Wenn die Stadträte zustimmen, könnte die Vorzugstrasse des Radschnellwegs auf Esslinger Gemarkung komplett auf der Südseite des Neckars verlaufen – und nicht wie angedacht über den Alicensteg ans Nordufer führen. Foto: Roberto Bulgrin

Nachdem die Vorzugstrasse für den Radschnellweg zwischen Esslinger Alicensteg und Stuttgart zunächst am nördlichen Neckarufer verlief, wird nun eine Südroute empfohlen. Offen ist, ob der Gemeinderat dem Vorschlag folgt – zumal dieser das Aus für den Alicensteg bedeuten könnte.

Eigentlich wollte man sich jetzt endlich entscheiden. Nach langem Ringen und endlosen Debatten sollte der Esslinger Mobilitätsausschuss am Montagabend seinen Favoriten für den Verlauf der Radschnellwegtrasse zwischen Alicensteg und Stuttgarter Gemarkung küren. Doch dazu kam es nicht. Dabei wäre die Diskussion vermutlich überaus interessant gewesen. Denn das Land hat bei seiner Bewertung der Streckenvarianten eine wahre Kehrtwende hingelegt: Statt der Nordvariante empfiehlt es jetzt eine Trasse am Südufer des Neckars.

Der Grund für die Absetzung des Themas war laut Stadtverwaltung rein organisatorischer Natur: Der Referent des Regierungspräsidiums Stuttgart (RP) sei erkrankt, hieß es. Deshalb soll das Thema Radschnellweg erst im nächsten Mobilitätsausschuss am 6. Februar wieder aufs Tapet kommen. Dann aber dürfte es spannend werden. Denn bisher hatte das RP das nördliche Neckarufer als beste Option für den Verlauf des Radschnellwegs zwischen dem Alicensteg in Esslingen und der Stuttgarter Gemarkungsgrenze bezeichnet. Doch bei genauerer Betrachtung ist man nun offenbar zu einem anderen Schluss gekommen. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Stadt Esslingen und des RP hat die beiden Varianten noch einmal eingehend untersucht und empfiehlt jetzt eine Trasse am Südufer.

Weniger Eingriffe in Natur und Landschaft

Der Hauptgrund für den Schwenk zur Südroute ist für die Arbeitsgruppe die Erkenntnis, dass bei dieser weniger Eingriffe in Natur und Landschaft notwendig seien als für die Nordroute. So geht man davon aus, dass eine Trasse am nördlichen Neckarufer mehr Konflikte mit dem Artenschutz mit sich bringen würde. Zudem würde die Nordtrasse die wertvolle Flora und Fauna am Neckarufer stärker beeinträchtigen als die Südroute. Gleichzeitig müsste für die Strecke am südlichen Ufer weniger neue Fläche versiegelt werden – und sie würde laut Arbeitsgruppe kaum Naherholungsgebiete beeinträchtigen. Anders die Nordtrasse, die unter anderem durch den viel frequentierten Merkelpark sowie den geplanten Neckaruferpark führen würde und den Betrieb der zwei Kanuvereine am Neckar nachhaltig stören könnte. Aus Sicht der Arbeitsgruppe könnte es vor allem wegen der Konflikte mit dem Artenschutz schwierig werden, die Nordvariante überhaupt umzusetzen.

Gleichwohl hält die Arbeitsgruppe die Trasse am Nordufer aus verkehrstechnischer Sicht für geeigneter als die Südvariante. Denn am Nordufer könnten die Anforderungen an einen Radschnellweg wie Fahrbahnbreite und Verkehrssicherheit besser erfüllt werden, die Strecke sei kürzer und besser an die Esslinger Innenstadt angebunden. Die Südroute habe zudem den Nachteil, dass sie zahlreiche Autostraßen kreuze, was nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Geschwindigkeit der Radler beeinträchtige. Diese Punkte hatte das RP bisher als Argumente für einen Radschnellweg am Neckarnordufer vorgebracht.

Für die Stadt Esslingen hätte eine Entscheidung für eine Trassenführung am Südufer noch ganz andere Auswirkungen. Denn das könnte gleichzeitig das Aus für den Alicensteg bedeuten. Wenn der vom Land geplante Radschnellweg nämlich über diesen vom Süd- ans Nordufer wechseln würde, würde das Land die Ertüchtigung des maroden und seit geraumer Zeit gesperrten Stegs zu großen Teilen mitfinanzieren. Zur Erinnerung: In einer ersten Version hatte das RP den Radschnellweg auf Esslinger Gemarkung komplett auf der nördlichen Seite des Neckarufers gesehen. Die Nordtrasse galt als wirtschaftlichste Route mit dem höchsten Nutzerpotenzial.

Doch die Stadt Esslingen, Umweltschutzverbände und Bürgerausschüsse hatten die damit verbundenen Eingriffe in Grünflächen kritisiert. Nach einem Vergleich von Nord- und Südvariante im Bereich zwischen Alicensteg und Altbach beziehungsweise Deizisau hatte eine Arbeitsgruppe von Stadt und RP dann die Südroute empfohlen. Doch sollte nun der Radschnellweg durch Esslingen nun bis nach Stuttgart auf der Südseite fortgeführt werden, fällt der Brückenschlag ans Nordufer weg – und damit auch die Finanzierung des Landes.

Zukunft des Alicenstegs hängt mit Radschnellweg zusammen

Ob der Alicensteg dann noch eine Zukunft hat, ist fraglich. Der Esslinger Baubürgermeister Hans-Georg Sigel, der sich durchaus überrascht zeigt über die Kehrtwende des RP, erklärt: „Der Alicensteg hängt unmittelbar mit dem Thema Radschnellweg zusammen und somit voraussichtlich auch seine Zukunft. Eine Komplettfinanzierung kann sich die Stadt Esslingen derzeit schlichtweg nicht leisten.“ Der am Nordufer geplante Neckaruferpark hingegen könnte durch eine Trasse am Südufer gewinnen: Dann gäbe es mehr Platz für Grün und Erholung. Zumal eines klar sei: „Beim Neckaruferpark gibt es kein Zurück“, so Sigel.

Vergleich der Varianten

Trassenführung
 Im Dezember des vergangenen Jahres hatte sich der Esslinger Mobilitätsausschuss für die Führung des Radschnellwegs am südlichen Neckarufer zwischen Deizisau und Alicensteg ausgesprochen. Über den Alicensteg sollte der Radweg dann ans Nordufer queren. Doch es gab Zweifel daran, ob die Nordroute besser geeignet sei als eine Fortführung am Südufer in Richtung Stuttgart. Deshalb wurde ein Vergleich der Varianten vorgenommen, dessen Ergebnis nun vorliegt.

Radschnellweg
 Der Radschnellweg RS 4, der künftig von Reichenbach über Plochingen und Esslingen bis nach Stuttgart führen soll, ist eines von drei großen Leuchtturmprojekten des Landes Baden-Württemberg für den Radverkehr.