsname. Zielgruppe ist in erster Linie die afrikanische Community im Landkreis Esslingen. Beide Einschränkungen – Kinder und afrikanischer Hintergrund – sind jedoch absolut nicht absolut: Zum einen sind die Aktivitäten, Veranstaltungen und Gruppen von Tushia für alle offen. Zum anderen geht es selbstverständlich auch darum, über die Kinder die Eltern zu erreichen. Übergeordneter Vereinszweck ist also, migrantischen Familien, aber auch Einzelpersonen die Integration zu erleichtern.

„Die Sprache ist das größte Integrationshemmnis“

Ernest Jasper war vor fünf Jahren sofort überzeugt von der Initiative seiner Frau. Heute ist sie die Erste, er der Zweite Vorsitzende des Vereins mit seinen zehn ehrenamtlichen Aktiven. Die Rede von der Hilfe zur Selbsthilfe ernst nehmen bedeutet für Chigwaza und Jasper zunächst, die entscheidende Integrationshürde zu erkennen; genauer: die wichtigste jener Hürden, die man durch eigenes Tun und Handeln absenken kann, wenn einem dazu auf die Sprünge geholfen wird. So sind Migrantinnen und Migranten konfrontiert mit bürokratischen Sperrzäunen, mit Ressentiments bis hin zum puren Rassismus, mit allerlei Vorbehalten im Alltag, ob es um einen Arbeitsplatz oder um einen Mietvertrag geht. Aber „das größte Integrationshemmnis“, sagt Chigwaza, „ist die Sprache.“

Über die Kinder die Eltern erreichen

Tushia setzt deshalb vieles in Gang, damit wir uns gut verstehen. Zum Beispiel bilden Deutschkurse für Kinder und Jugendliche mit lückenhafter oder fehlender deutscher Sprachkompetenz einen Schwerpunkt der Vereinsarbeit. Angesprochen sind neben den Kindern natürlich auch die Eltern, und weil Frauen erfahrungsgemäß beim Erwerb der deutschen Sprache eher hinterherhinken, namentlich die Mütter. Versteht sich, dass die Vereinsaktiven auch mit Übersetzungshilfe etwa bei Behördengängen oder Arztbesuchen zugange sind, bis die Leute selbst der Sprache und damit des integrierten sozialen Umgangs mächtig sind.

Auch Geselligkeit ist ein Weg ins neue Leben

Doch die Tushia-Aktivitäten erschöpfen sich keineswegs in einer niederschwelligen VHS für Zugewanderte. Der Verein versteht sich als Begegnungsforum für Afrikaner und andere in Deutschland, von Staatsbürgern bis zu Neuankömmlingen, die oft keine sozialen Kontakte haben. Zu den Vereinsaktivitäten zählen daher gemeinsame Frühstücke, Treffs etwa im Mehrgenerationenhaus Pliensauvorstadt, Fußballturniere und Ausflüge mit den Kindern, zum Beispiel ins Nymphaea. Auch Geselligkeit ist ein Weg, der ins neue Leben in Deutschland führt.

„Wir sind sehr beeindruckt von Tushia, seit wir bei einigen Veranstaltungen und Aktionen dabei waren“, sagt Thomas Fedrow von der Esslinger Freimaurerloge. Eine kleine Episode illustrierte ihm, dass das mit der selbsttätigen Hilfe keine Gerade ist: „Ernest Jasper erzählte mir, der Verein habe Probleme mit seiner Website. In der Loge haben wir überlegt, was wir tun können. Als wir Hilfe anboten, sagte Jasper: ,Ach, das haben wir längst selbst repariert.’“

Die Entscheidung unter zehn Kandidaten für den Gotthilf-Schenkel-Preis sei einhellig erfolgt, sagt Alexander Ruffner, stellvertretender Vorsitzender der Loge. „Tushia hat uns alle überzeugt.“ Seit 2014 verleiht die Loge alle zwei Jahre ihren Preis. Benannt ist er, so der Freimaurer Andreas Krieg, nach dem 1960 in Esslingen gestorbenen evangelischen Pfarrer, SPD-Politiker und ersten baden-württembergischen Kultusminister, der seit 1919 Freimaurer und seit 1947 Mitglied der Loge „Zur Katharinenlinde“ war. Verliehen wird der Preis für humanitäres Engagement, bisher haben ihn unter anderem die Stiftung Jugendhilfe aktiv, Elke Walkenhorst-Mayer, Gründerin des Vereins „Bürger für Berber“, und Ursula Hoffmann, Vorsitzende von „Rückenwind“, eines Vereins pflegender Eltern behinderter Kinder, erhalten.

Die Freimaurer und die Humanität

Loge
 Die Esslinger Freimaurerloge „Zur Katharinenlinde“ geht auf ein sogenanntes Freimaurerkränzchen zurück, das bereits 1864 gegründet wurde – auch damals schon mit dem ausdrücklichen Ortsbezug im Namen, wie Logenmitglied Andreas Krieg erklärt. Nach der Unterdrückung und Verfolgung der Freimaurerei durch die Nationalsozialisten wurde 1947 die „Katharinenlinde“ neu gegründet – nun als Freimaurerloge. Die Freimaurer, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wichtige Vertreter der Aufklärung, fühlen sich der Humanität und der Toleranz verpflichtet. Etwas anachronistisch mutet an: Sie sind ein reiner Männerbund.

Preisverleihung
 Die Verleihung des Gotthilf-Schenkel-Preises an den Esslinger Verein Tushia findet am kommenden Samstag, 19. Oktober, im Central-Theater am Esslinger Rossmarkt statt. Beginn ist um 17 Uhr. Die Veranstaltung ist öffentlich, eine Anmeldung erforderlich unter: sk@freimaurer-esslingen.de