In diesem altehrwürdigen Haus (links) tagt der Gemeinderat, der auch über die Organisationsform der Verwaltung entscheidet. In der aktuellen Diskussion geht es um die Vertretungen des Oberbürgermeisters, also auch um die Stellen von Yalcin Bayraktar (im oberen Bild rechts neben Oberbürgermeister Matthias Klopfer) und Ingo Rust (im unteren Bild links neben Klopfer). Foto: Roberto Bulgrin

Die Vorstellungen gehen weit auseinander: Ein Teil des Gemeinderats und der Oberbürgermeister fordern einen weiteren Bürgermeister. Aber nicht alle sehen das so. Im Gegenteil.

Der Esslinger Bürgermeister-Streit strebt einem weiteren Höhepunkt zu: Zunächst war die Empörung bei den Fraktionsgemeinschaften FDP/Volt, Die Linke/FÜR Esslingen, der AfD-Fraktion und der Gruppe „Wir/Sportplätze erhalten“ groß. Die größeren Fraktionen und Oberbürgermeister Matthias Klopfer wollen einen weiteren Bürgermeister an der Spitze der Rathaus-Verwaltung installieren. Nun legen FDP/Volt, Linke/FÜR und Wir nach: Sie wollen nicht noch mehr Bestimmer und Spitzenverdiener in der Führung, sondern weniger.

Die Fraktionsgemeinschaften und die Ratsgruppe stellten einen entsprechenden Antrag, in dem es unter anderem heißt: „Der Gemeinderat der Stadt Esslingen am Neckar möge beschließen: Die Anzahl der Bürgermeisterstellen (Oberbürgermeister und Beigeordnete) wird bis zum Ende der laufenden Gemeinderatslegislaturperiode von derzeit vier auf künftig drei reduziert.“ Diese Reduzierung soll spätestens im Haushaltsplan 2029 eingeplant und festgeschrieben werden.

Die Streitfrage: Hat Esslingen einen Bürgermeister zu viel oder zu wenig?

Foto: Roberto Bulgrin

Zur Zeit gibt es vier Dezernate. Jedem Dezernat steht ein Bürgermeister beziehungsweise Beigeordneter oder der Oberbürgermeister selbst vor. Das Dezernat 1 nennt sich Allgemeine Verwaltung. Das Dezernat 2 kümmert sich um die Themen Stadtentwicklung, Infrastruktur, Bauen und Umwelt. Das Dezernat 3 ist die Finanzverwaltung. Das Dezernat 4 fasst Ordnung, Soziales, Bildung, Kultur und Sport zusammen.

Das fünfte Dezernat soll nach den Plänen des Oberbürgermeisters und der Fraktionen von CDU, Grünen, SPD und Freien Wählern drei Schwerpunkte haben: Es soll die Digitalisierung vorantreiben, es soll moderne Strukturen in den Bereichen Mobilität und öffentlicher Nahverkehr schaffen und schließlich soll der neue Bürgermeister oder die Bürgermeisterin die Zusammenarbeit in den Bereichen des Bürgerservices, der Sicherheit, Ordnung und Innenstadtentwicklung effektiver gestalten.

Die CDU wünscht sich ein Vorschlagsrecht zur Besetzung des neuen Postens

Es geht allerdings keineswegs nur um eine neue Arbeitsaufteilung oder Entlastung der bisherigen Spitze, sondern auch darum, dass jeder der großen zustimmenden Fraktionen ein Bürgermeister zugeordnet werden kann. Bisher sind der direkt gewählte Oberbürgermeister Matthias Klopfer und der Erste Bürgermeister der SPD verbunden, obwohl die Sozialdemokraten nur drittstärkste Kraft im Gemeinderat sind.

Yalcin Bayraktar, unter anderem zuständig für Ordnung und Soziales, kommt von den Grünen (zweitstärkste Fraktion) und Hans-Georg Sigel, unter anderem verantwortlich für Bauen und Stadtentwicklung, kam auf Vorschlag der Freien Wähler (viertstärkste Fraktion) ins Amt. Nun wünscht sich die CDU als inzwischen stärkste Fraktion auch einen Bürgermeister, der auf ihren Vorschlag ins Amt kommen soll. Dafür soll aber keiner der anderen Bürgermeister weichen, sondern ein weiterer installiert werden.

Oberbürgermeister werden in Baden-Württemberg für acht Jahre gewählt

Dabei ist zu beachten: Der Oberbürgermeister wird in Baden-Württemberg für acht Jahre von den Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählt – er wäre bei einem eventuellen Stühlerücken im Rathaus außen vor. Doch seine Stellvertreter werden – ebenfalls für acht Jahre – vom Gemeinderat gewählt. Läuft eine Amtsperiode aus, muss er neu ins Amt gewählt werden. Der Gemeinderat kann aber auch beschließen, einen anderen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin zu wählen.

Um die Zahl der Bürgermeister zu erhöhen oder zu reduzieren, müsste die Hauptsatzung geändert werden. Dort heißt es: „Dem Oberbürgermeister stehen als Stellvertretungen drei hauptamtliche Beigeordnete zur Seite.“ Die Amtszeiten der Bürgermeister beziehungsweise Beigeordneten laufen 2028 (Bayraktar) und 2029 (Rust, Sigel) aus. Würde in diesem Jahr noch ein weiterer Bürgermeister gewählt, würde dessen Amtszeit bis 2033 laufen.

 

Der Vorschlag, mehr Führungsposten zu schaffen, steht diametral dem Vorschlag gegenüber, diese zu verringern. Begründet wird die Forderung, die Zahl der Spitzenverdiener im Rathaus zu reduzieren, unter anderem mit dem Effizienzgedanken und mit der Kostenreduzierung.

„Durch eine Verringerung auf drei Bürgermeisterstellen insgesamt soll eine effizientere Verwaltungsführung erreicht werden“, heißt es in dem interfraktionellen Antrag. Eine Straffung der Führungsstruktur könne die Entscheidungswege verkürzen, Verantwortlichkeiten klarer zuordnen und personelle wie finanzielle Ressourcen schonen. Zudem erlauben sich die Antragssteller einen Vergleich: „Viele Städte vergleichbarer Größe kommen mit weniger hauptamtlichen Bürgermeistern aus, ohne dass die Handlungsfähigkeit der Verwaltung leidet.“

Die Stadt Esslingen

Einwohner
Esslingen hat rund 97 000 Einwohner und gilt damit nicht als Großstadt. Davon haben fast 45 000 Menschen einen Migrationshintergrund. Esslingen ist schon seit vielen Jahrzehnten auch eine Einwandererstadt.

Profil
Die Stadt vermarktet sich selbst als ein Ort mit langer Geschichte. 2027 feiert sie mit seiner touristisch attraktiven Altstadt ihren 1250. Geburtstag. Die Stadt hat aber auch noch andere Gesichter: So ist Esslingen auch eine Weinstadt und vor allem eine Industriestadt. Sie gilt im deutschlandweiten Vergleich als wohlhabend.